Von Europa nach Amerika: Karl Löwith, ein philosophischer Skeptiker in Sendai
„In Sendai stand uns ein Haus der Universität zur Verfügung, im Januar kamen unsere Möbel und Bücher nach und wir fühlten uns alsbald wie zuhause, sodass wir uns manchmal versprachen und ‚Marburg’ statt ‚Sendai’ sagten.“[1]
1.Emigration und/oder Exil?
Der 1897 in München geborene und 1973 im Alter von 76 Jahren in Heidelberg verstorbene Philosophieprofessor Karl Löwith hat rund 20 Jahre außerhalb von Deutschland gelebt, gelehrt und geforscht. Sieht man vom freiwilligen Kriegsdienst und seiner zweijährigen italienischen Gefangenschaft während des Ersten Weltkriegs einmal ab, dann hat er nacheinander 2 Jahre in Italien (1934-1936 in Rom), 5 Jahre in Japan (1936-1941 in Sendai) und 11 Jahre in den USA (1941-1952 in Hartford/Connecticut und New York) verbracht, bevor er 1952 durch Vermittlung Hans-Georg Gadamers einen Ruf an die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg erhielt, wo er bis zu seiner Emeritierung 1964 tätig war. Löwith war nach dem evangelisch-lutherischen Bekenntnis getauft, obwohl seine Mutter Margarete aus einer jüdischen Familie in Wien kam und sein Vater, der aus Mähren stammende Kunstmaler und Akademieprofessor Wilhelm Löwith, selber unehelicher Sohn einer jüdischen Mutter, konfessionslos geworden war. Diese jüdische Abstammung war Grund genug, dass der Marburger Philosophie-Dozent Karl Löwith nach der sogenannten Machtergreifung vom 30.Januar 1933 durch die Nationalsozialisten sich gezwungen sah, verbleibende Möglichkeiten des beruflichen Fortkommens im Ausland zu suchen. Der beginnende braune Terror gegen alle politischen Gegner und das zynisch so bezeichnete „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.April 1933 leiteten die Entlassung missliebiger Wissenschaftler aller Ränge an deutschen Universitäten, technischen Hochschulen, Musikhochschulen und Kunstakademien ein. Da Löwith im Kriegsdienst am Vaterlande im Ersten Weltkrieg schwer verwundet worden war, wurde ihm amtlich erst 1935 im Zuge von Verordnungen zu den sogenannten Nürnberger Gesetzen sein Marburger Lehrauftrag entzogen, als er bereits als Rockefeller-Stipendiat in Rom weilte.
Löwith selbst betrachtet in seinem 1959 in Heidelberg niedergeschriebenen „Curriculum vitae“ die Jahre seiner „Emigration“ aus der Rückschau als „eine Reihe glücklicher Zufälle, die man gern Schicksal nennt“: „1933 verlangte von mir keine eigene Entscheidung; sie ergab sich zwangsläufig von selbst durch die jetzt vergessenen, aber 1935 möglich gewesenen und im Handumdrehen ausgeführten Nürnberger Gesetze. Die Emigration führte mich durch eine Reihe glücklicher Zufälle, die man gern Schicksal nennt, über Rom nach einer japanischen Universität. Nach dem deutschen Bündnis mit Japan und unter dem Druck der nationalsozialistischen Auslandspropaganda wurde meine Stelle unsicher. Damals verhalfen mir P.Tillich und R.Niebuhr – ein halbes Jahr vor Pearl Harbour – zu einer Lehrstelle an einem amerikanischen theologischen Seminar (1941), von dem ich 1949 an die ‚New School for Social Research’ berufen wurde. Nach 18 Jahren Abwesenheit kehrte ich (1952) nach Deutschland zurück, wo ich, trotz allem, was inzwischen geschehen war, die Universitätsverhältnisse merkwürdig unverändert vorfand. Wie wenig diese Emigration in fremde Länder mit anderen Denkweisen, wie wenig überhaupt die Geschicke der Geschichte das Wesen eines erwachsenen Menschen und auch eines Volkes zu verändern vermögen, das wurde mir erst nachträglich klar. Man lernt zwar Einiges hinzu und man kann den Restbestand des alten Europa nicht mehr ebenso ansehen, wie wenn man sich nie entfernt hätte, aber man wird nicht ein Anderer; man bleibt auch nicht einfach derselbe, aber man wird, was man ist und innerhalb seiner Grenzen sein kann.“[2]
Auffällig ist, dass Löwith entschieden von „Emigration“, nicht aber von „Exil“ spricht, wie man es nach dem heutigen Sprachgebrauch und den begrifflichen Konventionen der deutschen Exilforschung seit 1945 eher erwarten könnte. Auch in dem Anfang 1940 in Sendai für das Harvard-Preisausschreiben der Widener Library, Cambridge (Mass.) verfassten Bericht „Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933“ ist durchgängig von „Emigration“ die Rede. Unter dem Titel „Nietzsche vor und nach Hitler“ heißt es dort in einem der ersten Abschnitte, der Nietzsche „wie Luther“ als „ein spezifisch deutsches Ereignis, radikal und verhängnisvoll“ deutet, ohne den sich „die deutsche Entwicklung gar nicht verstehen“ lasse: „Erst im Sommer 1934, als ich bereits Emigrant war, lernte ich Zarathustras Landschaft aus eigener Anschauung kennen. Wir verbrachten die heisse Zeit in Pozzetto bei Rapallo und wanderten von dort den bezaubernd schönen Weg von Ruta bis Portofino entlang.“[3] Wenn Löwiths Bericht auf Schicksalsgenossen eingeht, spricht er jeweils in gleicher Weise von „Emigranten“; sei es für die Zeit in Italien: „Die deutschen Emigranten in Rom“[4], sei es für die Zeit in Japan: „Die deutschen Emigranten in Japan“[5] bzw. „Zwei arische Emigranten“[6].
Einzig in den ersten Aufzeichnungen seines Tagebuchs „Von Rom nach Sendai“ (11.10. – 20.11.1936) tauchen die Begriffe des „Exils“ und des „Exilierten“ auf. Wohl unmittelbar unter dem Eindruck des Abschieds von Italien und Europa, den die Abreise von Rom mit seiner Frau Ada bedeutete, ist in historisierender Anspielung auf das vergangene, alteuropäische Aristokratenleben von „soggiorno und freiherrlichem Exil“ die Rede: „Am 11.Oktober 1936 – einem Sonntag – Abreise von Rom, nach zweieinhalbjährigem soggiorno und freiherrlichem Exil.“[7] Und im Weiterspinnen römischer Abschiedsgespräche auf dem Schiff nach Japan – auf der Suwa Maru sind er und seine Frau unter lauter Japanern, Engländern und Amerikanern die einzigen Deutschen – finden sich wenig später Mögliches und Wirkliches kreuzende Reflexionen, welche die Geschicke der eigenen Individualgeschichte mit den Schrecken der kollektiven Zeitgeschichte prospektiv ins Verhältnis setzen: „’Credere, obbedire, combattere’ heißt es in der Stadt des Papstes und in dem gehorsamswilligen Deutschland und im marxistischen Russland, dessen Revolution doch die gewichtigste und ehrlichste und mit den grössten Opfern und Untaten bezahlte ist. Wo ich dann stünde, ist nicht zu errechnen, wenn man faktisch das Privileg des frei gebliebenen Geistes, des Exilierten genießt. Mit diesem leichten Gepäck der negativen Freiheit – wobei freilich die Tonne des Diogenes in Gestalt eines wohlgefüllten 25 cbm Liftvans von Hamburg nach Yokohama schwimmt – ziehe ich mit Ada in ein fremdes Land, um dort, unter wirklich Fremdrassigen, wieder zum ‚Deutschen’ zu werden, während einen die ‚Volksgenossen’ des eigenen Landes verleumden und diffamieren, soweit sie nicht – mit wenigen Ausnahmen – etwas betreten bei der Begegnung ausweichen.“[8] Jene, die im revolutionären Taumel des nationalsozialistischen Zeitgeistes lauthals als „Deutsche“ auftreten, haben ihn als Juden ausgestoßen, ihn, der sich an und für sich als Deutscher weiß und deutschen Geist und deutsche Geschichte besser kennt als jene rassistischen Deutschtümler. Erst im „fremden Land“, erst im fernen Osten kann er wieder als „Deutscher“ anerkannt werden, genauer: als deutscher Philosophieprofessor, der seine deutschen Bücher und seine deutsche Sprache „gleichsam wie ein portatives Vaterland“[9] mit sich herumschleppt - Heinrich Heine hatte diesen treffenden Ausdruck in seinen „Geständnissen“ 1854 in Paris zuerst auf die Bibel der Juden in der Vertreibung bezogen.
Der Germanist Wolfgang Frühwald hat 1995 mit besonderem Blick auf das zwischen 1933 und 1945 vernichtete oder vertriebene deutsche Judentum „Prolegomena zu einer Theorie des Exils“ dargelegt, die zur Aufgabe der Exilforschung erklären, „das kommunikative und das kulturelle Gedächtnis zugleich an einem historisch und anthropologisch verbindlichen Gegenstand zu schulen“[10]. „Exil“ ist dabei für Frühwald „der meist durch religiöse, politische oder rassische Verfolgung bedingte, auf Rückkehr in die Heimat angelegte Aufenthalt im Ausland“[11]. Frühwalds Definitionsversuch des „Exils“, der die Rückkehr-Erwartung unmissverständlich in den Vordergrund rückt, tätigt selber kaum versteckt Anleihen bei Bertolt Brechts berühmtem Gedicht „Über die Bezeichnung Emigranten“ von 1937. Der aus Deutschland vertriebene Brecht wehrt sich darin gegen die eigene und die seiner Mitvertriebenen Stigmatisierung durch die Fremdbezeichnung „Emigranten“, die das faktische Unglück von Ausbürgerung, Entrechtung, Heimatlosigkeit nochmals sprachlich verdoppelt, indem sie es gerade verdeckt. Einerseits war diese Bezeichnung in den 1930er Jahren eine durchweg geläufige Redeweise, wie auch Thomas Mann zeigt, wenn er 1938 die „Deutschen der inneren und äußeren Emigration“[12] zusammen als die deutsche Opposition gegen den Nationalsozialismus verteidigt. Andererseits aber wurde die Bezeichnung „Emigranten“ in der Propagandasprache des Nationalsozialismus zur systematischen Verleumdung eingesetzt. In diesem historischen Kontext stellt Brechts Gedicht der Unfreiheit von Flucht und Vertreibung die eigene Entschlossenheit zu Widerstand und Rückkehr gegenüber, verwirft dabei die Fremdbezeichnung „Emigranten“ als bösen Euphemismus, den die Rede der Betroffenen vom „Exil“ selbst ersetzen soll. Die Rezeption des Gedichts konnte die Differenz von Poesie und Flüchtlingswirklichkeit gering achten, weil sich das Gedicht selbst performativ als Ansprache präsentiert. Im rhetorischen Vollzug des Aussprechens als Ansprechen gestaltet sich das Gedicht als lyrische Sprechmaske der widerständigen „Vertriebenen“: Die erste Person Singular des Anfangs - „ich“ - geht rasch im solidarischen Plural von „uns“ und „wir“ auf, der die Angesprochenen in die Ansprache einzustimmen einlädt als nun selber Mit- und Ansprechende. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.“ – so heißt der letzte Satz. Die erste Strophe lautet:
„Immer fand ich den Namen falsch, den man uns gab: Emigranten.
Das heißt doch Auswanderer. Aber wir
Wanderten doch nicht aus, nach freiem Entschluß
Wählend ein anderes Land. Wanderten wir doch auch nicht
Ein in ein Land, dort zu bleiben, womöglich für immer.
Sondern wir flohen. Vertriebene sind wir, Verbannte.
Und kein Heim, ein Exil soll das Land sein, das uns da aufnahm.“[13]
Indem Frühwald im Anschluss an Brecht die Rückkehr-Erwartung als unverzichtbaren Bestandteil des „Exils“ festlegt, verpflichtet er die Exilforschung nicht nur zu sehr und zu einheitlich auf eine – deutsche – Herkunftsheimat, sondern vernachlässigt auch viele Erlebnisse und Erfahrungen, die sich als Phänomene der Aufnahme, der Abstoßung, des Asyls, der Insertion, der Assimilation, der Akkulturation und der Integration auf jeweilige Hinwendungsländer beziehen. Gerade solche Erfahrungen aber zählen sowohl auf der Ebene der individuellen Fallstudien als auch der allgemeinen Analysen von historischen Gegebenheiten und zwischenstaatlichen Rahmenbedingungen gewiss zu den vorzüglichsten Gegenständen der Exilforschung. Wer die Emigration aus Deutschland nicht mit der Perspektive oder zumindest Hoffnung auf eine Rückkehr verbindet bzw. verbunden hat, könnte nach solcher deutschlandzentrierten Definition des Exils nicht als Exilant oder Exilierter betrachtet werden, gleichgültig, ob es sich um eine freiwillige oder erzwungene Emigration handelte. Welche Beschränkung damit aber gesetzt würde, wird deutlich, sieht man einmal von den Großen der deutschen Exilliteratur ab, von Brecht und Döblin, Thomas und Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger und Anna Seghers. Es genügt z.B. nur einige aus Deutschland, Österreich oder Zentraleuropa vertriebene Literaturwissenschaftler herauszugreifen, die nach 1945 in Amerika heimisch wurden: etwa u.a. Peter Demetz, Peter Heller, Wolfgang Paulsen, Heinz Politzer, Walter Sokel.[14] Wenn solche und andere Auswanderungen bzw. Vertreibungen aus der Perspektive der deutschen Herkunftsheimat zweifellos als Verluste gelten können, so darf doch zugleich nicht unterschlagen werden, dass aus der Perspektive der neuen Hinwendungsheimat – und vielleicht nicht nur aus dieser - Auswanderer und Vertriebene, die dort eben nolens volens zu Einwanderern mutieren, in der Regel (nicht nur ökonomische) Gewinne bedeuten: Sie stoßen menschliche Begegnungen an, etablieren inter- und transkulturelle Austauschprozesse, welche eine neuere deutsche Exilforschung denn auch besonders interessieren, die den kulturwissenschaftlichen Fokus auf „positive Aspekte des Exils“[15] verstellen möchte.
Alle Versuche einer allgemeinen Definition finden indes ihre Grenze daran, dass die Bestimmung von „Exil“ und „Emigration“ nicht zuletzt auch eine Frage des jeweiligen Selbstverständnisses der betroffenen Menschen ist. Wenn Löwith im Oktober 1936 in seinem Reisetagebuch auf dem Schiff nach Japan retrospektiv über seinen jüngstvergangenen Aufenthalt in Rom und Italien schreibt, dann erscheinen ihm die zweieinhalb dort verlebten Jahre als „freiherrliches Exil“. Dieses „Exil“ (lat. exilium) wird mehr als glückliche Zuflucht, weniger als traurige Verbannung wahrgenommen. Offensichtlich belädt Löwith den Ausdruck mit durchaus positiven Konnotationen: Rom und Italien haben trotz Mussolini und Faschismus doch vermocht, die erzwungene Abwesenheit von Marburg und Deutschland zu kompensieren oder doch zeitweilig vergessen zu machen. Über Italien heißt es rückblickend auf die erste Begegnung als Kriegsgefangener 1915: „Seitdem liebe ich dieses Land und seine Menschen, als wäre ich irgend einmal hier von Natur aus zu Hause gewesen. Man kann hier leben, ohne irgend etwas Bestimmtes für die nächste und weitere Zukunft zu tun – selbst heute noch, unter dem Druck der politischen Mächte und der grossen (und schlechten) Geschäfte.“[16] In Rom konnte er die Arbeit an den Monographien „Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkunft des Gleichen“ (Berlin 1935) und „Jacob Burckhardt. Der Mensch inmitten der Geschichte“ (Luzern 1936) abschließen, dabei auf den Spuren von römischer Antike und italienischer Renaissance am historischen Ort „das Privileg des frei gebliebenen Geistes“, als „Exilierter“, genießen. Er konnte sich in Rom wohl auch vergleichsweise glücklich schätzen im Eingedenken an den römischen Elegiker Publius Ovidius Naso: Ihn hatte die Verbannung durch den Kaiser Augustus im Jahre 8 n. Chr. nach Tomi ans Schwarze Meer vertrieben, wo er 17 n. Chr. starb. Ovids Briefe vom Schwarzen Meer („Epistulae ex Ponto“) und seine Trauergedichte („Tristium libri“) firmieren ja seit jeher als klassische Texte der Exilliteratur, indem sie ihr den elegischen Ton der Klage um die verlorene Heimat vorgeben.
Emigration und/oder Exil? Für eine Fallstudie zu Karl Löwith bietet sich ex post „Exil“ im Sinne von Frühwalds Definitionsversuch nun freilich an, um die gesamten 18 Jahre seiner erzwungenen Abwesenheit von Deutschland zu erfassen. Dabei könnte auf einen lediglich individuellen Spleen des „alteuropäischen“ Geisteswissenschaftlers zurückbezogen werden, dass Löwith selber diesen Begriff für Rom als Zufluchtsort und seinen insgesamt positiv gesehenen Aufenthalt in Italien 1934-1936 reserviert hat. Von Europa bzw. Italien über Japan nach Amerika und zurück nach Deutschland: schließlich ist er ja 1952 in sein Herkunftsland als ordentlicher Philosophieprofessor zurückberufen worden, womit er faktisch die Bedingung der Rückkehr-Erwartung erfüllt hat. Ob Löwith selber in actu während dieser 18 Jahre im Ausland eine entsprechende Rückkehr-Erwartung hegte, kann mit Bestimmtheit wohl weder verneint noch bejaht werden. Der Indikativ dessen, was der Fall ist, erscheint als herrschender Modus des Denkens, Sprechens und Lebens in diesen Jahren vom Konjunktiv der je noch verbliebenen Möglichkeiten verdrängt. So auch, wenn Löwith bei der Nachricht vom Kriegsausbruch in Europa im September 1939 „unwillkürlich“ der Gedanke kommt, „dass nach einigen Jahren vielleicht eine Rückkehr nach Deutschland möglich sein könnte.“[17] Diesen Gedanken „mäßigt“ er sogleich mit Jacob Burckhardt (1818-1897), der als freimütiger Kenner der Weltgeschichte ihm zugleich als verehrungswürdiges Beispiel für skeptische Kontemplation in den Umtrieben von Zeit und Geschichte taugt. Burckhardt hatte seine „Kultur der Renaissance in Italien“ (1859) dem italienischen Emigranten Luigi Picchioni gewidmet; eine Rückkehr von Emigranten mit Ersatzansprüchen für erlittenes Unrecht hatte Burckhardt jedoch nie für wünschbar gehalten. Immerhin ist unzweifelhaft, dass Löwith sich selbst als „Emigrant“ bezeichnete und auch so verstand. Nicht zu übersehen ist dabei, dass er in seinen Kommentaren und Reflexionen das bloß Zufällige der „Emigration“ besonders hervorhebt – „eine Reihe glücklicher Zufälle, die man gern Schicksal nennt“ lautet die nachträgliche Bestimmungsformel des Zurückgekehrten von 1959. In der Tat ist Löwith in der „Emigration“ zu großen Teilen erspart geblieben, was sehr viele Schicksalsgenossen seiner Generation erduldeten, was manche gar zu Verzweiflung und Selbstmord trieb: Fremdheit, Sprachprobleme, Geldmangel, Rechtlosigkeit, Schikanen, politische Unmündigkeit, vielfältige Existenzbedrohungen bis hin zur direkten Todesdrohung.
Philosophie war für Löwith nicht nur ein universitäres Fach und ein akademischer Beruf, sondern mehr noch eine humane Lebensform. Nicht zuletzt im Anschluss an Jacob Burckhardts historische Darstellung des Zerfalls der antiken Welt in seiner posthum erschienenen „Griechischen Kulturgeschichte“ (1898-1902) findet er sein asketisches Modell für eine philosophische Lebensform in der spätantiken „Rückkehr zur standhaften Simplizität des maßvollen Lebens, inmitten einer durch Krisen heillos erschütterten Welt“[18]. Hic et nunc galt es, die eigene Ohnmacht und Schutzlosigkeit des „Emigranten“ in den „Zufällen“ des bellizistischen Zeitgeistes mit skeptischer Gelassenheit und stoischer Selbstgenügsamkeit auszubalancieren. Gegen Nietzsches „Verführung zum Äußersten, die Magie des Extrems“, hat sich Löwith spätestens im römischen „Exil“ für Jacob Burckhardts „innerweltliche Enthaltung von allen Prätensionen und Illusionen der Zeit“[19] entschieden: Dieses „Geheimnis der Mäßigkeit“[20] wollte nicht mit Fatalismus, schon gar nicht mit Nietzsches „amor fati“, verwechselt sein. „Mit diesem leichten Gepäck der negativen Freiheit“, wie die prägnante Formulierung im Reisetagebuch lautet, war Löwith wohl unterwegs, um es subjektiv mit allen möglichen und unmöglichen Zufällen bzw. Unfällen der „Emigration“ aufzunehmen - bei gleichzeitiger objektiver Unfreiheit und der selber unsicheren Risikoversicherung „in Gestalt eines wohlgefüllten 25 cbm Liftvans“, der „von Hamburg nach Yokohama schwimmt“. Bedürfnislosigkeit, Selbstgenügsamkeit, Gelassenheit kommen da in einem Nu zur Sprache, wenn Löwith in gelehrter humanistischer Selbstironie den eigenen modernen „Liftvan“ mit der antiken „Tonne“[21] des Kynikers Diogenes von Sinope vergleicht.
„Der Sonderfall Karl Löwith: Ein deutscher Jude in Japan, 1936-1941“ und „Karl Löwith in Japan – Sonderfall oder Norm“– so hat Birgit Pansa die zentralen Kapitel ihrer Studie über „Juden unter japanischer Herrschaft“[22] überschrieben. Erklärtes Ziel des 1999 publizierten Buches ist zunächst die Untersuchung der Bedingungen, unter denen Flüchtlinge jüdischer Abstammung im japanischen Exil lebten, um sodann zwischen diesen Bedingungen für die Mehrheit der unter japanischer Herrschaft lebenden Juden einerseits und dem individuellen Fall Karl Löwith andererseits „Unterschiede wie Gemeinsamkeiten“[23] herauszuarbeiten. Pansas Hauptquelle für den geschichtlichen Teil über die allgemeinen Exil-Bedingungen ist das Pionierwerk „Japanese, Nazis and Jews“[24] von David Kranzler; zum sogenannten Fugu-Plan und zur jüdischen Gemeinde in Harbin werden besonders die Untersuchungen von Tokayer / Swartz sowie Goodman / Miyazawa herangezogen.[25] Wichtige deutschsprachige Arbeiten, die zum Exil in Japan und Ostasien erst nach Pansas Studie im letzten Jahrzehnt erschienen sind, konnten zwar nicht berücksichtigt werden; etwa der Literaturbericht „Die Juden und der ferne Osten“[26] von Gerhard Krebs oder das Buch „Shanghai und die Politik des Dritten Reiches“[27] von Astrid Freyeisen. Doch hatte ja die besondere Situation Löwiths in Sendai rund 300 km nördlich der Hauptstadt Tokyo, das stellt auch Pansa schnell fest, indem sie sich vornehmlich diesem Philosophieprofessor der damals noch Kaiserlichen Tohoku-Universität zuwendet, mit der allgemeinen Lage der jüdischen Flüchtlinge in den Gemeinden von Shanghai, Harbin oder auch Kobe nur bedingt und entfernt zu tun. Dementsprechend besteht auch Krebs in seinem Literaturbericht auf individueller und gruppenspezifischer Differenzierung: „Eine besondere Gruppe unter den jüdischen Exilanten bildeten einige Intellektuelle und Musiker im japanischen Mutterland, also nicht im besetzten China.“[28] Aus dieser Gruppe der zum Teil schon vor Hitlers Machtübernahme aus beruflichen Gründen nach Japan gekommenen Deutschen jüdischer Abstammung hebt Krebs neben Löwith den Nationalökonomen und Gelehrten „zwischen Stefan George und Georg Simmel“[29] Kurt Singer (1931-1935 in Tokyo, 1936-1939 wie Löwith in Sendai) sowie die Musiker Klaus Pringsheim und Joseph Rosenstock in Tokyo hervor.
Zur Behandlung des Sonderfalls Karl Löwith greift Pansa nicht nur auf die bekannten autobiographischen Schriften des Philosophen zurück; sie bezieht auch zusätzliche Informationen aus Gesprächen mit ein, die sie in den 1990er Jahren noch mit einstigen Bekannten und Schülern Löwiths führen konnte: mit den Professoren Okochi Ryogi und Makinose Madoka, mit Dietrich Seckel und Rita Zeppelzauer.[30] Seine theoretischen Abhandlungen jedoch, sogar die in Sendai geschriebenen oder vorbereiteten, bleiben ganz außerhalb von Pansas Gesichtskreis; sie ist ausschließlich an Löwiths Leben in Japan interessiert, nicht aber an seinen Schriften oder an seiner Philosophie. Kaum verhohlene Enttäuschung und Verständnislosigkeit über seine „unpolitische“ Selbstgenügsamkeit in heilloser Zeit scheinen durch, wenn sie schreibt: „Löwith arbeitete an seinen wissenschaftlichen Schriften, in Japan wie in den USA, eine Auseinandersetzung mit der Philosophie war ihm wichtiger als mit der Politik.“[31] Seinen Bericht für das Harvard-Preisausschreiben liest sie denn auch recht schlicht als autobiographischen Reisebericht eines Mannes, „den es mehr oder weniger zufällig nach Japan verschlagen hat und der dort für eine Weile gelehrt und gelebt hat, um dann weiterzuziehen.“[32] In Löwiths Weigerung, sich als Jude, als Flüchtling und als armes Opfer politischer Verfolgung zu bekennen, der von der Hilfe anderer, nicht zuletzt seiner „arischen“ Frau Ada, abhängig ist, sieht Pansa zwischen „Dichtung und Wahrheit“, zwischen Autobiographie und jüdischer Biographie, „eine Reihe von Widersprüchen“[33], die auch seine verhaltene Darstellung des in der Tat komplexen wie problematischen Verhältnisses zum ehemaligen Lehrer Heidegger betreffen.
Aus dem ersten Teil „Antisemitismus“ von Hannah Arendts großem Werk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ entlehnt Pansa den Begriff der „Ausnahmejuden“[34], um „die Widersprüche zwischen Löwiths Leben und dessen Darstellung in seiner Autobiographie“[35] aufzuklären. Indem er sich deutlich und absichtlich von den anderen Flüchtlingen jüdischer Abstammung abhob, hätte er in Japan mit seiner „arischen“ Frau Ada eben das widersprüchliche Leben eines „Ausnahmejuden“ geführt. Pansas Begriffsentlehnung unterschlägt nun aber nicht nur den philologischen Kontext, sondern auch den historischen Zusammenhang, in dem bei Arendt selbst die Rede von den „Ausnahmejuden“ steht. Arendts Ausführungen beziehen sich im Kontext der Entstehung des modernen Antisemitismus im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts gerade auf dessen Vorgeschichte, die von der europäischen Nationalstaatenbildung seit dem 18.Jahrhundert nicht zu trennen ist. Indem Arendt dabei an den „Ausnahmejuden“ insgesamt die Kosten von Emanzipation und Assimilation exemplifiziert, unterscheidet sie zugleich deutlich zwischen „Ausnahmejuden des Reichtums“ und „Ausnahmejuden der Bildung“: „Im Gegensatz zu den Ausnahmejuden des Reichtums, die notwendigerweise Juden blieben und die politische Repräsentanz der Gemeinden im neunzehnten Jahrhundert monopolisiert hatten, sind die Ausnahmejuden der Bildung der ersten und zweiten Generation fast alle den Weg der Taufe gegangen. Doch darum hörten sie weder in ihrem eigenen Bewußtsein noch im Urteil der Umwelt auf, Juden zu sein.“[36] Exempel wie Extrem für die „Ausnahmejuden der Bildung“ ist dabei Rahel Levin (1771-1833), verheiratete Varnhagen von Ense, selber erste Tochter eines „Ausnahmejuden des Reichtums“, des wohlhabenden Berliner Kaufmanns Markus Levin. Mit ihrer „Lebensgeschichte“ aus der deutschen Romantik hatte sich Arendt schon vor 1933 und der Flucht aus Deutschland beschäftigt. „Zwischen Paria und Parvenu“[37] sieht sie Rahels gesellschaftlichen Aufstieg durch Bildung und Intelligenz, Humanismus und Literatur schließlich in Resignation enden: „Aus dem Judentum kommt man nicht heraus“[38].
Was für Rahel als Lebensproblematik gelten mochte, gilt in solcher Weise für Hannah Arendt selber allerdings nicht mehr. Aus der historischen Konfiguration von Romantik und erster Hälfte des 20.Jahrhunderts waren auf der Suche nach den Ursprüngen totaler Herrschaft Lehren zu ziehen. Für Arendt scheint ausgemacht: Nach der gesamteuropäischen Katastrophe des Ersten Weltkrieges und dem „Niedergang des Nationalstaates“[39] verfügen die neuen Systeme totaler Herrschaft durch Ideologie und Terror ganz faktisch, dass der ungelösten, aus dem 19.Jahrhundert überkommenen Lebensproblematik der „Ausnahmejuden der Bildung“ nun einfach der Boden entzogen wird. So gesehen kann Löwith im Sinne von Hannah Arendt zwar Sonderfall, nicht aber mehr „Ausnahmejude“ sein, auch nicht im Japan der 1930er Jahre.
Da Pansa an ihrer simplifizierenden Optik festhält, kann ihr Gesamturteil über die vermeintliche „Autobiographie“ nur ganz negativ ausfallen: „Löwiths Autobiographie bietet keine tiefergehenden Einsichten, die für die Diskussion jüdischer Exilerfahrungen zu verwerten wären. Sie erfüllt auch die Vorgaben des Preisausschreibens nicht, eine ‚Quelle für das Studium des neuen Deutschlands und des Nationalsozialismus’ zu sein bzw. ‚für eine Untersuchung der gesellschaftlichen und seelischen Wirkungen des Nationalsozialismus auf die deutsche Gesellschaft und das deutsche Volk verwendet werden’ zu können. Vielmehr ist sie eine oberflächliche Beschreibung der Ereignisse in Löwiths Leben. Ein auffälliges Merkmal der Darstellungsweise ist die fehlende Betroffenheit des Autors. Die Relevanz seines Schicksals als Jude im japanischen Exil bleibt unklar.“[40] Bei manchen Befunden kann man Pansa nun durchaus zustimmen, auch wenn sich aus diesen dann ganz andere Schlüsse ziehen lassen. In der Tat berichtet Löwith ziemlich wenig, das spezifisch an die allgemeine Diskussion über Bedingungen und Erfahrungen des jüdischen Exils in Japan anzuschließen wäre. Politische Realitäten in Japan und Lebenswirklichkeiten in Sendai werden ja immer schon durch die Brille des Philosophen wahrgenommen und durch das Prisma seiner Reflexion vielfach gespiegelt. In der Tat kann man bei Löwith allzumenschliche Angst und menschliche Schicksalsbetroffenheit vermissen. Dies liegt jedoch auch daran, dass Löwiths „Bericht“ eben von Anfang an keine Autobiographie darstellt, schon gar nicht in der protestantisch-pietistischen oder literarischen Tradition von Bekenntnis und Konfession. Er liefert auch keine „erkaltete Herzensschrift“[41], indem das im Rückblick erzählte, individuell erlittene Lebensschicksal des vertriebenen Marburger Philosophie-Dozenten, genauer: die erfahrenen Zufälle und Unfälle seiner bisherigen Laufbahn, immer schon in den weiteren Horizont einer eben philosophisch gesehenen, zeitgeschichtlichen Problematik gestellt werden. Diese systematische Entstellung des Individuellen im Rückblick auf Europa und im abschließenden Hinblick auf Japan ist nicht von dem gleichzeitigen Vorausblick auf Amerika zu trennen; Karl und Ada Löwith hatten zum Zeitpunkt der Niederschrift des „Berichts“ in Sendai Ende 1939 / Anfang 1940 bereits den Wunsch, Japan wieder zu verlassen und nach Amerika weiterzuziehen. Pansa hat auch nicht Unrecht, wenn sie behauptet, dass Löwith die Vorgaben des Harvard-Preisausschreibens nicht erfüllt; schließlich hat er keinen der begehrten Preise im damals stolzen Gesamtwert von 1000 $ gewonnen.
Löwith übernimmt zwar mit einer kleinen Änderung den vorgegebenen Titel[42], zeigt sich nichtsdestoweniger aber dessen bewusst, dass er mindestens in zwei Punkten die Wünsche des Preisausschreibens nicht ganz respektiert hat. Auf bürokratisch knappe Angaben zur eigenen Person lässt er gleich zu Beginn eine kurze „Vorbemerkung“ folgen, welche die beiden Abweichungen benennt. Seine „Lebensbeschreibung“ sei „nicht immer ‚einfach und unmittelbar’“ und behandele nicht nur sein Leben in Deutschland. Die offensichtliche Enttäuschung eines erwarteten „unmittelbaren“ Erlebnis-Realismus, der ohne irgendwelche philosophischen Erwägungen zur Vergangenheit auskommen sollte, entschuldigt er höflich damit, „dass der Verfasser, dessen Beruf die Philosophie ist, auch die politischen Ereignisse notwendig in diesem Spiegel verstand.“[43] Die zweite bewusste Abweichung rechtfertigt er wiederum damit, „dass sich das Denken und Tun der Deutschen auch im Ausland aufschlussreich offenbart.“[44] Wie der Fremde in der Fremde der Fremde selber ist, so bleibt auch der Deutsche gerade Deutscher außerhalb von Deutschland.
Während Pansa beim Sonderfall Löwith vergeblich Aufschlüsse über Juden unter japanischer Herrschaft sucht, benennt das knappe „Vorwort“ des renommierten Historikers Reinhart Koselleck zu Löwiths „Lebensbericht“ bzw. „Zwischenbilanz“ prägnant zwei große Themen, die sich durch alle dargestellten Begebenheiten und kolportierten Einzelgeschichten hindurch reflektieren: „Der Verfall der deutschen bürgerlichen Welt und die ihm aufgenötigte Spaltung seiner Existenz in die eines Deutschen und eines Juden.“[45] Bedeutet das Jahr 1933 gewiss einen tiefen Einschnitt, den der „unpolitische“ Philosophie-Dozent durchaus als Schock - nicht zuletzt wegen der persönlichen Diskriminierung als Jude – erfahren sollte, so reichen doch die Dekadenz des deutschen Bürgertums und die deutsche Judenfrage weiter zurück. Schon vor dem Nationalsozialismus erscheinen die Sicherheiten komfortabler Bürgerlichkeit und jüdischer Integration - im Rückblick zumindest - als trügerische Illusionen: „die Friedlichkeit unseres toskanischen Lebens war blosser Schein, und die Völkerwanderung hatte schon 1914 begonnen.“[46] Löwiths Bericht „von dem was im beschränkten Umkreis eines unpolitischen Einzelnen wirklich geschah“[47] beginnt ganz gezielt mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914: „Die deutsche Revolution von 1933 begann mit dem Ausbruch des Weltkriegs. Was seit 1933 in Deutschland geschieht, ist der Versuch, den verlorenen Krieg zu gewinnen. Das dritte Reich ist das Bismarcksche Reich in zweiter Potenz und der ‚Hitlerism’ ein gesteigerter ‚Wilhelmismus’, zwischen denen die Weimarer Republik nur ein Zwischenakt war.“[48]
Zeitliche Markierungen, denen Ortsbestimmungen zugeordnet sind, zeichnen den Aufbau von Löwiths Lebensbeschreibung vor: zuerst 1914-1933 und Deutschland, dann 1934-1936 und Europa bzw. Italien und Deutschland, schließlich 1936-1939 und Japan. Als eine Art von Zwischenbilanz bietet sie zugleich eine kommentierte Indiziensammlung, in der Gehörtes und Gesehenes, Worte und Taten von Mitmenschen, bestimmte Beweiskraft für ein übergreifendes, noch unfassbares und unerhörtes Geschehen annehmen sollen. Immer und überall geht es bei den beschriebenen Begegnungen und Gesprächen mit Freunden, Kollegen, zufälligen und weniger zufälligen Bekanntschaften deshalb kaum um Persönliches noch um Intimes. Stattdessen werden je exemplarische wie unfreiwillige Beweisstücke gesammelt, die weniger die im Preisausschreiben sollizitierten „gesellschaftlichen und seelischen Wirkungen des Nationalsozialismus“ belegen als vielmehr den Verfall der „bürgerlich-christlichen Welt“ bezeugen sollen, deren Denken und Geschick im 19.Jahrhundert ja auch den Gegenstand des in Sendai im Frühjahr 1939 abgeschlossenen philosophiehistorischen Hauptwerkes ausmachen: „Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des neunzehnten Jahrhunderts“[49]. Dieser Verfall der „bürgerlich-christlichen Welt“ wird darin in großen Linien als dreifache Verkehrung der Hegelschen Philosophie des absoluten Geistes dargestellt: in Marxismus durch Marx, in Existenzialismus durch Kierkegaard, in Nihilismus und Extremismus durch Nietzsche. Der im Anschluss an das geistesgeschichtliche Hauptwerk verfasste Lebensbericht übersetzte die dort erreichten allgemeinen Einsichten in die Beschreibung der je individuellen Lebenswelten des Autors. Da es deshalb zwischen Maskenfreiheit und Rollenzwang nicht um Individualitäten und Personen als solche gehen konnte, sondern um Typen, Repräsentanten, Personifikationen und Charaktermasken, hatte Löwith als konsequenter „Moralist“[50] zumeist auch Kürzeln für Eigennamen gesetzt, deren letztliche Identifizierung in manchen Fällen erst das heutige Namenregister des Herausgeber erlaubt.[51]
Wenn am Verhalten von Deutschen in Deutschland wie in Italien und Japan durch die Banalität des Alltags hindurch wiederholt Anpassung und Opportunismus, Ehrgeiz und Feigheit zur Erscheinung gebracht werden, geschieht dies zumeist mit gelassenem Blick und aus kühler Distanz. „Sachlichkeit“[52] als neue Verhaltensnorm der 1920er Jahre ist auch an Löwith nicht spurlos vorbeigegangen. Zumeist gibt er sich distanziert, jedoch nicht durchgängig: Löwiths Diskriminierung als Jude ab 1933, die sich in der zunehmend gleichgeschalteten deutschen Gemeinde auch in Japan fortsetzt, aktiviert Misstrauen und lässt zusehends kaum verhaltene Sorge um die eigene Immunität durchscheinen. Löwith, der evangelisch-lutherisch getauft war und sich als deutscher Denker verstand, reagiert auf die Spaltung seiner Existenz durch aggressive Fremdzuschreibungen mit defensivem Eigensinn. Bei besonderen Anlässen bricht sogar offene Empörung über die Verletzung seines Menschseins und seines Menschenrechts durch, wenn etwa sein Pass nach dem deutsch-japanischen Kulturabkommen vom deutschen Generalkonsulat im Dezember 1938 „mit einem roten J gestempelt“ werden und er „Israel“ als zweiten Zunamen von Amts wegen erhalten soll: „Nur der durch diese Massregeln in seinem ganzen Sein und Wesen Verletzte und mit Absicht Gekränkte konnte die Rohheit und Niedrigkeit der neuen Vorschriften ermessen, welche uns einen Namen aufzwang, bei dem wir niemals genannt worden sind, und uns mit einem Stempel versah, welcher auf Deutsch besagt: Ecce homo! gebt acht, er gehört nicht zu uns, sondern zum Auswurf der Menschheit, und ihr könnt machen mit ihm, was ihr wollt!“[53]
Der in Sendai im Januar 1940 abgeschlossene Bericht ist also nicht nur retrospektive Rekonstruktion der lebensweltlichen Wechselfälle, die den „Emigranten“ von München, Freiburg und Marburg über Rom bis nach Sendai geführt haben. Diese zugleich im Vorausblick auf Amerika verfasste Zwischenbilanz von Löwiths Sonderfall geht aber auch nicht auf in der vom aktuellen deutschen Nationalsozialismus provozierten Bestands- und Beweisaufnahme zum Verfall der „bürgerlich-christlichen Welt“, die durch die schmerzhafte Reflexion der ihm aufgezwungenen Spaltung seiner konkreten Existenz in die eines deutschen Denkers und eines Juden akzentuiert wird. Gewiss bietet Löwiths problemorientierte Darstellung kaum Hinweise, die für eine allgemeine Diskussion über jüdische Exilerfahrungen in Japan und Ostasien zu verwerten wären. Dennoch eröffnen Sendai und Japan als Ort und Gegenwart der Niederschrift seines Berichts noch eine zusätzliche und spezifische Dimension: Welche Bedeutung kommt Japan auf Löwiths Weg von Europa nach Amerika zu? Die Frage übersteigt den engen Rahmen seiner Stellungnahmen mit direktem Japan-Bezug. Gibt es also Spuren im Werk des Philosophen, die aus New York und Heidelberg auf Sendai zurückverweisen?
Als Karl Löwith Ende 1936 in Sendai ankommt, kann er sich als Philosophieprofessor bereits auf seine noch in Italien vollendeten, gewichtigen Monographien über Nietzsche und Burckhardt berufen. Noch bevor er mit seiner Frau Ada Anfang 1941 von Japan nach Amerika d.h. New York übersiedelt, hat er am 18.Januar 1941 das Glück, sein in Sendai geschriebenes und philosophisch gehaltvollstes Buch „Von Hegel zu Nietzsche“ vom Europa-Verlag Zürich/New York ausgeliefert zu erhalten. Unter dem Titel „Yohroppa no nihirizumu“[54] konnte 1940 in aufeinanderfolgenden Nummern der Zeitschrift „Shisoh“ in Tokyo auch noch die japanische Übersetzung einer Abhandlung über den europäischen Nihilismus erschienen, deren deutsches Original „Der europäische Nihilismus. Betrachtungen zur geistigen Vorgeschichte des europäischen Krieges“[55] mit dem „Nachwort an den japanischen Leser“ erst 1983 vollständig in den „Sämtlichen Schriften“ publiziert worden ist. In Amerika während des Zweiten Weltkrieges bzw. des Pazifischen Krieges veröffentlichte Löwith dann zwei Aufsätze über Japan, die im Sinne der damals neuen „Aerea Studies“ für sein Aufnahmeland nützliche Kenntnisse über den Kriegsgegner vermitteln sollten: „Japan’s Westernization and Moral Foundation“[56] und „The Japanese Mind. A Picture of the Mentality that We Must Understand if We are to Conquer“[57]. Im „Curriculum vitae“ hat er 1959 die unterschiedlichen intellektuellen Erfahrungen in Japan und Amerika prägnant ins Verhältnis gesetzt und so charakterisiert: „In Japan erwartet niemand von einem Ausländer, daß er sich anpassen und also veröstlichen soll. Man will von ihm europäische Geistesart lernen, und ich konnte in meiner Sprache unterrichten. In Amerika, das ursprünglich eine europäische Kolonie war, aber in dem, worauf die moderne Welt aus ist, das alte Europa überholt hat, daß es nun als ‚der Westen’ schlechthin gilt, war ein ‚adjustment to the American way of life’ nicht ganz zu umgehen, wenn man akzeptiert werden wollte.“[58]
Die steile These, „dass Löwiths Philosophie in wesentlichen, grundlegenden Zügen ihren besonderen, exil-japanischen Entstehungsursprüngen entspricht“, hat Pekar an einer von Löwiths sogenannten „Kernvorstellungen“ belegen wollen, „nämlich an seiner ‚Destruktion’ der abendländischen Geschichtsphilosophie“[59]. Auf der Suche nach positiven Aspekten des Exils ist Pekar von Anfang an auf das komplementäre Kontrastieren von zwei Modellen sogenannter „kultureller Übersetzung“ aus: hier Karl Löwith, der „in eine ihm fremde Kultur“ ohne nennenswerte Vorkenntnisse „übersetzt“, um dann als Rückkehrer diese „Erfahrung des Ostens“ in die „Destruktion“ der eigenen westlichen Geschichtsphilosophie zu transformieren; dort Kurt Singer, der auf den Spuren von Lafcadio Hearn das „alte“ Japan als gegenwärtigen Wiedergänger der Antike ansieht und „in die ihm vertraute poetische Sprache“[60] übersetzt. Erscheint im Falle Singers der Ertrag solcher „Übersetzung“ in Gestalt seines Japan-Buches „Mirror, Sword and Jewel“ durchaus evident, so drängen sich doch begründete Zweifel auf, was die angegebene Transformationsleistung von fernöstlichem Denken durch den Philosophen Löwith betrifft: Er hat kein Buch über Japan hinterlassen. Weder der in Sendai verfasste Bericht für das Harvard-Preisausschreiben noch das Reisetagebuch können diesen Mangel wirklich ausgleichen. Sieht man von den beiden Beiträgen zu den amerikanischen Japan-Studien aus der Zeit des Pazifischen Krieges einmal ab, dann bleibt einschlägig nur ein später Aufsatz Löwiths in der Festschrift zu Gadamers 60.Geburtstag, der hier namhaft gemacht werden kann: „Unzulängliche Bemerkungen zum Unterschied von Orient und Okzident“[61] von 1960 stellt am großen Thema der unterschiedlichen, alten Traditionsbestände von Ost und West aber kaum mehr als eine versöhnliche Nachschrift zum Aufenthalt 1936-1941 dar, die sich dem aktuellen Anlass der rund 20 Jahre späteren Vortragsreise in Japan von 1958 verdankte.
Von „Destruktion der abendländischen Geschichtsphilosophie“ kann nun zwar bei Löwiths Lehrer Heidegger und seiner existenzialen Fundamentalontologie, kaum aber beim Philosophiehistoriker Löwith selber gesprochen werden. Heideggers „unbestimmte Entschiedenheit“ des „In-der-Welt-seins“ destruiert die metaphysische Geschichtsphilosophie durch Ihre existenziale Überbietung; dies insbesondere in seinem späteren Entwurf der „Seinsgeschichte“ im Anschluss an „Sein und Zeit“. „Der politische Horizont von Heideggers Existenzialontologie“, die den heillosen Zeitgeist im doppelten Sinn „bestreitet“, wird von Löwith bereits 1940 in „Der europäische Nihilismus“ kritisch befragt, wenn er Heideggers zwiespältige Wirkung auf seine Schüler in Freiburg und Marburg beschreibt: „apodiktisch behauptend aus dem Geiste der Verneinung“[62]. „Heidegger, Denker in dürftiger Zeit“[63] heißt dann 1953 Löwiths bekannte Abkehrschrift vom einstigen Lehrer, die in Anlehnung an Max Webers Prophetenschelte Heidegger selber als extremistisches Krisensymptom der „Entzauberung der Welt“ deutet. Löwith rückt Heideggers mythisches Seinsdenken als Epiphänomen hinter Nietzsches literarisch inszenierten Dionysos-Mythos und Zarathustras Weltdenken zurück; nach Heidegger sollte ja das Weltgeschick der „Seinsvergessenheit“ und „Seinsverlassenheit“ die Metaphysik von Plato bis Nietzsche bestimmen. Löwiths eigene Kritik von Nihilismus, Existenzialismus, Marxismus, Geschichtsphilosophie und christlicher Überlieferung sowie die daraus erschlossene Skepsis ohne Glaube und Verheißung sind dagegen keineswegs mit einer „Destruktion der abendländischen Geschichtsphilosophie“ zu verwechseln. Allenfalls ist ein (unaufhebbarer?) „Mangel an Eindeutigkeit“ zu konstatieren, da Löwith zwar skeptisch, aber de iure und de facto gleichwohl an dem festhält, was er doch selbst kritisiert: „das Christentum und die aus ihm erwachsene europäische Humanität“[64]. Solche Selbstkritik und Skepsis des europäischen Geschichtsverstehens haben auch wenig mit „postmodernen“ Varianten eines historischen und kulturellen Relativismus zu schaffen, der auf „Posthistoire“ und Beliebigkeit sowie auf ein radikal partikularistisches Kulturverständnis setzt.
Ohne schweres philosophisches Gepäck begibt sich der Schriftsteller Adolf Muschg im Essay „Meine Japanreise mit Karl Löwith“ auf die Spurensuche, um einer Lösung des Rätsels von Löwiths Japan-Erfahrung näher zu kommen. Einen Schlüssel, wenn nicht zur Lösung, so doch zum besseren Verstehen des Rätsels glaubt Muschg in Löwiths „Zwei-Etagen-Modell“ zu finden, das ihn allenthalben in der japanischen Lebenswirklichkeit eine uneingestandene, fundamentale Widersprüchlichkeit wahrnehmen lässt: „Er begibt sich in eine Zivilisation mit einem ‚urjapanischen’ Parterre und einem westlichen Obergeschoss.“[65] Daran knüpft Muschg implizit die Frage an, die – pro domo et mundo - seine weitere Spurensuche leitet: Hat oder hatte diese wahrgenommene Widersprüchlichkeit nun wirklich ihren Sitz in der angetroffenen japanischen Kultur, d.h. im Denken und Handeln der Japaner selbst? Oder ist sie nur das selbstfabrizierte Resultat des „Zwei-Etagen-Modells“ selber, das der auf das Unterscheiden – von Descartes’ methodischer Forderung „clare et distincte“ bis Wittgensteins „Draw the distinction!“ - angewiesene europäische Philosoph als Sehhilfe gebraucht und braucht? Wie Kurt Singer und andere Japan-Besucher vor ihm fühlt sich Löwith mit seinem beträchtlichen ästhetischen Sinn zum „alten Japan“[66] hingezogen, das auch er als exotischen Wiedergänger der Antike ansieht: „Was einen als Europäer anspricht, ist natürlich nicht die fortschreitende Modernisierung des alten Japan, sondern der Fortbestand der orientalischen Tradition und das urwüchsige shintoistische Heidentum.“[67] In der geographischen Ferne Japans überwindet dieser heidnische „Fortbestand“ die historische Ferne der „eigenen“ Griechen und Römer, indem er sie am Fremden zur Anschauung bringt. Die Entdeckung der Archaik als Schrecken und Versprechen – im Anschluss an Bachofens Untersuchungen zum Matriarchat und Nietzsches Feier des Dionysischen in der „Geburt der Tragödie“ - hatte zum Ende des 19. Jahrhunderts die humanistische Antikenrezeption grundlegend verändert und das Interesse zunehmend auf die prähistorischen und schriftlosen, d.h. archäologischen und kulturgeschichtlichen Voraussetzungen der Griechen und Römer gelenkt. Eher als Japan selbst lernt Löwith in Sendai Athen und Rom neu sehen. So räumt der bereits von Heidegger, Nietzsche und Burckhardt in die Antike zurückgeschickte Philosoph ein, er habe in Japan „zum ersten Mal auch etwas von dem religiösen Heidentum und der politischen Religion der Griechen und Römer verstanden“[68].
Ein Vergleich dieser deutschen, geistes- und kulturwissenschaftlichen Betrachtungsweise Japans in den 1930er Jahren mit den gleichzeitigen Japan-Studien des französischen Ethnologen André Leroi-Gourhan (1911-1986) verdient hier mindestens skizziert zu werden; Leroi-Gourhan hielt sich vom 20.April 1937 bis 26.März 1939 zu Feldforschungen in Japan auf. Während Löwith und Singer die Modernisierung Japans recht eigentlich bedauern und ein „altes“ Japan durch die archaisierende Brille der alten Griechen und Römer wahrnehmen, untersucht der junge Ethnologe das Nebeneinander und Ineinander von alten Restbeständen und neuen Praktiken im japanischen Alltagsleben. Durch teilnehmende Beobachtung im Sinne von Bronislaw Malinowski sucht er kulturanthropologische Aufschlüsse zu Fragen der menschlichen Technikentwicklung und der Technisierung der Lebenswelt zu gewinnen. Leroi-Gourhans posthum publizierte Aufzeichnungen „Pages oubliées sur le Japon“[69] versammeln die Ergebnisse seiner ethnologischen Feldforschungen in Japan; sie sind auch in sein berühmtes kulturanthropologisches Werk „Evolution et techniques“ eingegangen, das trotz des Zweiten Weltkrieges 1943 und 1945 in Paris in 2 Bänden veröffentlicht werden konnte: „L’Homme et la matière“ und „Milieu et techniques“.[70] Bei Löwith (wie bei Singer) verhinderte gerade die geisteswissenschaftliche Fixierung auf eine durch Antikenforschung und Kulturgeschichte vermittelte Archaik ethnologische Fragestellungen, die sich mit einer Kulturanthropologie der Technisierung hätten befassen können.
Gerade weil Löwith während seiner Lehrtätigkeit in Sendai „das unwahrscheinliche Glück“ hatte, in deutscher Sprache „vor japanischen Studenten dort fortfahren zu können“[71], wo er in Marburg hatte abbrechen müssen, wird eine ihm unverständliche, fortgesetzte Widersprüchlichkeit japanischer Denkgewohnheiten und Verhaltensweisen sein Problem. Im „Nachwort an den japanischen Leser“, das er 1940 seiner Abhandlung „Der europäische Nihilismus“ anfügt, vermisst er bei der Übernahme von westlichem Wissen im intellektuellen Habitus jenes „freie Heraustreten aus sich und die daraus folgende Aneignungskraft, die aus einer freien Stellung zu sich und zur Welt entspringt“[72]. Löwith fährt fort, indem er zugleich jenes „Zwei-Etagen-Modell“ begründet, das nach Muschg seine Wahrnehmung und Erfahrung Japans in Sendai je präformierte: „Dieser Charakter der freien Aneignung scheint mir in Japan meistens zu fehlen. Die Studenten studieren zwar mit Hingabe unsere europäischen Bücher und verstehen sie auch dank ihrer Intelligenz, aber sie ziehen aus ihrem Studium keine Konsequenzen für ihr eigenes, japanisches Selbst. (...) Sie leben wie in zwei Stockwerken: einem unteren, fundamentalen, in dem sie japanisch fühlen und denken, und in einem oberen, in dem die europäischen Wissenschaften von Platon bis Heidegger aufgereiht stehen, und der europäische Lehrer fragt sich: wo ist die Treppe, auf der sie vom einen zum andern gehen?“[73]
Einerseits sind Philosophie und Wissenschaft zum universalen Denken verpflichtet, andererseits sollen auch alle Menschen dazu grundsätzlich befähigt sein. In der guten Tradition der europäischen Aufklärung und der deutschen Universität nimmt Löwith Studenten und Kollegen nicht nur als (angehende) Wissenschaftler, sondern auch als Vertreter der „Menschheit“ jenseits lokaler und kultureller Besonderheiten ernst: „Er kennt keine Philosophie mit Orient-Rabatt oder ad usum delphini.“[74] – wie Muschg prägnant die Ernsthaftigkeit der Lehrtätigkeit des deutschen Professors in Sendai charakterisiert. Sinn und Zweck seiner Lehre sah Löwith selbst wohl darin, die Studenten über die historischen und gegenwärtigen Formen des europäischen Nihilismus aufzuklären, um sie gegen jede Mythologisierung von Fortschritt und moderner Technik zu impfen. Das dies aus japanischer Sicht einer fremden Einladung zu gefährlicher Kritik und Selbstkritik gleichkam, mochte Löwith nicht entgangen sein. Das komplementär zweiseitige Programm seiner Lehre wird im „Nachwort an den japanischen Leser“ prägnant benannt: „eine Rechtfertigung der europäischen Selbstkritik und eine Kritik der japanischen Selbstliebe“[75]. Es konnte im Konflikt der Interessen und Kulturen wohl nur eine Überforderung seiner japanischen Hörer bedeuten.
Die Kritik an abendländischer Dekadenz und europäischem Nihilismus mochte man wohl goutieren, ist doch die traurige Kunde vom Niedergang des Lehrmeisters auch als gute Nachricht zu den Aufstiegschancen des Schülers zu verstehen. Aus der Demonstration solcher Kritik und Selbstkritik aber selbständig selbstkritische Konsequenzen zu ziehen, konnte schon nach dem „Zwei-Etagen-Modell“ bei fehlender bzw. unauffindbarer Verbindungstreppe nur eine sehr unwahrscheinliche Option darstellen. Zumal zur gleichen Zeit Militärregime und japanischer Nationalismus eine autochthone Moderne als eine Art stählerner Romantik propagierten, welche eigene Unüberwindlichkeit durch die Allianz von modernster Technik und urjapanischem Geist versprach. Vergebens suchte Löwith seine japanischen Zuhörer zu überzeugen, dass man westliche Technik und Wissenschaft nicht übernehmen könne, ohne sich zugleich mit ihrem unvermeidlichen Nihilismus auseinanderzusetzen. Und vergebens suchte er begreiflich zu machen, dass die vielfachen Krisen des modernen Europa nicht einfach den kommenden „Untergang des Abendlandes“ (Oswald Spengler) anzeigten, sondern seit den antiken Philosophen auch eine „positive Kraft des Negierens“[76] bedeuten, die Neuanfänge setzen kann, indem sie zur Freiheit von Kritik und Selbstkritik, zur Entschiedenheit von Denken und Handeln befähigt: determinatio est negatio.
Hans-Georg Gadamer, der wie Löwith in den 1920er Jahren dem illustren Schülerkreis Heideggers in Marburg angehörte, hat 1967 seinen emeritierten Heidelberger Kollegen wohl treffend als einen „sehr nach innen gewandten Mann“[77] bezeichnet. Bekannt ist, dass sich Löwith in Sendai viel weniger als Kurt Singer und zuvor schon Eugen Herrigel (von 1924 bis 1929) auf die japanische Umgebung eingelassen hat. Muschg findet „den Schlüssel für Löwiths Scheitern“[78] in Japan nun aber weniger in bestimmten Eigenarten, etwa in seinem Distanz-Bedürfnis und seinem unnahbaren Gleichmut. Ohne besondere Kenntnisse der Landessprache hätte Löwith wohl auch nur schwerlich zur Bildung eines lebendigen Miteinanders von östlichem und westlichem Geist in Sendai beitragen können, wenn die kriegerischen Zeitumstände 1936-1940 überhaupt dafür günstig gewesen wären. „Fremdsprache ist nicht, was wir nicht verstehen, sondern wovon nicht der geringste Anstoß zum eigenen Handeln ausgeht.“[79] Dass Löwith eine Zierde der Kaiserlichen Tohoku-Universität war und seine deutsche Philosophen-Fremdsprache wohl einen hohen Reiz auf Studenten und Kollegen ausübte, änderte nichts an ihrer Unverbindlichkeit, trug ganz im Gegenteil noch mächtig zu ihr bei. Geisteswissenschaft und Theorie als ästhetisches Spiel ohne anderes Wozu? Löwiths „Scheitern“ sieht Muschg darin begründet, dass er sich mit solcher Unverbindlichkeit nicht abfinden wollte. Unverbindlichkeit meint zugleich Immunität gegen Kritik und Selbstkritik, verbirgt das „In-dividuum“ in „Gefühl“ und „in einer die Grenzen verwischenden Stimmung“[80]. Löwith selbst übersetzt Unverbindlichkeit mit japanischer „Selbstliebe“ und autistischer Naivität, die weder Fremdes noch Eigenes als solches unterscheiden kann oder will, weil sie ja gar nicht gelernt hat zu unterscheiden. Unterscheidung aber ist die Voraussetzung von Bestimmung und individueller Selbstbestimmung, welche zusammen über bloßes Wissen und Kennen hinaus erst eine freiere Orientierung in Raum und Zeit, Politik und Geschichte ermöglichen. Wo Heteronomie herrscht, sollte nach Löwith Autonomie werden, d.h. die je eigene Fähigkeit zur Reduktion von Komplexität und zu bewusster Selektion. Auf dem Schiff von Japan nach Amerika kommt das Eingeständnis des Scheiterns bei Löwith klar zum Ausdruck: „Weiter gekommen ist man aber in vier Jahren im Grunde mit keinem dieser Menschen. Schon auf dem Schiff fällt von uns alles Japanische ab, als hätte man nie damit intensiv zu tun gehabt. Nicht die geringste Lust, (...) mit irgend einem Japaner zu reden – sie können ja alle nicht reden – offen, unmittelbar, selbst.“[81]
Diesem Abschiedsbefund des Gastes, der nach enttäuschend verlaufener Mission 1941 den Gastgebern ein denkbar schlechtes (Sprach-)Zeugnis ausstellt, kontrastiert eine Art Sinnspruch am Ende des Reisetagebuchs „Von Rom nach Sendai“. Löwith hat ihn wohl Anfang 1937, kurz vor seinem 40.Geburtstag, noch mit dem Optimismus des Ankommenden niedergeschrieben: „Denn die Weisheit des Ostens geht über die Klugheit des Westens und die Gelassenheit übers Verändernwollen.“[82] Es kann nicht überraschen, dass die Arbeiten, die sich mit Löwiths Japan-Aufenthalt beschäftigt haben, zu teilweise recht unterschiedlich akzentuierten Befunden gekommen sind. Über einige Punkte gibt es aber kaum Dissens: Gewiss lebte Löwith mit seiner Frau in Sendai ziemlich zurückgezogen, gewiss sorgte die durch den Heidegger-Kenner Kuki Shuzo vermittelte, großzügige Stellung an der Universität für ein höfliches Nebeneinander von Gast und Gastgebern; doch im wesentlichen konzentrierte sich der deutsche Professor auf sein „portatives Vaterland“, nämlich auf den eigenen Schreibtisch und die zum großen Teil im modernen Liftvan aus Europa mitgebrachten Bücher, um seine weitläufigen Studien zur deutschen und europäischen Philosophiegeschichte voranzubringen. Indem etwa Wilhelms Untersuchung Löwith zwischen Herrigel und Singer in diese bedeutende Reihe deutscher Denker stellt, die – auch - in Sendai gelebt und gewirkt haben, gehorcht seine Darstellung ihrerseits von vornherein – wie ihr Publikationsort - eher einem lokalen Interesse. Wenn in Sendai Löwith ein lebendiges (sprachliches!) Miteinander von westlichem und östlichem Geist auch weitgehend verwehrt geblieben ist, so habe er doch über den ästhetischen Sinn einen (stummen?) Zugang zu Japan gefunden.[83] Wilhelms Ansicht vom ästhetischen Zugang zu Japan kann sich dabei auf Löwiths Selbstkommentar im „Curriculum vitae“ berufen, in dem er einerseits von der Schwierigkeit spricht, dafür die richtigen Worte zu finden, andererseits aber zugleich einräumt, dass er „trotz des Festhaltens an dem in Marburg eingeschlagenen Weg von der Erfahrung des gar nicht mehr so fernen Ostens nicht unberührt blieb, sondern von dem Land und dem Volk und seiner subtilen Gesittung und von der großen buddhistischen Kunst einen unvergeßlichen Eindruck empfing“[84]. Für die Philosophie mit ihrer „griechischen Logos-Kodierung“[85] sind Sprache und Rhetorik, Logik und Dialektik, Schrift und Kommunikation gewiss unverzichtbare Bedingungen und unvermeidliche Voraussetzungen - aber wozu Philosophie in den Niederungen der modernen Lebenswelt? Wozu deutsche Philosophie im Japan der 1930er Jahre? Philosophie ist als „theoretische Einstellung“ (nach dem phänomenologischen Radikal von Edmund Husserl, Löwiths erstem Lehrer) nur einer neben vielen, praktischen, ästhetischen, religiösen oder anderen Zugängen zur Welt, jenseits universitärer Fachgrenzen kann ihre durch Moden und Ideologien geschmälerte, normative Kraft kaum mehr Verbindlichkeit beanspruchen.
Während die Frage des „europäischen Nihilismus“, wie das „Nachwort an den japanischen Leser“ 1940 zeigt, für die Lehre in Sendai eine große Bedeutung hatte (wenn auch keinen großen Erfolg bei den Studenten), ist ein besonderer Japan-Bezug in Löwiths geistesgeschichtlichen Studien, deren Voranbringen ja sein Hauptgeschäft in Sendai ausmachte, schwieriger aufzuspüren. Zeitlich vor Amerika ist Japan nach Amerika für sein philosophisches Werk die kleinere Station auf seinem langen Umweg von Europa nach Europa zurück, den er selber ja als seinen „in Marburg eingeschlagenen Weg“[86] ansah. Hausmann etwa betrachtet Löwiths Japan-Aufenthalt als Provisorium zwischen Europa und Amerika, da die Situation an der Tohoku-Universität Löwiths Denken kaum befruchten konnte.[87]. Immerhin fällt es nicht schwer, zwischen seinem Lebensbericht für das Harvard-Preisausschreiben, seiner Lehrtätigkeit in Sendai und seinem philosophiehistorischen Hauptwerk „Von Hegel zu Nietzsche“ bestimmte Parallelen aufzufinden: „Was vom Geist übrig blieb, ist nur noch der ‚Zeitgeist’.“[88] Jeweils geht es um den Verfall der „bürgerlich-christlichen Welt“, der an den Oberflächenphänomenen des vom „Zeitgeist“ regierten „Miteinanderseins“[89] beobachtet und an der Verkehrung des alteuropäischen Humanismus in den deutschen Nihilismus geistesgeschichtlich dargestellt wird. „Erst das 20.Jahrhundert hat das eigentliche Geschehen des 19.Jahrhunderts deutlich und deutbar gemacht.“[90] Für Löwith erstreckt sich das 19.Jahrhundert „von der großen französischen Revolution bis 1830 und von da bis zum ersten Weltkrieg“[91]. Es ist die Zeit großer geisteswissenschaftlicher Werke im Schatten eines phantastischen Fortschritts von Naturwissenschaften und Technik, Industrie und Zivilisation – zumindest im kolonialherrlichen Europa und in Amerika. Umgekehrt bietet dieses widersprüchliche 19.Jahrhundert „von Hegel zu Nietzsche“ Löwith zugleich den Schlüssel zum historischen Verstehen des 20.Jahrhunderts, d.h. der eigenen katastrophischen „Zeit“ nach 1914. Nihilismus, Existenzialismus und Marxismus des 20.Jahrhunderts zeigen „die tödliche Konsequenz in der philosophischen Entwicklung nach Hegel“[92], als deren Prophet für Löwith exemplarisch wie extrem Nietzsche einsteht: „als eine Frühgeburt des kommenden Jahrhunderts und einer noch unbewiesenen Zukunft“[93], wie schon das „Vorwort zur ersten Ausgabe“ des Buches „Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen“ 1934 urteilt. Löwiths Erfahrung der „Zeit“ und ihrer modernen Ismen deckt sich mit der des „Emigranten“, der sich zwischen den Fronten dem Machtanspruch und dem kriegerischen Geschichtswollen totalitärer Systeme ausgeliefert sehen muss.
Im „Vorwort zur ersten Auflage“ seiner deutschen Philosophiegeschichte des 19.Jahrhunderts „Von Hegel zu Nietzsche“ hatte Löwith 1939 in Sendai geschrieben: „Weil aber die Gleichsetzung der Philosophie mit dem ‚Geist der Zeit’ ihre revolutionierende Kraft durch Hegels Schüler gewann, wird zumal eine Studie über die Zeit von Hegel bis Nietzsche am Ende die Frage aufwerfen müssen: bestimmt sich das Sein und der ‚Sinn’ der Geschichte überhaupt aus ihr selbst, und wenn nicht, woraus dann?“[94] Diese Frage nach dem „Sinn der Geschichte überhaupt“ bestimmt den 1949 in Chicago unter dem Titel „Meaning in History“ zuerst veröffentlichten Versuch, einen theologischen Sinn des europäischen geschichtsphilosophischen Denkens über alles bloß geschichtliche Denken hinaus nachzuweisen. Die deutsche Ausgabe „Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie“[95] erschien 1953, nachdem Löwith den Leitgedanken unter demselben Titel in der Festschrift zu Heideggers 60.Geburtstag (1950) schon kritisch gegen den früheren Lehrer gewendet hatte: Heideggers Existenzialontologie sei trotz der gewagten Annäherung an die vorsokratische Überlieferung in dem christlichen Horizont heilsgeschichtlicher Endzeiterwartung befangen geblieben. Löwith reklamiert einen „Rest von christlicher Theologie innerhalb einer nicht mehr christlichen Fragestellung“, insofern das eigentliche geschichtliche „Dasein“ bei Heidegger, indem es seine Endlichkeit und sein Ende vorweg übernimmt, „in einem Sich-entwerfen auf die Zukunft hin“ gründe, von der her es im Augenblick der Entscheidung „auf seine geworfene Faktizität“[96] erst selbstbestimmend zurückkomme. Heideggers ontologische Bestimmung der „Zeitlichkeit des In-der-Welt-seins“, das in „Sein und Zeit“ (1927) im Anschluss an die „Sorge“ als verstehendes Dasein durch „Vorhabe“, „Vorsicht“ und „Vorgriff“[97] charakterisiert ist, muss nun aber keineswegs aus einem „Rest von christlicher Theologie“ hervorgegangen sein. Ohne die Gegenwart eines solchen „Rests“ zu leugnen, kann sie ihre metaphorische Orientierung auf ein zukünftiges „Voraus“ gerade wesentlich im Hinblick auf die ontologisch-begriffliche Präzisierung angenommen haben; sie hält sich im Hören auf die sprachliche Überlieferung entschieden an die (deutsche) Sprache als Schrittmacher aller Begriffsbildung. Löwith aber bleibt fixiert auf geistes- und weltgeschichtlich sich durchhaltende Substanzen und Konstanten. Außerhalb seines Gesichtskreises bleibt etwa, nach historischen Funktionen, nach Fragen und Antworten zu differenzieren, oder auch Überlegungen zur Begriffs- und Metapherngeschichte anzustellen. Seine Kritik des eschatologischen „Rests“ in Heideggers Existenzialontologie sagt damit aber zuletzt nur, dass diese für ihn mehr bedeutet, als sie selber von sich wisse. Eine Dimension verborgenen Sinnes oder Unsinnes?
Zweifellos ist Löwiths Ansatz, die eschatologischen Zeitstrukturen jüdisch-christlicher Heilserwartung im neuzeitlichen Geschichtsdenken zwischen Prophetie und Telos als deren Nachgeschichte aufzuspüren, um auch moderne Fortschrittserwartungen als theologische Restbestände zu entmythologisieren, durch seine Lehrtätigkeit am Theologischen Seminar in Hartford /Connecticut (1941-1949) motiviert worden. Löwiths marktgängige These von der „Säkularisierung“[98] jüdisch-christlicher Eschatologie durch Geschichtsphilosophie, Existenzialismus und Marxismus konnte im Amerika der Nachkriegszeit bzw. im „Kalten Krieg“ der freien Welt gegen den sogenannten Totalitarismus ihre Wirkung nicht verfehlen. Löwiths eigener Skeptizismus suchte im Rückgriff auf Jacob Burckhardt und seinen „Verzicht auf Geschichtsphilosophie“[99] einerseits, mittels einer Rückbesinnung auf die griechische Historiographie (Herodot, Thukydides, Polybios) andererseits, diese „selbst schon geschichtlich bedingte“, gleichwohl „maßlose Frage“[100] nach dem „Sinn der Geschichte“ durch konkurrierende Überlieferungen von „eschaton“, „telos“, „tyche“, „fortuna“, „providentia“, „fatum“, „finis“ zu neutralisieren. Das europäische Geschichtsdenken, das zwischen dem 16. und 18.Jahrhundert ausgebildet worden ist, zeigt sich genauer als zwiespältige Verschränkung einer zyklisch-periodischen Geschichtsauffassung der Antike mit einem jüdisch-christlichen Glauben an einen linearen, zielgerichteten Geschichtsverlauf. Diese doppelte Kodierung durch griechische „theoria“ und christliche „pistis“ erscheint Löwith mit ihren gegensätzlichen Sinnbildern, „Kreis“ und “Kreuz“, kaum vermittelbar: „Denn wie könnte die antike Theorie von der Ewigkeit der Welt mit dem christlichen Glauben an die Schöpfung, der Kreislauf mit einem ‚eschaton’ und die heidnische Anerkennung des Fatums mit der christlichen Pflicht zur Hoffnung je in Einklang gebracht werden?“[101] Das Studium der frühchristlichen Patristik (besonders Augustinus) hat Löwith am Theologischen Seminar in Hartford gelehrt, wie im Zerfall der antiken Welt aus dem ewigen Kosmos der Griechen das vergängliche „saeculum“ der Christen wurde, eine nur noch irdische Aufeinanderfolge jeweils lebender und sterbender Generationen, deren Hoffnung die göttliche Erlösung eben vom „saeculum“ d.h. von der Welt ist. Treffend fasst Ries Löwiths Position der Skepsis zusammen, welche die antike Überlieferung als entlastendes Korrektiv der in der Moderne „fatal funktionalisierten Eschatologie“ bemüht: „Löwiths Skepsis gilt dem Vorrang des teleologisch gerichteten Zeitablaufs vor der bleibenden Raumfigur des antiken Kosmos, weil dieser Vorrang den Prozeß seiner fatal funktionalisierten Eschatologie im 19. und 20.Jahrhundert allererst freisetzt.“[102]
Löwiths in Amerika ausgebildete These, dass das Geschichtsbewusstsein der Moderne aus der Säkularisierung der christlichen Idee der Heilsgeschichte, nämlich der göttlichen Vorsehung und der eschatologischen Endlichkeit des Jüngsten Gerichts, hervorgegangen sei, ist in Deutschland nicht unwidersprochen geblieben. Hans Blumenberg hat Löwith vorgehalten, dass er im Anschluss an Hegels Theorie von der Aufhebung der christlichen Reformation in der rechtlich-staatlichen Konstitution der modernen Welt das Heilsgeschehen auf die Ebene der Weltgeschichte projiziert und die Weltgeschichte auf die Ebene der Heilsgeschichte erhoben habe. Von Hegel, der die Weltgeschichte als Prozess der freien Selbstrealisierung der Vernunft begreift, habe er dabei vor allem die identitätsphilosophischen Voraussetzungen entlehnt, wonach sich durch die Zu-, Un- und Wechselfälle der Geschichte hindurch Kontinuität, Substanz und Subjekt in immanenter Logik behaupten. Hegels homogene Vernunft in der Geschichte, eingeschlossen die „List der Geschichte“, konnte Löwiths (selbst)kritische Skepsis - provoziert durch Nietzsches revolutionären Bruch und belehrt durch Jacob Burckhardts „Mäßigkeit“ - allerdings nur unter einem formalen wie partiellen Aspekt übernehmen, nämlich als Faktor und Resultat der Säkularisierung. „Theologischer Absolutismus“ und/oder „humane Selbstbehauptung“[103] - Blumenberg kritisiert in seinem vierteiligen Werk „Die Legitimität der Neuzeit“ Löwiths skeptischen Spezialfall von historischem Substantialismus und hält dagegen, dass die Kontinuität der Geschichte über Epochenschwellen hinweg nicht im Fortbestand ideeller Substanzen, sondern in der tradierten Hypothek der Fragen und Probleme liege, die signifikante Umbesetzungen im je verfügbaren Wissen oder auch neue Antworten verlangen. Im ersten Teil „Säkularisierung – Kritik einer Kategorie des geschichtlichen Unrechts“ differenziert Blumenberg zwischen Säkularisierung als „Verweltlichung“ – der juristische Begriff bezogen auf kirchlich-weltliche Eigentumsverhältnisse mitsamt seiner Übertragung auf die Ideengeschichte - und „Weltlichkeit“ als neuzeitlicher Signatur, die sich „humaner Selbstbehauptung“ verdankt: „Die Neuzeit greift aber nicht so sehr zurück auf das ihr Vorgegebene, sondern sie widersetzt sich und stellt sich seiner Herausforderung. Diese Differenz (...) macht Weltlichkeit zum Kennzeichen der Neuzeit, ohne daß diese aus Verweltlichungen entstanden sein müßte.“[104]
Als verstecktes Motiv hinter dieser Wiederannäherung von Philosophie und Theologie, profanem Geschichtsdenken und Eschatologie kann bei Löwith schließlich seine Athen und Rom geltende, alteuropäische Nostalgie aufgespürt werden, welche auf die veränderte Antikenrezeption der Jahrhundertwende um 1900 zurückverweist. Nach Blumenberg hat Löwiths panhellenistische Sicht der Weltgeschichte unter dem Aspekt der Säkularisierung den Bruch zwischen Mittelalter und Neuzeit „zu der einen Episode der Unterbrechung der menschlichen Kosmosbindung depotenziert“[105]. Diese späthumanistische Fixierung auf den „paganen Kosmos der Antike“ spricht sich besonders deutlich in der „schicksalhaften Disjunktion von Natur und Geschichte“ aus: „Die Verweltlichung des Christentums zur Moderne wurde für Löwith zu einer vergleichsweise geringfügigen Differenzierung, sobald er den einzigen Epochenbruch ins Auge faßte, der die Entscheidung für Mittelalter und Neuzeit in einem Akt gebracht hatte: die Abwendung vom paganen Kosmos der Antike und seiner zyklischen Geborgenheitsstruktur zu der einmaligen Zeithandlung des biblisch-christlichen Typus. Angesichts der schicksalhaften Disjunktion von Natur und Geschichte verlagert sich der Akzent von dem Beginn der Neuzeit auf das Ende der Antike, für alles, was danach kam, entsteht so etwas wie eine geschichtliche Gesamtverantwortung mit dem Fazit des Fortschritts als Verhängnis.“[106]
„Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen“ und „Jacob Burckhardt. Der Mensch inmitten der Geschichte“, die beiden in Europa bzw. Italien zuletzt noch vollendeten Bücher waren im Handgepäck, als Löwith in Begleitung seiner Frau Ada am 18.11.1936 in Sendai ankam. „Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des neunzehnten Jahrhunderts“, das dort verfasste philosophiegeschichtliche Hauptwerk, trägt er als jüngste Publikation mit sich, wenn er am 6.3.1941 in San Francisco amerikanischen Boden betritt. Am Theologischen Seminar in Hartford /Connecticut entsteht dann seine international bekannteste Schrift „Meaning in History. The Theological Implications of the Philosophy of History“, die ihm mit dem Erscheinen 1949 die Berufung an die berühmte „New School for Social Research“ in New York einbringt. Ihre deutsche Fassung von 1953: „Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie“, übersetzt von Hermann Kesting und durchgesehen vom Autor, folgt gleichsam als Geschenk des heimgekehrten Sohnes ein Jahr später dem deutschen Rück-Ruf nach Heidelberg (1952). Auf dem Weg von Europa nach Amerika (und nach Deutschland zurück) kommt dem Aufenthalt in Sendai wohl das zweifelhafte Verdienst zu, Löwiths gräzisierende Stilisierung der „schicksalhaften Disjunktion von Natur und Geschichte“ im Sinne antiker Kosmologie begünstigt zu haben. Indem er zwischen 1936 und 1941 vom modernen Japan absieht, um das „alte“ Japan als wiedergekehrte Antike wahrzunehmen, kann er den im 19.Jahrhundert von Hegel zu Nietzsche verorteten „revolutionären Bruch“ des Denkens seinerseits als Wiederkehr - jedoch mit umgekehrten Vorzeichen, d.h. als Chiasmus - jenes „einzigen Epochenbruchs“ in der Weltgeschichte begreifen, der ihn dann in Amerika beschäftigen sollte: „die Abwendung vom paganen Kosmos der Antike“ mit seiner zyklisch-periodischen Struktur zugunsten von Eschatologie und göttlicher Providenz mit ihrer biblisch-christlichen, linearen Verlaufsform von (Heils-)Geschichte. Skeptisch bleibt Löwith deshalb gegenüber Nietzsches antichristlichem Extremismus der mythischen Rückgewinnung jenes „paganen Kosmos der Antike“; skeptisch aber auch gegenüber allen Formen theologischer oder säkularisierter Eschatologie und Providenz, insbesondere ihrer fatal funktionalisierten Konstruktionen in totalitären Systemen seiner „Zeit“. Kein Zufall ist, dass gerade Burckhardts „spätantike Lehre aus der geschichtlichen Betrachtung der gegenwärtigen Welt“[107] Löwith als ethischer Wegweiser von Europa über Japan nach Amerika (und nach Deutschland zurück) taugt. Mit den spätantiken Skeptikern der hellenistischen Philosophie (vom Pyrrhonismus bis zu Sextus Empiricus, gest. gegen 210 n. Chr.) verbindet diese Lehre der Geschichtsbetrachtung ein sich im doppelten Sinn enthaltender Zweifel am Urteilen und Begreifen sowie die Askese gegenüber Dogma und System; Skepsis = skeyiV heißt ja ursprünglich nichts anderes als „eingehende Untersuchung“. Nach Descartes’ methodischem Zweifel und Hegels Absolutismus der Geist-Geschichte kann sich solche Skepsis im Unterschied zum Extremismus bloßer Zweifelsucht nur durch unparteiische „Mäßigkeit“ und den „Abstand der freien Betrachtung“ definieren. „Herz der Geschichte“ ist als ihr eigentliches „Sein“ allein „der duldende und handelnde Mensch“[108]. Ohne positive, theologische und humanistische Voraussetzungen, ohne Glaube, Vorsehung und Verheißung, bleibt nur „das Rätselhafte des Zufalls ‚Mensch’“[109]. Ihrer kontemplativen Form nach aber erinnert solche Skepsis der Geschichtsbetrachtung schließlich doch an theoria = Qewria, was im griechischen Sinn ja einst Anschauen als Erkennen des Kosmos meinte.
Anmerkungen:
[1] Karl Löwith, Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933. Ein Bericht. Neu hrsg. von Frank-Rutger Hausmann, Stuttgart/Weimar 2007, S. 111. – Löwiths „Bericht“ wurde zuerst 1986 (Stuttgart) veröffentlicht, mit einer „Nachbemerkung“ von Ada Löwith, die ihn im Nachlass ihres Mannes gefunden hatte (vgl. ebenda, S. 194-196).
[2] Karl Löwith, Curriculum vitae (1959), in: Löwith, Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933, S. 182-193, dort S. 186f. – Vgl. auch in: Karl Löwith, Sämtliche Schriften. Hrg. von Klaus Stichweh / Marc. B. de Launay, Stuttgart 1981-1988, Bd. 1: Mensch und Menschenwelt, S. 450-462.
[3] Löwith, Mein Leben in Deutschland, S. 8.
[4] Ebenda, S. 89ff.
[5] Ebenda., S. 115ff.
[6] Ebenda, S. 127ff. – Nicht ausschließlich ist allerdings von „deutschen Emigranten“ die Rede: vgl. etwa S.94f. („Russische Emigranten in Italien und Japan“).
[7] Karl Löwith, Von Rom nach Sendai. Von Japan nach Amerika. Reisetagebuch 1936 und 1941. Hrg. von Klaus Stichweh und Ulrich von Bülow, Marbach 2001, S. 7.
[8] Ebenda, S.13.
[9] Heinrich Heine, Geständnisse, in: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Hrsg. von Manfred Windfuhr, Bd. 15, Hamburg 1982, S. 9-57, dort S. 43.
[10] Wolfgang Frühwald, Die „gekannt sein wollen“. Prolegomena zu einer Theorie des Exils, in: Innen-Leben. Ansichten aus dem Exil. Ein Berliner Symposion. Hrsg. von Hermann Haarmann, Berlin 1995, S.56-69, dort S.57.
[11] Ebenda, S.56.
[12] Zuerst im Essay „Der Friede“ (Stockholm 1938), dann im Vorwort „Die Höhe des Augenblicks“ zum Essay-Band „Achtung, Europa! Aufsätze zur Zeit“ (Stockholm 1938); jetzt in: Thomas Mann, Essays. Bd.5: Deutschland und die Deutschen 1938-1945. Hrsg. von Hermann Kurzke / Stephan Stachorski, Frankfurt am Main 1996, S. 11-27, dort S. 14.
[13] Bertolt Brecht, Über die Bezeichnung Emigranten, in: Gedichte IV (1934-1941), Frankfurt am Main 1961, S.137.
[14] Vgl. Jost Hermand, Das Eigene im Fremden. Die Wirkung der Exilanten und Exilantinnen auf die amerikanische Germanistik, in: Exil und Avantgarden. Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, Bd. 16, München 1998, S. 157-173.
[15] Vgl. etwa Manfred Briegel, Vorschlag für ein Kolloquium: positive Aspekte des Exils, in: Neuer Nachrichtenbrief der Gesellschaft für Exilforschung e.V. 30 (2007), S.4-5.
[16] Löwith, Von Rom nach Sendai, S.7.
[17] Löwith, Mein Leben in Deutschland, S.126.
[18] Löwith, Jacob Burckhardt. Der Mensch inmitten der Geschichte, in: Sämtliche Schriften, Bd. 7, S. 39-361, dort S. 84.
[19] Ebenda.
[20] Löwith verteidigt mit der in den 1930er Jahren „unzeitgemäßen“ historischen Kontemplation zugleich Burckhardts „menschlichen Gleichmut“ gegen Nietzsches „übermenschlichen Übermut“ und fragt: „Kann man dann aber in Nietzsche die ‚große Gesundheit’ und den ‚Pessimismus der Stärke’ sehen und in Burckhardt eine kleine Gesundheit und einen Pessimismus der Schwäche? Oder ist es nur die Verführung zum Äußersten, die ‚Magie des Extrems’, von der Nietzsche wußte, daß sie selbst seine Gegner bestrickt, welche taub macht gegen das Geheimnis der Mäßigkeit, das die nicht faßbare aber spürbare Überlegenheit Burckhardts ist, wogegen Nietzsches philosophisches Experiment ein Umschlag von einem Extrem (dem extremen Nihilismus) in das andere (die ewige Wiederkehr des Gleichen) ist?“ Vgl. ebenda, S. 83f.
[21] Löwith, Von Rom nach Sendai, S. 13.
[22] Birgit Pansa, Juden unter japanischer Herrschaft. Jüdische Exilerfahrungen und der Sonderfall Karl Löwith, München 1999, S. 77-106.
[23] Ebenda, S. 7.
[24] David Kranzler, Japanese, Nazis and Jews. The Jewish Refugee Community of Shanghai, 1938-1945, New York 1976.
[25] Marvin Tokayer / Mary Swartz, The Fugu Plan. The Untold Story of the Japanese and the Jews during World War Two, New York / London 1979; David. G. Goodman / Masanori Miyazawa, Jews in the Japanese Mind. The History and Uses of a Cultural Stereotype, New York 1995.
[26] Gerhard Krebs, Die Juden und der ferne Osten. Ein Literaturbericht, in: NOAG 175-176 (2004), S.229-269.- Vgl. auch die dort aufgeführten (deutschen, englischen und japanischen) Arbeiten: ebenda, besonders S.229f. und passim.
[27] Astrid Freyeisen, Shanghai und die Politik des Dritten Reiches, Würzburg 2000.
[28] Krebs, Die Juden und der ferne Osten, S. 242.
[29] Vgl. Tilman Allert, Das gebrochene Pathos der Auserwähltheit. Zwischen Stefan George und Georg Simmel: Eine intellektuelle Biographie Kurt Singers, in: Interkulturelle Singer-Studien. Zu Leben und Werk Kurt Singers. Hrsg. von Achim Eschbach/Viktoria Eschbach-Szabo/Nobuo Ikeda, München 2002, S.9-42.- Im Gegensatz zu Löwith hat Singer (1886-1962) ein posthum erfolgreiches Japan-Buch geschrieben: Mirror, Sword and Jewel. The Geometry of Japanese Life“ (London 1973).
[30] Vgl. Pansa, Juden unter japanischer Herrschaft, S.11ff. – Der Nachlass Löwiths (heute im Deutschen Literaturarchiv in Marbach) blieb ihr freilich unzugänglich.
[31] Ebenda, S.88.
[32] Ebenda, S.86.
[33] Ebenda, S.88.
[34] Vgl. Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft, München 1986, S.110ff. – Die englische Originalausgabe erschien 1951 unter dem Titel „The Origins of Totalitarianism“ in New York, die deutsche Erstausgabe in Frankfurt am Main 1958.
[35] Pansa, Juden unter japanischer Herrschaft, S.101.
[36] Arendt, Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft, S.126.
[37] Hannah Arendt, Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik, München 1981 (zuerst 1959), S. 209ff.-
[38] Ebenda, S. 226ff.
[39] Vgl. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, S.422ff.
[40] Pansa, Juden unter japanischer Herrschaft, S.90f.
[41] Vgl. Manfred Schneider, Die erkaltete Herzensschrift. Der autobiographische Text im 20.Jahrhundert, München/Wien 1986.
[42] Aus der zeitlichen Vorgabe „vor und nach dem 30.Januar 1933“ wird „vor und nach 1933“. Vgl. das Faksimile des Preisausschreibens in: Löwith, Mein Leben in Deutschland, ohne S.
[43] Löwith, Mein Leben in Deutschland, S.1 (Hervorhebungen im Text).
[44] Ebenda (Hervorhebungen im Text).
[45] Reinhart Koselleck, Vorwort, in: Löwith, Mein Leben in Deutschland, S. IX-XIV, dort S. XII.
[46] Löwith, Mein Leben in Deutschland, S.130.
[47] Ebenda, S.2 („Einleitung“).
[48] Ebenda, S.3.
[49] Der erste Teil des dem ersten Lehrer Edmund Husserl gewidmeten Buches (die Erstausgabe erschien ohne Untertitel 1941 im Europa-Verlag Zürich/New York) enthält „Studien zur Geschichte des deutschen Geistes im 19.Jahrhundert“, der zweite Teil „Studien zur Geschichte der bürgerlich-christlichen Welt“.- Vgl. Karl Löwith, Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des neunzehnten Jahrhunderts, Hamburg 1995, S. 15ff. bzw. S. 253ff.- Vgl. auch: Löwith, Sämtliche Schriften, Bd. 4, S.1-490.
[50] Vgl. Koselleck, Vorwort, S. XIV.
[51] Vgl. Namenregister mit Auflösung der Kürzeln, in: Löwith, Mein Leben in Deutschland, S.201-224; ebenso: Editorische Nachbemerkung, ebenda, S. 197-199.
[52] Vgl. Helmut Lethen, Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt am Main 1994, S. 16ff.
[53] Löwith, Mein Leben in Deutschland, S.126.
[54] Vgl. Löwith, Sämtliche Schriften, Bd. 2, S. 614ff.
[55] Karl Löwith, Der europäische Nihilismus. Betrachtungen zur geistigen Vorgeschichte des europäischen Krieges, in: Sämtliche Schriften, Bd. 2, S.473-540.
[56] Vgl. Sämtliche Schriften, Bd. 2, S. 541-555 (zuerst New York, 1942/43).
[57] Vgl. ebenda, S. 556-570 (zuerst New York, 1943).
[58] Löwith, Curriculum vitae, S.188.
[59] Thomas Pekar, Zwei Japan-Exilanten im Zweiten Weltkrieg als ‚unfreiwillige’ kulturelle Übersetzer: Karl Löwith und Kurt Singer, in: Übersetzung – Transformation. Umformungsprozesse in / von Texten, Medien, Kulturen. Hrg. von Hiroshi Yamamoto / Christine Ivanovic, Würzburg 2010, S. 151-161, dort S. 154.
[60] Ebenda, S.159.
[61] Vgl. Karl Löwith, Unzulängliche Bemerkungen zum Unterschied von Orient und Okzident, in: Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken. Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60.Geburtstag. Hrsg. von D.Henrich, W.Schulz, K.-H. Volkmann-Schluck, Tübingen 1960, S.141-170.- Vgl. Sämtliche Schriften, Bd. 2, S.571-601 („Unzulängliche“ ist dort im Titel gestrichen!).- Der 1950 veröffentlichte Aufsatz „Natur und Geschichte“ spielt ähnlich auf den Kontrast zum „östlichen Denken“ an, das weder „den uns geläufigen Gegensatz von Natur und Geschichte“ noch den von „Welt und Geschichte“ kenne, weil ihm geschichtliches Denken überhaupt fremd sei.- Vgl. Sämtliche Schriften, Bd. 2, S. 280-295, dort S. 285ff.
[62] Löwith, Der europäische Nihilismus, S. 528.
[63] Vgl. Karl Löwith, Heidegger, Denker in dürftiger Zeit, Frankfurt a. Main 1953 (auch in: Sämtliche Schriften, Bd. 8.)
[64] Karl Löwith, Noch ein Nachwort, in: Mein Leben in Deutschland, S. 171-173, dort S. 172.
[65] Adolf Muschg, Meine Japanreise mit Karl Löwith, in: Löwith, Von Rom nach Sendai. Von Japan nach Amerika, S. 111-155, dort S. 124.
[66] Vgl. zum „Alt-Japan-Topos“: Thomas Pekar, Der Japan-Diskurs im westlichen Kulturkontext (1860-1920). Reiseberichte – Literatur – Kunst, München 2003, S. 172ff.
[67] Löwith, Curriculum vitae, S.187.
[68] Ebenda.
[69] André Leroi-Gourhan, Pages oubliées sur le Japon. Recueil posthume établi par Jean-FranVois Lesbre, Grenoble 2004.
[70] Leroi-Gourhan hat seine von Japan ausgehende Kulturanthropologie der Technisierung durch das menschlicher Kommunikationstechnik gewidmete Werk „Le Geste et la parole“ fortgeführt, das in zwei Bänden 1964 und 1965 in Paris erschien: „Technique et langage“ und „La Mémoire et les rythmes“.
[71] Löwith, Curriculum vitae, S. 187.
[72] Löwith, Der europäische Nihilismus, S. 536.
[73] Ebenda, S. 537.
[74] Muschg, Meine Japanreise mit Karl Löwith, S. 131.
[75] Löwith, Der europäische Nihilismus, S.533 (Hervorhebungen im Text!).
[76] Ebenda, S. 538.
[77] Hans-Georg Gadamer, Karl Löwith zum 70.Geburtstag, in: Natur und Geschichte. Karl Löwith zum 70.Geburtstag. Hrg. von Hermann Braun / Manfred Riedel, Stuttgart 1967, S. 455-457, dort S.456.
[78] Muschg, Meine Japanreise mit Karl Löwith, S. 133.
[79] Ebenda, S.142.
[80] Löwith, Der europäische Nihilismus, S.538.
[81] Löwith, Von Japan nach Amerika, S. 101 (Hervorhebung im Text).
[82] Löwith, Von Rom nach Sendai, S.95.
[83] Vgl. Wolfgang Wilhelm, Drei bedeutende deutsche Denker in Sendai: Herrigel, Löwith, Singer. Ein Kapitel internationaler Wissenschaftsgeschichte, Teil II: Kurt Löwith, in: Jahresmitteilungen der Japanisch-Deutschen Gesellschaft Sendai 2, Sendai 1985, S.1-14; im Internet unter www.jdg-sendai.jp/Teil/Teil2_Germany.pdf.
[84] Löwith, Curriculum vitae, S.187.
[85] Vgl. Silvio Vietta, Europäische Kulturgeschichte. Eine Einführung, Paderborn/München 2007, S. 69ff.
[86] Zu diesem „Weg“ aufschlussreich: Manfred Riedel, Karl Löwiths philosophischer Weg, in: Heidelberger Jahrbücher 14 (1977), S. 120-133.
[87] Vgl. Frank-Rutger Hausmann, Karl Löwith in Japan, in: IZPh 17/ 2 (2008), S. 79-126.- Auch Wolfgang Schwentker, Spezialist für die japanische Max Weber-Rezeption, beurteilt Löwiths Japan-Aufenthalt in diesem Zusammenhang eher zurückhaltend: Vgl. Wolfgang Schwentker, Karl Löwith und Japan, in: AfK 76/2 (1994), S. 415-449.
[88] Löwith, Von Hegel zu Nietzsche, S. 8 („Vorwort zur ersten Auflage“, 1939).- Vgl. auch: „Die Wandlung des Geistes der Zeiten zum Zeitgeist“, ebenda, S. 220ff.
[89] Vgl. Löwiths phänomenologische „Strukturanalyse des Miteinanderseins“ in seiner Marburger Habilitations-Schrift von 1928: Karl Löwith, Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen, in: Sämtliche Schriften, Bd. 1, S. 9-197, dort S. 29ff.
[90] Löwith, Von Hegel zu Nietzsche, S. 7 („Vorwort“, 1939).
[91] Ebenda, S. 9.
[92] Ebenda, S. 7.
[93] Löwith, Sämtliche Schriften, Bd. 6, S. 101-384, dort S. 103.
[94] Löwith, Von Hegel zu Nietzsche, S. 8.
[95] Löwith, Sämtliche Schriften, Bd. 2, S. 7-239.
[96] Löwith, Sämtliche Schriften, Bd. 2, S. 240-279, dort S. 258f.
[97] Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit. 12.Aufl., Tübingen 1972, S. 231ff. („Zweiter Abschnitt: Dasein und Zeitlichkeit“).
[98] Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, S. 12.
[99] Ebenda, S. 30ff.
[100] Ebenda, S. 14.
[101] Ebenda, S. 179f.
[102] Wiebrecht Ries, Karl Löwith, Stuttgart 1992, S. 8.
[103] Vgl. Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit. Erneuerte Ausgabe, Frankfurt am Main 1996, S. 135ff.- (Zuerst: Frankfurt am Main 1966). Blumenberg geht ab der erweiterten Auflage der ersten beiden Teile (unter dem Titel „Säkularisierung und Selbstbehauptung“) dabei auch auf eine Besprechung seines Buches durch Löwith 1968 ein: Vgl. Karl Löwith, Besprechung des Buches ‚Die Legitimität der Neuzeit’ von Hans Blumenberg, in: Sämtliche Schriften, Bd. 2, S. 452-459.
[104] Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, S. 86.- Auf die deutsche geschichtstheoretische Debatte über „Säkularisierung“, in der sich neben Karl Löwith und Hans Blumenberg auch Löwiths Freund aus der Marburger Zeit, Leo Strauß, sowie Carl Schmitt, Rudolf Bultmann und Reinhart Koselleck zu Wort meldeten, kann hier nicht eingegangen werden.
[105] Ebenda, S. 36f. (Hervorhebung im Text).
[106] Ebenda, S. 36.
[107] Vgl. Löwith, Jacob Burckhardt. Der Mensch inmitten der Geschichte, S. 327ff.
[108] Ebenda, S. 348.
[109] Löwith, Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen, S.338.