Vorlesung Keio 2010/2011
Liebe – Passion und Paradox
Die Systemtheorie des deutschen Soziologen Niklas Luhmann (1927-1998) beschreibt die Gesellschaft in vielfältigen Paradoxien, die der Komplexität heutigen Lebens und Erlebens entsprechen. „Liebe“ ist nicht nur ein altes Thema von Mythologie, Theologie und Philosophie (vgl. eros, philia, agape, amor, amicitia, caritas), nicht nur ein literarisches Motiv mit reicher Tradition (vgl. Ovid, musa iocosa, Minne, Petrarkismus, Galanterie, Libertinage, Romantische Liebe). „Liebe als Passion“ kann auch als anthropologisches Phänomen beobachtet werden, das ähnlich wie Recht und Solidarität unbestreitbare Bedeutung für ein gelingendes Zusammenleben der Menschen hat. In der heutigen funktional ausdifferenzierten Gesellschaft hat Luhmann Liebe als „symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium“ entdeckt, das Unwahrscheinliches wahrscheinlich machen soll. Liebe als Medium ist für Luhmann kein Gefühl, sondern ein Kommunikationscode der Intimität, nach dessen Regeln man Gefühle ausdrücken, bilden, simulieren, leugnen, anderen unterstellen und auch in ihren Folgen antizipieren kann.
Luhmanns systemtheoretische Evolutionsbeschreibung der gesellschaftlichen Liebessemantik soll von Fall zu Fall an ausgewählten theoretischen und literarischen Texten seit dem 18.Jahrhundert überprüft werden.
Texte:
Niklas Luhmann: Liebe. Eine Übung. Hg. v. A.Kieserling, Suhrkamp, Frankfurt a. Main 2008.
Niklas Luhmann: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität (1982), Suhrkamp stw 1124, Frankfurt a. Main 1994.
Literarische Texte:
0.
Anonym, aus Tegernseer Briefsammlung
>> Dû bist mîn, ich bin dîn (um 1180)
Walther von der Vogelweide (1170-1230)
>> Unter der linden
Francesco Petrarca (1304-1374)
>> Canzoniere , 132
1.
Friedrich Schlegel (1772-1829)
>> Lucinde. Ein Roman (1799)
2.
Wolfgang von Goethe (1749-1832)
>> Die Leiden des jungen Werthers (1774)
Goethe
>> Heidenröslein (1771)
>> Maifest (1771/1774)
3.
>> Die Wahlverwandtschaften (1809)
4.
>> Der Bräutigam (1824)
Heinrich Heine (1797-1856)
>> Sie saßen und tranken am Teetisch (1823)
5.
Charles Baudelaire (1821-1867)
>> À une passante (1857) – Einer Dame (1923, Übersetzung von Walter Benjamin)
Richard Wagner (1813-1883)
>> Tristan und Isolde (1859, Uraufführung München 1865)
Gustav Mahler (1860-1911)
>> Rückert-Lieder (1901/1902) - Texte von Friedrich Rückert (1788-1866)
7.
Rainer Maria Rilke (1875-1926)
>> Liebes-Lied (1907)
Kurt Schwitters (1887-1948)
>> An Anna Blume (1920)
8.
Bertolt Brecht (1898-1956)
>> Die Liebenden (1928)
Erich Kästner (1899-1974)
>> Sachliche Romanze (1928)
9.
Roland Barthes (1915-1980)
>> Fragments d’un discours amoureux (1977) – Fragmente einer Sprache der Liebe
10.
Lydia Mischkulnig (1963-)
>> Türen schließen, aus: Macht euch keine Sorgen. Neun Heimsuchungen (2009)
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