Aura
„Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück.“ (1) Die theoretische Annäherung an das, was durch die Kontroversen der Rezeptionsgeschichte hindurch heute als Walter Benjamins Begriff der Aura gilt oder zu gelten hat, soll im Folgenden in drei Schritten versucht werden. Zunächst geht es im Rückschritt zu Benjamins Sprach- und Geschichtsauffassung darum, auf dem Wege der Problematisierung des Begriffs die grau gewordenen Schleier ideologischer Funktionalisierungen zu lüften. Der Begriff der Aura kann durch die Bestimmung seiner Grenzen in dem Maße erweitert werden, als Analyse an die Stelle von Rezeption tritt und der unterstellte Einheitsbegriff als Konstruktion der Nachgeschichte erkennbar wird. Den zweiten und gewichtigsten Schritt bildet deshalb die Darstellung der Begriffsverwendungen Benjamins von Aura selbst, wobei das Studium der wesentlichen Quellen schon vorab darauf achtet, Kontinuitäten und Diskontinuitäten gleiche Aufmerksamkeit einzuräumen. Zum Schluß soll diese diachronische Darstellung in einer typologischen Betrachtung der wesentlichen Bedeutungsformen zusammengefaßt werden. Schlüssige Differenzierung tut not im Interesse eines aufgeklärten Umgangs mit Begriff und Sache, will man sich nicht länger durch die Konturlosigkeit von Erscheinungen, die „auratisch“ ausstrahlen, blenden lassen. Die übliche Unschärfe des geläufigen Begriffs darf nicht mehr ohne weiteres hingenommen werden; ebenso wenig die Versicherung, daß dem unscharfen Begriff der Aura eben die Unschärfe des bezeichneten Phänomens entspreche. So weist etwa die poetische Analogie zum Kaleidoskop, das unter der Hand mit jeder Wendung durch unterschiedliche Ansichten überrascht, erst gerade auf das Wahrnehmungswunder hin, worauf dann die profane Erklärung der übersinnlichen Entdinglichung auf der begrifflichen Ebene zu folgen hat.
„Was ist eigentlich Aura?“ Die direkte Frage nach dem, was das zuerst aus der Mystik bekannte Phänomen „eigentlich“ ist, hat Walter Benjamin sowohl in der Studie Kleine Geschichte der Photographie (II/1, S.378) von 1931 als auch in den ersten beiden Fassungen der Abhandlung Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (I/2, S.440; VII/1, S.355) von 1935/36 gestellt. Seine Antworten zu Wort und Sache sind bekanntlich hier wie dort und auch anderenorts - einschließlich der dritten und letzten Fassung des Kunstwerk-Aufsatzes - weniger direkt und eindeutig ausgefallen. Bertolt Brecht hat dahinter in divinatorischer Vereinfachung einen „spleen“ Benjamins vermutet. Trotz aller Wertschätzung für den feinsinnigen Kritiker führten ihm starke Bedenken die Feder, wenn er in seinem Arbeitsjournal am 25.7.1938 im Kontext von Benjamins Baudelaire über „aura“ vermerkt:
„merkwürdigerweise erlaubt ein spleen benjamin, das zu schreiben. Er geht von etwas aus, was er aura nennt, was mit dem träumen zusammenhängt (dem wachträumen). Er sagt: wenn man einen blick auf sich gerichtet fühlt, auch im rücken, erwidert man ihn(!). die erwartung, daß, was man anblickt, einen selber anblickt, verschafft die aura. Diese soll in letzter zeit im zerfall sein, zusammen mit dem kultischen. b[enjamin] hat das bei der analyse des films entdeckt, wo aura zerfällt durch die reproduzierbarkeit von kunstwerken. alles mystik, bei einer haltung gegen mystik. in solcher form wird die materialistische geschichtsauffassung adaptiert! es ist ziemlich grauenhaft. (2)
Das, was Benjamin „Aura“ nennt, wird durch Brechts Aufzeichnung zwar nicht auf den Begriff, immerhin aber auf den denkbar knappsten Widerspruch gebracht: „alles mystik, bei einer haltung gegen mystik.“ Ist es möglich, diesen pointierten Befund und Brechts damit einhergehende, im Hinblick auf „die materialistische geschichtsschreibung“ ablehnende Haltung auseinanderzuhalten? Dann könnte in der Aufklärung von Mystik, die Mystik als Mystik, d.h. als besondere Erfahrung und spezifischen Ausdruck, „materialistisch“ ernst nimmt, Problem und Ursache der monierten mangelnden Klarheit zumindest benannt werden: „alles mystik“ trifft nicht auf Benjamins Darstellung zu, allenfalls auf die Sache, nicht auf Benjamins Verfahren, allenfalls auf die verhandelte Erfahrung. Die situative Apposition „bei einer haltung gegen mystik“ räumt ihrerseits ein, daß Benjamins „haltung“ durchaus auf Aufklärung aus sei, wenn auch in der ungeeigneten „form“ am wohl auch ungeeigneten Gegenstand. Dabei schiebt Brecht auf eine subjektive Eigenart Benjamins ab, was dieser selbst als „objektive“ Tendenz und geschichtsphilosophische Signatur der Epoche zu entziffern sucht. Was Brecht im ironischen Rückbezug auf Benjamins Baudelaire-Interpretationen einen kongenialen „spleen“ Benjamins selber nennt, kann durch Adornos ganz anders akzentuierte, philosophische Charakteristik Walter Benjamins von 1950 erhellt werden. Adornos Würdigung des seit 10 Jahren toten Freundes und Mitarbeiters des Instituts für Sozialforschung gipfelt in der Behauptung, es hätten „in ihm ein letztes Mal Mystik und Aufklärung sich zusammengefunden“ (3). Adornos Behauptung widerspricht ganz und gar der abwertenden Stellungnahme Brechts („es ist ziemlich grauenhaft“), um doch gleichzeitig in der Sache nur Brechts analytischen Befund einer fundamentalen Paradoxie zu bestätigen: „Der Gedanke soll die Dichte der Erfahrung gewinnen und doch auf nichts von seiner Strenge verzichten.“ (4)
Zwar steht der relativen Konvergenz im sachlichen Befund bei Adorno und Brecht eine deutliche Divergenz im jeweiligen „ideologischen“ Werturteil gegenüber, wodurch die für Benjamins kontroverses Nachleben so wichtigen wie gegensätzlichen Freunde zudem ausreichend Wasser auf die Mühlen parteilicher Diskurskämpfe geleitet haben. Setzt man dagegen den „ideologischen“ Kampf zunächst in Klammern, so scheint gerade diese erstaunliche Konvergenz im sachlichen Befund geeignet, einen neuen Zugang zu dem unvermeidlichen Paradoxon von Benjamins Begriff der Aura zu eröffnen. Der performative Widerspruch einer „Definition des Undefinierbaren“ (5) legt nahe, daß es mehr auf die richtige Frage nach dem „mystischen“ Phänomen ankommt als auf die bestimmte, durch eine (im weitesten Sinne) ideologische Vernunft je einseitig begrenzte Antwort. Der „existenzialen“ Form zum Trotz ist Benjamins Frage nach dem „Eigentlichen“ der Aura jedoch auch kaum im ontologischen Sinn einer „Daseinsanalytik“ (6) zu verstehen, wie sie Heideggers Sein und Zeit 1927 propagierte. Im theoretischen und historischen Kontext von Benjamins „Urgeschichte“ (Br 2, S.664) der Moderne weist sie eher auf semantische Zweideutigkeiten und pragmatische Ambiguitäten zurück, die dem der Mystik in aufklärerischer Absicht entlehnten Begriff bis in seine strategischen Verwendungen hinein selber anhaften. Schillernd wie die durch die Frage bezeichnete Semantik ist das sprachliche Zeichen selber nach Herkunft und Gestalt, schillernd auch die Pragmatik des Begriffs. Zumindest erklärungsbedürftig müssen bis heute die bekannten „Definitionen“ der Aura erscheinen, die Benjamin im geschichtsphilosophischen Bewußtsein ihres „Verfalls“ und im avantgardistischen Bekenntnis zu ihrer „Zertrümmerung“ in den dreißiger Jahren vorgeschlagen hat. Nur exemplarisch sei hier einerseits an die raum-zeitliche Bestimmungsformel erinnert, die da lautet: „einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“ (II/1, S.378; I/2, S.440; VII/1, S.355; I/2, S.479), andererseits an das ja von Brecht auf das „träumen“ und den „spleen“ Benjamins zurückgeführte Bild von der menschlichen „Belehnung“ einer „Erscheinung“ mit dem Vermögen, „den Blick aufzuschlagen“ (I/2, S.646 f.), das die 1939 beendete Arbeit Über einige Motive bei Baudelaire skizziert.
Ungeachtet dieser unvermeidlichen Paradoxien hat der popularisierte Grundgedanke des Kunstwerk-Aufsatzes, die vielfältigen Tendenzen der modernen Kunst als einen Verfallsprozeß der Aura namhaft zu machen, seit der Benjamin-Renaissance der sechziger Jahre zu einer wahren Flut von sekundären, durch Benjamin mehr oder weniger vermittelten Bezugnahmen auf den Begriff geführt. Diese vielfach ideologisch unterwanderte, kunsttheoretische Auseinandersetzung, deren Ende auch heute noch nicht ganz abzusehen ist, kann ihren blinden Fleck nur schlecht verbergen. Weil sie den Begriff der Aura nicht mit der wünschenswerten Klarheit zu fassen bekommt, fehlt ihren Darstellungen und Erörterungen nur zu häufig Stringenz und Kohärenz. Nicht zu übersehen ist, daß es trotz mancherlei erhellender Kommentare auch den Benjamin-Philologen bis heute noch kaum gelungen ist, den Deutungsspielraum seiner Fragestellungen und Definitionsvorgaben auf verbindliche Weise zu begrenzen. Die durch erstaunliche Steigerungsraten bestimmte Rezeption der letzten Jahre hat im Hinblick auf den Schlüsselbegriff der Aura gezeigt: Es „geht im Umgang mit Benjamin alles.“ Und - wie die Herausgeber der Literatur über Walter Benjamin 1993 richtig anschließen: „Das Heterodoxe seines Denkens leistet dem Vorschub.“ (7) Der seines ominösen Charakters wegen nach wie vor umstrittene Begriff der Aura erfüllt wie kein anderer der von Benjamin verwendeten Begriffe jenen unleugbaren Tatbestand, den Wissenschaftstheoretiker und Methodenkritiker leicht in den Vorwurf ummünzen konnten: Benjamins Begriffe erklären nichts, sie sind vielmehr selber höchst erklärungsbedürftig.
Eine erste Annäherung an das, was es mit Benjamins Begriff der Aura auf sich hat, mag angesichts solcher Unübersichtlichkeit zunächst darin bestehen, sich über seinen begrifflichen Status zu verständigen. Möglicherweise ist auf diesem Weg das Gestrüpp falscher Erwartungen und vorschneller Funktionalisierungen schon etwas zu lichten. Was sich im Begriff der Aura als Unbestimmtes präsentiert, das dadurch zum synthetischen Ausdruck von Heteromorphem tauglich scheint, tut dies gerade durch Überdeterminierung: Als Unbestimmtes ist es bereits Resultat vielfältiger Bestimmungen. Diese Bestimmtheit des Unbestimmten teilt der Begriff der Aura zumindest formal mit dem der authentischen Wahrheit. Benjamin hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß „Wahrheit“ nicht per definitionem eingefangen und dingfest gemacht werden kann. Auffällig ist, daß in seinen erkenntnistheoretischen Überlegungen der definierte „Begriff“ nur zu häufig das diskursive Feld epistemologischen Konzepten von „Idee“, „Name“ und „Bild“ überläßt. Die frühen Modelle von „Idee“ und „Name“, die seine physiognomische Theorie und Praxis der Sprache bestimmen, und die späteren von „Bild“ und „Dialektik im Stillstand“, die seine Urgeschichte der Moderne organisieren, verbieten übereinstimmend, Begriffe als bloße Werkzeuge einer vorab finalisierten Erkenntnis zu verstehen. Wahrheit ist eher als intentionsloses „Sein“ im Medium der Sprache anzunehmen, welches nie in ein „Haben“ oder instrumentelles Verfügen überführt werden kann. Diese Auffassung impliziert eine kritische Revision der „leichtfertigen Erledigungen“ neuzeitlicher Wissenschaftsrationalität und Vernunft-Aufklärung, die mit der Illusion vom einmaligen „Gang der Dinge vom Mythos zum Logos“ (8) den Ausschluß von Mythos und Theologie, Magie und Mystik begründen. Kritik am Optimismus des „rationalen“ Fortschrittdenkens und rettende Kritik der als Irrationalismen zurückgelassenen Restbestände verschränken sich deshalb im lebenslangen Revisionsbemühen Benjamins, das zuerst auf eine „kommende Philosophie“ (II/1, S.157 ff.), zuletzt auf eine so noch nicht dagewesene „materialistische Geschichtsschreibung“ (I/2, S.702) setzt.
Durch die konstitutive Beziehung auf die Sprache, wie sie aus der Perspektive Benjamins „schon zu Kants Lebzeiten Hamann versucht hat“ (II/1, S.168), soll begriffliche Erkenntnis ihre methodische Ausschließlichkeit gegenüber Bild und sprachlicher Offenbarung verlieren. Dieser Öffnungsstrategie dient Benjamins philologische Umfunktionierung der Idee der „Lesbarkeit der Welt“, wie sie der rhetorische Topos vom „Buch als Symbol“ (9) in Mittelalter und Humanismus versprochen hat. Im Zitat seiner Pathosformel riskiert eine erkenntnistheoretische Überlegung zum Passagen-Werk den programmatischen Anspruch, nochmals „das Buch des Geschehenen“ aufzuschlagen:
„Die Rede vom Buch der Natur weist darauf hin, daß man das Wirkliche wie einen Text lesen kann. So soll es hier mit der Wirklichkeit des neunzehnten Jahrhunderts gehalten werden.“ (V/1, S.580)
Eine aus wissenschaftlichen Methodenzwängen befreite begriffliche Erkenntnis kann durch dieses „Lesen“ im Gegenzug rezeptive Offenheit für mimetische Ähnlichkeiten und Analogien zurückgewinnen: „Was nie geschrieben wurde, lesen.“ (II/1, S.213) Die rezeptive Offenheit des „Lesens“ bezeichnet für Benjamins „Urgeschichte“ das methodisch unmethodische Äquivalent jener „gleichschwebenden Aufmerksamkeit“, die Freuds Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung (10) 1912 als die besondere Art und Weise bestimmten, wie der Analytiker dem Analysanden zuhören solle, um die vorschnelle Reduktion der psychischen Komplexität des Einzelfalls durch selektive Aufmerksamkeit zu verhindern. Freuds technische Empfehlung bildet das Gegenstück zu der dem Analysanden vorgeschlagenen Regel der freien Assoziation: Der Analytiker soll beim Zuhören kein Element a priori bevorzugen, was einschließt, daß er seine eigenen unbewußten Antriebe so frei wie möglich wirken läßt, zugleich aber die Motivationen unterbricht, die gewöhnlich die Aufmerksamkeit lenken. Nach Freuds Muster einer experimentell kontrollierten Kommunikation von Unbewußt zu Unbewußt geht Benjamins rezeptive Offenheit des „Lesens“ daran, im Hier und Jetzt der gewöhnlichen Wahrnehmung den zeitlichen Abgrund des Ephemeren und Ewigen am Wirklichen zu eröffnen. Als „gleichschwebende“ und dabei doch äußerst intensive Aufmerksamkeit ist sie so auch jener „Aufmerksamkeit“ verwandt, die sein Essay Franz Kafka in Anlehnung an Malebranche „das natürliche Gebet der Seele“ (II/2, S.432) nennt. Profanes so zu betrachten als wäre es ein Heiliges, macht einen durchgängigen Zug in der Charakteristik Benjamins aus. Schon beim frühen Benjamin erscheint im Zentrum der Kant-Revision und ihrer Kritik des Subjekt-Objekt-Dualismus als Konsequenz die Rückkoppelung der Erkenntnis an die philosophische „Dignität einer Erfahrung die vergänglich ist“, wodurch ihre gesamte Struktur „als eine singulär zeitliche“ (II/1, S.158) bestimmt wird.
Erst „die kopernikanische Wendung in der geschichtlichen Anschauung“ (V/2, S.1057) führt aber Erkenntnis und Erfahrung aus der wahren Welt der Sprache in die Warenwelt der Moderne. An den pathologischen Entstellungen der Moderne nimmt Benjamin eine Art von kollektiver Psychoanalyse in Angriff: Der „Traumkitsch“ (II/1, S.620) der anonymen Alltagskultur soll durch den zugleich ethnologischen, archäologischen und philologischen Blick auf die ephemere Dingwelt der eigenen Lebenswelt als Palimpsest bzw. als Schrift des kollektiven Unbewußten lesbar werden. Aufmerksamkeit erregt im Medium von Bild und Sprache weniger das Neue der Leuchtreklamen als vielmehr das ins Abseits verdrängte „Veraltete“, das auch einmal neu war, jene aus der Mode gekommenen „Gegenstände, die anfangen auszusterben“ (II/1, S.299). In der Begegnung mit Paris und dem Surrealismus entdeckt Benjamin die „dialektische Struktur des Erwachens“ (V/2, S.1058). Am geschichtlichen Gegenstand als Monade wird jene „Dialektik im Stillstand“ generiert, die das Projekt der „Urgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts“ (V/1, S.579) trägt: „Und Erwachen ist der exemplarische Fall des Erinnerns“ (V/2, S.1057). Benjamins Kritik gilt nunmehr allen Formen historistischer Vergegenwärtigung, die durch „Einfühlung in den Sieger“ (I/2, S.696) die erbauliche Fernstellung des Vergangenen betreiben, indem sie sich auf den Schein ungebrochener Kontinuität zwischen einem Einst und dem Heute verlassen. Demgegenüber soll „Erwachen“ ein „noch nicht bewußtes Wissen vom Gewesenen“ (V/2, S.1058) zutage fördern, das über „die Tradition der Unterdrückten“ (I/2, S.697) belehrt. Am Traum des Gewesenen, das selbst im Traumbild des „Jüngstvergangenen“ (V/1, S.47) doch immer zugleich als das „Von-jeher-Gewesene“ (V/1, S.580) und „Urvergangene“ (V/1, S.47) erscheint, übernimmt historisches Erwachen „die Aufgabe der Traumdeutung“ (V/1, S.580). Es gilt, eine Prophetie auf die Wachwelt der Gegenwart zu erkennen, die erst hier und jetzt mit dem zeitlichen Abstand sichtbar werden konnte. Das dialektische Bild verleiht der Erkenntnis „im Augenblick der Gefahr“ (I/2, S.695) die Aktualität eines unvordenklichen Ereignisses: In Konstellationen und Konfigurationen diskontinuierlicher, Vergangenheit und Gegenwart „gegen den Strich“ (I/2, S.697) fusionierender Elemente „blitzt“ sie „im Jetzt der Erkennbarkeit“ (V/1, S.591 f.) auf.
Die durch die positivistische Wissenschaftstheorie und Linguistik verfügte Unterscheidung zwischen Objektsprache und Metasprache greift bei Benjamins eigentümlicher Begriffsbildung nicht. Gerade der aus der mystischen Tradition zitierte Begriff der Aura kann als exemplarischer Fall der Begrifflichkeit Benjamins angesehen werden: Der analytische Dualismus der Erkenntnis von Gegenstand und Methode, von Subjekt und Objekt, wird in die Trias von Sache (Erfahrung), Darstellung (Verfahren) und Medium (Sprache) übersetzt. Benjamin geht nicht vom abstrakten Vorrang eines axiomatischen Systems und entsprechender, einzelner Grundbegriffe und Prämissen aus. Er setzt vielmehr auf die nichtintentionale Medialität der Sprache, welche nicht nur der frühen Sprachphilosophie, sondern auch der 1933 mit programmatischem Anspruch skizzierten, anthropologischen Lehre vom Ähnlichen das eigentliche Thema vorgibt. Letztere gipfelt - folgt man dem Schluß der zweiten Fassung Über das mimetische Vermögen - in der Auffassung, daß „die Sprache die höchste Stufe des mimetischen Verhaltens und das vollkommenste Archiv der unsinnlichen Ähnlichkeit“ darstellt: „ein Medium, in welches ohne Rest die früheren Kräfte mimetischer Hervorbringung und Auffassung hineingewandert sind, bis sie so weit gelangten, die der Magie zu liquidieren.“ (II/1, S.213) Diese Lehre verweist deutlich auf jenen „anthropologischen Materialismus, wie die Erfahrung der Sürrealisten und früher eines Hebel, Georg Büchner, Nietzsche, Rimbaud ihn belegt“ (II/1, S.309 f.). Benjamins Essay Der Sürrealismus. Die letzte Momentaufnahme der europäischen Intelligenz“ konstatiert 1929: „In einer profanen Erleuchtung, einer materialistischen, anthropologischen Inspiration“, die zugleich „die wahre, schöpferische Überwindung religiöser Erleuchtung“ (II/1, S.297) darstellt, haben auf dem Weg der surrealistischen Traumexperimente mit dem kollektiven Unbewußten „Bild und Sprache“ (II/1, S.296) den Vortritt vor dem „Sinn“ und dem „Ich“ (II/1, S.297) gewonnen. Infolgedessen kann sich Benjamins Entfaltung der „Begriffe“ durch textuelle Darstellung an die nichtintentionale Sprachbewegung selber halten, die von der konkreten Erfahrung bzw. der empirischen Sache den physiognomischen Abdruck nimmt. Diese Nähe zum spielerischen Umgang der Surrealisten mit kollektiven und individuellen Mythen, worin sich nach dem Modell der „écriture automatique“ Verzauberung und Entzauberung unversehens verschränken, mag den Verdacht spielerischer Mystifikation auch auf Benjamins Begriffsbildung ziehen. Die „ethnologische“ Aufmerksamkeit für unhintergehbare Wahrnehmungsweisen in Verbindung mit dem vielfach unbewußten Ausdrucks- und Ereignischarakter der - kollektiven - Sprache kann jedoch nicht einfach als fragwürdiges Ideal mimetischer Unmittelbarkeit abgetan werden. Noch viel weniger ist die „archäologische“ Rücksicht auf die nichtintentionale Medialität der Sprache schon als private Sprachmystik zu disqualifizieren. Es mag gegenüber solchen und ähnlich pauschalen Verurteilungen (die den Gegner dort schlagen wo er gar nicht ist) hier der Hinweis genügen, daß der Kritiker Benjamin in seinen Rezensionen humanwissenschaftlicher Bücher gerade mangelnde Schärfe der Begriffe im Verein mit fehlender Kohärenz und Konsistenz der Darstellung unerbittlich anprangerte. (11)
Was sich im Begriff der Aura als Unbestimmtes mitteilt, kann am ehesten im Umkreis jenes „anthropologischen Materialismus“ aufgeklärt werden, der als eine Art kollektiver Psychoanalyse antritt, nicht nur „Leib“ und „physische Kreatur“ (II/1, S.309), sondern mehr noch Bild und Sprache aus der Herrschaft der „moralischen Metapher“ (II/1, S.309) und der bewußtlosen Metaphysik zu befreien. Im Blick auf den Begriff der Aura empfiehlt es sich, zu dem sprachphilosophischen „Urproblem“ (II/1, S.142) zurückzugehen, das schon Benjamins frühes Traktat von 1916 Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen thematisiert: Sprache bringt über ihre Mitteilungsfunktion hinaus etwas performativ zum Ausdruck, was sie selbst gar nicht aussagt und was deshalb auch nicht in die logische Form einer Aussage übersetzt werden kann. Diesem Problem, das „nicht mehr kontemplativ zu bewältigen ist“ (II/1, S.309), stellen sich Benjamins Begriffe im Strudel ihres rhetorisch-diskursiven Vollzugs als „Sprachfiguren“ (12). Einerseits gewinnt der Ausdruck „Aura“ erst mit Benjamin philosophische Bedeutung; andererseits stellt er keine begriffliche Neuschöpfung dar, sondern fungiert als Zitat der mystischen Tradition. Die Magie des Namens vereinigt in einem Spektrum von Ähnlichkeiten Zeichen und Sache, Metaphysik des Bedeutens und Empirie des sprachlichen Materials. Bei den alten Griechen und Römern zunächst „Hauch“, „Lufthauch“, „Schimmer“ (aura bzw. aura), wird „Aura“ in der esoterischen Kabbala zum „Äther, welcher den Menschen umgibt und in dem seine Taten bis zum Jüngsten Gericht aufbewahrt werden“ (13). Benjamins Aura-Zitat der mystischen Tradition steht nicht nur für eine zitierende Begriffsbildung, sondern darüber hinaus für einen philologisch gebrochenen, indirekten „Stil“. Die Pragmatik des Zitats hat anderes als die bloße Wiederholung einer vergangenen und vergehenden Tradition im Sinn. Retten geht nicht im Bewahren von Vergangenem auf, setzt vielmehr eine entschiedene Traditionswahl voraus: Tempo, Beschleunigung, Zeitnot und Zeitdruck bewirken im 20.Jahrhundert, daß weniges aus der Tradition zu retten wertvoller erscheint als vieles von ihr nur zu bewahren. Zwar kommt Benjamins Pragmatik des Zitats ohne Anleihen bei der Philologie des 19.Jahrhunderts nicht aus. Zugleich aber ist die beharrliche Suche im Labyrinth der „alten“ Bedeutungen, Verweisungen und Ähnlichkeiten schon Teil des Vorhabens, „mit der geschliffenen Axt der Vernunft“ reiche „Gebiete urbar“ zu machen, „auf denen bisher nur der Wahnsinn wuchert“ (V/1, S.570). Philologische Aufklärung durch das Zitat heißt bei Benjamin, auf dem Wege strategischer Eingriffe das Labyrinth der sprachlichen Tradition „vom Gestrüpp des Wahns und des Mythos“ (V/1, S.571) zu reinigen. So ist nicht verwunderlich, daß Benjamin weder eine neue Terminologie geschaffen noch (im deutlichen Unterschied zu Adorno und cum grano salis zu der Frankfurter Schule) einen bestimmten philosophischen Jargon entwickelt hat. Im Streit um das entscheidende Projekt der „Urgeschichte des 19. Jahrhunderts“ behauptet er in den dreißiger Jahren gerade gegenüber Adorno mit Nachdruck die Auffassung, daß „die Philosophie einer Arbeit nicht sowohl an die Terminologie als an ihren Standort gebunden ist“ (Br 2, S.664).
„An ihren Standort gebunden“ setzt Benjamins Begrifflichkeit bei der medialen Seite der tradierten Sprache an. Im Merken auf den physiognomischen Ausdruckscharakter der Sprache weiß sie sich selber in der Tradition der jüdischen Mystik und der Kabbala einerseits, der sprachphilosophischen Romantik von Hamann bis Humboldt andererseits. Ihre besondere Begriffsbildung ist nicht auf das formalistische Muster einer instrumentellen Selektion isolierter Worte und Begriffe zurückzuholen, welche nur nachträglich durch onomatopoetische Konjekturen und metaphorische Etymologien angereichert worden wären. Auf Benjamins profane Rettung der medialen Sprachmagie durch ihren reinigenden Vollzug trifft vielmehr zu: „Im Jetzt der Erkennbarkeit“ stellen vielfältige, durch „unsinnliche Ähnlichkeit“ bestimmte Korrespondenzen einen philologischen Verweisungszusammenhang bereit, der gerade im Zitat von „Namen“ zum Ausdruck kommt. Indem Benjamins rettende Philologie mimetisch indirekt mit und in der „alten“ Sprache verfährt, nimmt sie - „mit der geschliffenen Axt der Vernunft“ (V/1, S.570) - bewußt vielerlei rhetorische Umwege durch das Dickicht der Überlieferung in Kauf. So hält seine „Philosophie“ - historisch „an ihren Standort gebunden“ - der über die Schwelle des 19.Jahrhunderts tradierten Bildungssprache des deutschen Bürgertums die Treue. Daß sie dies keineswegs in der antiquarischen Absicht einer restaurativen Bestandspflege tut, sondern in der kritischen, sie „gegen den Strich zu bürsten“ (I/2, S.697), verrät schon ihr durch Dadaismus und Surrealismus gewecktes, spielerisches Interesse für Abseitiges und Randphänomene „niederer“ Herkunft. Ein exoterischer Wille zur Aktualität, der im zerstörenden und rettenden Zitat von „Namen“ ein dem Anti-Journalismus von Karl Kraus recht verwandtes, spezifisches Verfahren ausbildet, durchkreuzt zudem jeden Schein von esoterischer Retrospektion. Das mystisch scheinende Vertrauen in die nichtintentionale Medialität der Sprache schlägt um in die revolutionäre Intention auf „die Welt allseitiger und integraler Aktualität“ (II/1, S.309; I/3, S.1238). Diese „Welt“ benennt Benjamin um 1930 durch den im Surrealismus eröffneten, „hundertprozentigen Bildraum“ bzw. „Leibraum“ (II/1, S.309), um sie 1940 aber nur noch durch die „messianische Idee der Universalgeschichte“ (I/3, S.1238) zu bezeichnen, der „Vergangenheit in jedem ihrer Momente zitierbar geworden“ (I/2, S.694) ist. Benjamins profaner Rückbezug auf die eigene sprachliche Tradition als deutsch-jüdischer Intellektueller kann als einer beschrieben werden, der diese metaphorisch oder metonymisch, emblematisch oder ironisch, immer aber situativ und kontextorientiert, „verwendet“. Rettung verspricht nicht das umständliche Referat, sondern die prägnante Anwendung. Sie ist nicht Werk des musealen Bewahrens und Pflegens, vielmehr des strategischen Eingriffs: „Werk leibhafter Geistesgegenwart“ (IV/1, S.142). Für diese performative Rhetorik „allseitiger und integraler Aktualität“ geben nicht schon die „Begriffe“ mit ihren eingesammelten Etymologien den Ausschlag, nicht schon die überlieferten „Namen“, „Bilder“, „Ideen“. Ganz bewußt wird die semantische Intension der „Sprachfiguren“ in den Dienst ihrer pragmatischen Extension gestellt. Ob der rettende Umschlag der rezeptiven Offenheit in rhetorische Aktualisierung gelingt, entscheidet sich je und je nur an der strategischen Verwendung der Zitate. „Die Zukunftsdrohung ins erfüllte Jetzt zu wandeln, dies einzig wünschenswerte telepathische Wunder“ (IV/1, S.142) stellt im Vollzug des Denkens, Lesens, Schreibens die wahre Herausforderung der polymorphen Tradition im Labyrinth der Texte dar.
Eine erkenntnistheoretische Überlegung aus den „Aufzeichnungen und Materialien“ zum Passagen-Werk, die sich mit fast identischem Wortlaut auch in den Zentralpark-Fragmenten findet (I/2, S.674), nimmt die performative Rhetorik des Zitierens von „Sprachfiguren“ als pragmatische „Philosophie“ des Konkreten für den „Dialektiker“ in Anspruch. Nicht nur stellt sie in nuce die „dispositio dialectico-benjaminiana“ (14) dar, sie demonstriert sie zugleich in actu:
„Für den Dialektiker kommt es darauf an, den Wind der Weltgeschichte in den Segeln zu haben. Denken heißt bei ihm: Segel setzen. Wie sie gesetzt werden das ist wichtig. Worte sind seine Segel. Wie sie gesetzt werden, das macht sie zum Begriff.“ (V/1, S.591)
Benjamins Rückgriff auf das schillernde „Wort“ Aura, dem man gewöhnlich in der Theosophie, in der Mystik und im Okkultismus, in der Parapsychologie und in medizinischen Randgebieten begegnet, stellt durch seine Umfunktionierung zum zentralen kunsttheoretischen Begriff gewiß einen exemplarischen wie extremen Fall der rhetorischen „dispositio dialectico-benjaminiana“ dar: „Segel setzen“, um „den Wind der Weltgeschichte in den Segeln zu haben“. Im Fokus der dialektischen Aufmerksamkeit stehen weniger die zitierten „Worte“ bzw. die „Segel“ selber als vielmehr eben dieses: „Wie sie gesetzt werden“. Nicht schon der Inhalt des Zitats, sondern erst das Zitierverfahren verfügt im „Wind der Weltgeschichte“ über das Gelingen oder Mißlingen der konkreten Begriffsbildung. In der Frage des dispositiven „Wie“ enthüllt sich in Abhängigkeit vom aktuellen Hier und Jetzt des „Standortes“ so die crux einer sprachlichen Umfunktionierung, die im Fall des „Wortes“ Aura zugleich die profane Rettung der mystisch entstellten Tradition versucht. Dort entscheidet sich erst die Begriffsbildung des „Dialektikers“, wenn er „im Augenblick der Gefahr“ (I/2, S.695) nach allen Regeln der Kunst seiner performativen Rhetorik die der weltgeschichtlichen Wetterlage entsprechende Antwort „setzt“.
Für das Zitat des „Wortes“ und den „Begriff“ von Aura gilt: Mystisches Vertrauen in die nichtintentionale Medialität der Sprache und profane Intention auf „die Welt allseitiger und integraler Aktualität“ sind zwei Seiten einer einzigen, unteilbaren Haltung gegenüber Tradition und Sprache, Erkenntnis und Begriff. Getragen wird sie in Theorie und Praxis letztlich durch die Auffassung, daß Sprache das Medium einer „allseitigen und integralen“ Kommunikationsgemeinschaft sei, zu der nicht nur alle lebenden Menschen, sondern auch alle, die je gesprochen und geschrieben haben, also die Gemeinschaft der Toten, gehören. Freilich kann dieser „messianischen Welt“ der unbegrenzten Sprachgemeinschaft nichts entsprechen, „eh die Verwirrung, die vom Turmbau zu Babel herrührt, geschlichtet ist“ (I/3, S.1239). Aus der Virtualität der messianischen Sprachgemeinschaft hat Benjamins früher Essay von 1921 als Aufgabe des Übersetzers (IV/1, S.9-21) gefolgert: Übertragung des alten Textes in einen neuen, der als aktualisierendes Fortschreiben nicht nur des alten Textes, sondern aller früheren Texte zu verstehen ist. Im einzelnen Text ist Wahrheit niemals wirklich gegenwärtig, bleibt immer ein unnahbar Entferntes, das sich erst am Ende der Geschichte, nach dem labyrinthischen Durchgang durch alle Sprachen und alle Texte aller Zeiten, d.h. am Jüngsten Tag und seinem Weltgericht, zeigen kann. Unnahbar als Positivum, vermag Wahrheit im Negativ der Überlieferungskritik doch hier und da aufzuscheinen. Für Benjamins messianische Sprachauffassung kann deshalb jeder profane Tag potentiell zum jüngsten des Weltgerichts über die Entstellungen von Tradition und Geschichte werden. Zur regulativen Idee hic et nunc operationalisiert, ermöglicht sie die Ausbildung jenes profanen Verfahrens der rettenden Kritik, das durch Zitat, Übersetzung und Kommentar die reinigende Zerstörung der entstellten Überlieferung betreibt, um die Umkehr zur entsprechend zurechtgerückten zu provozieren. Ihren ersten Gegner findet rettende Traditionskritik in der romantischen und nationalistischen Konzeption von exklusiver Tradition, wo diese eine eigene Identität von Volk und Kultur aus einer vorgeblich reinen und nahen Tradition ableitet und gegen fremde und ferne Überlieferungen nur zu häufig bis zur kriegerischen Konsequenz ausspielt. Dem falschen Singular der fundamentalistisch entstellten Tradition begegnet Benjamin mit dem Plural der Zitate, Übersetzungen und Kommentare: eine rettende Therapie für die im fiebernden Fortschritt des modernen Lebens „erkrankte“ Tradition, um in der wahrhaft babylonischen Sprachverwirrung des 20.Jahrhunderts überhaupt noch die Möglichkeit ihrer Lesbarkeit zu bewahren. (15)
Nicht nur auf das Schöne, nicht nur auf seine „Aura“ trifft zu, was Benjamin im Blick auf Baudelaires ästhetischen Totenkult durch ein lateinisches Zitat kennzeichnet: „Das Ergriffenwerden vom Schönen ist ein ad plures ire, wie die Römer das Sterben nannten.“ (I/2, S.639) Alles Schreiben und Lesen ist für den deutsch-jüdischen Außenseiter schließlich ein „ad plures ire“: Zitieren, Übersetzen, Kommentieren von Bruchstücken der entstellten Tradition als ein Gang hinab zu jener „allseitigen und integralen“ Sprachgemeinschaft, die als messianische eben durch die toten Geschlechter bestimmt ist. Dabei stellt sich die für Benjamin wahre Erkenntnis nicht nur außerhalb der onto-theologisch gerechtfertigten Schöpfungsordnung, sie läßt auch den durch die bloße Vernunft-Aufklärung symbolisch geordneten, instrumentellen Herrschaftsbereich des Natürlichen hinter sich: Natur wird als Ursprung und Referent von Wahrheit im kollektiven Bewußtsein destruiert, muß diese privilegierte Position der vielfach entstellten menschlichen Erfahrung selber überlassen, die mit dem überlieferten „Leidschatz der Menschheit“ (16) im sozialen Gedächtnis „die Tradition der Unterdrückten“ (I/2, S.697) bewahrt. Wahre Erkenntnis kann als praktische Erinnerung im Medium der Sprache von anderem Wissen unterschieden werden, insofern sie möglichst viele frühere Menschheitserfahrungen samt ihren Ursprungskontexten und Überlieferungssituationen in ihrem performativen Vollzug miterinnert. Unterscheidendes, für Benjamin spezifisch philologisches Kriterium ist, ob und in welchem Ausmaß ihr so gelingt, frühere Sprach- und Sinnschichten zu zitieren und durch Übersetzung und Kommentar hier und heute zu aktualisieren. Je dichter das Netz der Zitate geknüpft ist, je intensiver es mit Aktualität verspannt wird, je mehr dadurch den Toten und Vergessenen Gerechtigkeit zuteil wird, desto tragfähiger die Erkenntnisqualität. Solidarität mit der sterblichen Kreatur ist Ursprung wie Ziel der Aktualisierung des Vergangenen, welche mit den geschichtlichen Versäumnissen die entstellte „Tradition der Unterdrückten“ im Auge hat. In radikaler Weise liegt Benjamins messianischer Sprachauffassung gerade ein pragmatischer, nämlich zugleich pluralistischer und performativer, Begriff von Wahrheit bzw. Erkenntnis zugrunde: Unzweifelhaftes Produkt des Menschen, wird sie nicht als geniales Werk eines einzelnen Subjekts, sondern als vielfach entstellter, labyrinthischer Gemeinschaftsbau angenommen, dem die Spracharbeit und Geistesbeschäftigung aller Menschen zu allen Zeiten gegolten hat und weiterhin gilt.
Die hier skizzierte Auffassung von Sprache und Begriff bei Walter Benjamin bekräftigt zwingend den Verdacht, den auch die durch Brecht und Adorno ideologisch polarisierte Rezeptionsgeschichte nahelegt: Die großen Schwierigkeiten, Benjamins Begriff der Aura mit der wünschenswerten Klarheit zu fassen, sind eben darauf zurückzuführen, daß es wesentlich zu diesem selbst gehört, sowohl nach der Seite des Zeichens als auch nach der des Bezeichneten die erwartete philosophische Klarheit zu verweigern. Wo Klarheit fehlt, kommt Klärung zum Zug, wo die Lösung des Rätsels ausfällt, bleibt immerhin, den Grund der Unlösbarkeit anzugeben. Bei Benjamin selbst ist der Begriff der Aura nicht zu finden, nachweisbar sind nur mehrere, mitunter sogar schwer vereinbare Hinsichten auf ein besonderes, kaum objektivierbares Wahrnehmungsphänomen, welche ebenso viele strategische und rhetorische Aktualisierungen des diesem Phänomen zugeordneten, mystischen Ausdrucks darstellen. Diesen Befund stützen gerade in einem performativen Widerspruch zahlreiche Interpreten Benjamins, welche für die überaus reiche Nachgeschichte der Aura verantwortlich zeichnen. Indem sie den Einheitsbegriff darlegen wollen, treiben sie vielmehr die Vielheit der Konstellationen und die Pluralität der angelegten Sinnstufen hervor. Diese jeweils von eigenen Standorten ausgehenden Aktualisierungen des Begriffs könnten sich als traditionsbildende Fortschreibungen durchaus auf Benjamin berufen, der etwa im Brief vom 7.März 1931 an Max Rychner von seinem „sehr besonderen sprachphilosophischen Standort aus“ den Sinn des eigenen Forschens und Denkens „in Gemäßheit der talmudischen Lehre von den neunundvierzig Sinnstufen jeder Thorastelle“ (Br 2, S.523 f.) erläuterte. Wenn der Begriff der Aura nachgerade eine Konstruktion der Nachgeschichte darstellt, so handelt es sich doch um eine, die sowohl in Benjamins rettendem Zitat der mystischen Tradition als auch in der Sache selbst, d.h. in dem besonderen, sonst schwer faßbaren Wahrnehmungsphänomen, schon angelegt ist. „Aura“ erscheint bei Benjamin selber weniger als Begriff im philosophischen Sinn denn vielmehr als „Name“ nach Maßgabe profaner Sprachmagie: ein Name für das Ganze der Wahrnehmbarkeit von Welt und Geschichte. „Aura“ ist damit zugleich Chiffre für die Paradoxie einer möglichen Erfahrung des Unmöglichen, fungiert dergestalt als dialektische „Sprachfigur“ einer performativen Rhetorik, die auf die messianische „Welt allseitiger und integraler Aktualität“ (II/1, S.309) im Hier und Jetzt der Wahrnehmung abzielt und im Erwachen aus dem Traumschlaf ihr „materialistisches“, anthropologisches Modell eines unvordenklichen, geschichtlichen „Eingedenkens“ (V/1, S.490) reklamiert. II. Benjamins Begriffsverwendungen
Es mag auf den ersten Blick überraschen, daß Benjamins esoterisches Frühwerk ohne den Gebrauch des Ausdrucks „Aura“ auskommt. Sieht man ab von sehr spärlichen, eher beiläufigen Anführungen - etwa in den Essays zu Dostojewskijs Idiot (II/1, S.237) und Goethes Wahlverwandtschaften (I/1, S.192) -, so ist Werner Fuld hier durchaus zu folgen, wenn er von einer ganz absichtlichen Unterlassung beim frühen Benjamin spricht. Der Ausdruck erscheint in den ersten Dezennien des 20.Jahrhunderts „allzu eindeutig belastet“ (17). Das sektiererische Obskurantentum der Theosophen führt ihn im Munde, der spekulative Spiritismus Rudolf Steiners und seiner Anthroposophen-Schule ebenso. Insbesondere geht es dem frühen Benjamin wohl um die Vermeidung einer zu ostentativen Verwandtschaftsbezeigung gegenüber der Münchener Kosmiker-Runde am Rande des George-Kreises. Bei allem Interesse an Ludwig Klages und Alfred Schuler hält er auf Distanz zu einer mythologischen Geheimwissenschaft, die sich anschickt, Theologie und Ästhetik, Altertumskunde und Archäologie, Physiognomik und Psychologie, Kosmologie und Anthropologie monistisch zu vereinigen. Diese zeitgenössischen Formen der Mystik durchschaut Benjamin im Laufe der zwanziger Jahre immer klarer als Zersetzungsprodukte im kulturellen Umbruch nach der gesamteuropäischen Katastrophe des Ersten Weltkriegs. In den ideologischen Auseinandersetzungen der allgemeinen Krise Weimars hat gerade „das salbungsvolle Kauderwelsch der falschen Propheten“ (III, S.358) Hochkonjunktur. Diese erklärt Benjamins Kritik Erleuchtung durch Dunkelmänner von 1932 durch „das unterirdische Wechselspiel der neueren Reklametechnik und Geheimwissenschaft, die beide mit dem Zerfall der allgemeinen Bildung ihren Aufschwung nahmen“ (III, S.359 f.). Und Benjamin fährt fort:
„Wenn die eine die Kunst versteht, die Ware zum Arkanum zu machen, so weiß die andere das Arkanum als Ware abzusetzen: so gut wie eine Zigarette als der beste Seelenarzt kann Steiners ‘Goetheanum’ als solides Unternehmen angesehen werden und die von ihm in Umlauf gesetzte Geheimwissenschaft ist ein Markenartikel, der keineswegs verlegen ist, die gesamte Weltgeschichte zu seiner Propaganda heranzuziehen.“ (III, S.360)
Die Kritik am modernen Obskurantismus erfolgt hier bereits vom Standort der Urgeschichte aus, wofür ab 1925 die durch den französischen Surrealismus vermittelte Begegnung mit dem „Mythos Paris“ (18) und die spielerisch-kritischen Erkundungen der Einbahnstraße im öffentlichen Raum von Warenästhetik und Wunschproduktion die Basis abgeben. Beide avantgardistischen „Erfahrungen“, die im „materialistischen, anthropologischen“ Konzept einer „profanen Erleuchtung“ (II/1, S.297) konvergieren, sind zugleich unverzichtbare Voraussetzungen dafür, daß Benjamin das Wort „Aura“ zu seinem Begriff machen kann. Schon die 1925 geschriebene Glosse Nichts gegen die ‘Illustrierte’ kündigt diese begriffliche Wende an. Abgelöst von den üblichen esoterischen und eskapistischen Zusammenhängen erscheint hier „Aura“ bereits in dem für den „Produktionskreis“ (Br 1, S.455) der Einbahnstraße spezifischen Kontext von authentischer „Aktualität“. Benjamin verteidigt den nackten dokumentarischen Charakter der Berliner Illustrierten gegen ihre intellektuellen wie bildungsbürgerlichen Verächter:
„Die Dinge in der Aura ihrer Aktualität zu zeigen, ist mehr wert, ist weit, wenn auch indirekt, fruchtbarer, als mit den letzten Endes sehr kleinbürgerlichen Ideen der Volksbildung aufzutrumpfen.“ (IV/1, S.449)
Die Engführung der beiden für Benjamins späteres Projekt einer Urgeschichte der Moderne so charakteristischen Begriffe im Ausdruck „Aura ihrer Aktualität“ verweist hier auf die subversive Strategie des freien Autors und Kritikers „im Literaturkampf“ (IV/1, S.108) der Weimarer Republik, wie sie die 1928 publizierte Einbahnstraße exemplarisch praktiziert. Indem das Buch dem Leser den Durchgang eines flanierenden „Physiognomikers der Dingwelt“ (IV/1, S.389) durch die großstädtische Warenwelt der zwanziger Jahre fingiert, gehen in seiner diskontinuierlichen Sammlung von „Denkbildern“ (19) exzentrische Wahrnehmung, ephemere Zeitkritik und „materialistische“ Geschichtsphilosophie spielerisch vielgestaltige, kaleidoskopische Verbindungen ein. „Die Aktualität als den Revers des Ewigen in der Geschichte zu erfassen und von dieser verdeckten Seite der Medaille den Abdruck zu nehmen“ (Br 1, S.459) - mit dieser programmatischen Ankündigung hat Benjamin Anfang 1928 denn auch dem Mentor Hugo von Hofmannsthal den rettenden Ausweg der Einbahnstraße angezeigt. Diesen Ausweg „leibhafter Geistesgegenwart“ (IV/1, S.142) bezeichnet der Aufsatz Erfahrung und Armut von 1933 zugespitzt als illusionslose Vorbereitung darauf, „die Kultur, wenn es sein muß, zu überleben“ (II/1, S.219). Gegen „das grauenhafte Mischmasch der Stile und der Weltanschauungen“, die Historismus und historische Bildung beschert haben, steht Benjamin nicht an, „Erfahrungsarmut“ als reinigende Kur zu empfehlen. Unter dem avantgardistischen Doppelgestirn von Aktualität und Authentizität scheint ihm geraten, „einen neuen, positiven Begriff des Barbarentums einzuführen“ (II/1, S.215).
Zielen die Denkbilder der Einbahnstraße also dergestalt darauf ab, „die Dinge in der Aura ihrer Aktualität zu zeigen“, so kommen sie zugleich doch ohne Nennung der allzu pompösen Worte aus. Das deiktische Zeigen behauptet den Vorrang vor der Didaktik des Aussprechens. Explizit im Fokus der sprachlichen Aufmerksamkeit taucht der Begriff der Aura zum ersten Mal in diversen Protokollen von Benjamins Hand auf, die sich zu experimentell kontrollierten, zumeist gemeinschaftlichen Drogenversuchen zwischen 1927 und 1934 nachweisen lassen. In diesen Jahren sammelte Benjamin Materialien zu einem nach eigener, gegenüber Scholem geäußerter Ansicht „höchst bedeutsamen Buch über das Haschisch“ (Br 2, S.556), welches jedoch nie geschrieben wurde. Es ist nach dem Abschluß der Einbahnstraße zugleich die Epoche der ersten Überlegungen und Aufzeichnungen zu der vom Surrealismus inspirierten Urgeschichte der Moderne, die das unvollendete Passagen-Werk liefern sollte. Als einen der „Hauptzüge der ersten Haschisch-Impression“ notiert Benjamin am 18.12.1927, gestützt auf die Erinnerung an den Rausch im Erwachen:
„Unbegrenztes Wohlwollen. Versagen der zwangsneurotischen Angstkomplexe. Die Sphäre ‘Charakter’ tut sich auf. Alle Anwesenden irisieren ins Komische. Zugleich durchdringt man sich mit ihrer Aura.“ (VI, S.558)
„Aura“ wird hier im Sinne der Kabbalisten als Äther, der den unverwechselbaren Einzelmenschen umgibt, eingeführt und einer Glückserfahrung assoziiert, die als freie Bewegung der Entgrenzung und Ausbreitung auftritt. Im Nachhinein zeigt sich der Einfluß des Haschisch-Rausches daran, daß die experimentelle Versammlung als Traumszene „ins Komische“ irisiert. Dabei entfaltet der Äther, der den Einzelmenschen umhüllend begrenzt, in heiterer Verkehrung von Außen und Innen gerade eine allesverbindende, gemeinschaftstiftende Kraft, welche die Schranken der Individuation „durchdringt“ und die zwanglose Kommunion aller Anwesenden in der „Sphäre Charakter“ eröffnet. Doch nicht nur von glücklicher Befreiung und Versöhnung, sondern auch von Depression und Aggressivität erfährt man in Benjamins Protokollen. Als Kern eines weiteren kontrollierten Haschisch-Versuches notiert Benjamin Anfang März 1930 polemische Mitteilungen, die er während des Rausches in Anwesenheit anderer „über das Wesen der Aura“ (VI, S.588) machte. Diese Aufzeichnungen stellen mit ihren scharfen Angriffen gegen die „konventionellen banalen Vorstellungen der Theosophen“, die den Ausdruck usurpiert halten, eine erste Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit des schillernden Phänomens dar:
„Alles was ich da sagte, hatte eine polemische Spitze gegen die Theosophen, deren Unerfahrenheit und Unwissenheit mir höchst anstößig war. Und ich stellte - wenn auch gewiß nicht schematisch - in dreierlei Hinsicht die echte Aura in Gegensatz zu den konventionellen banalen Vorstellungen der Theosophen. Erstens erscheint die echte Aura an allen Dingen. Nicht nur an bestimmten, wie die Leute sich einbilden. Zweitens ändert sich die Aura durchaus und von Grund auf mit jeder Bewegung, die das Ding macht, dessen Aura sie ist. Drittens kann die echte Aura auf keine Weise als der geleckte spiritualistische Strahlenzauber gedacht werden, als den die vulgären mystischen Bücher sie abbilden und beschreiben. Vielmehr ist das Auszeichnende der echten Aura: das Ornament, eine ornamentale Umzirkung in der das Ding oder Wesen fest wie in einem Futteral eingesenkt liegt. Nichts gibt vielleicht von der echten Aura einen so richtigen Begriff wie die späten Bilder van Gogh’s , wo an allen Dingen - so könnte man diese Bilder beschreiben - die Aura mit gemalt ist.“ (VI, S.588)
Die protokollierte Polemik läßt auf eine generelle Abneigung Benjamins gegen den üblichen Gebrauch des Wortes schließen, die wiederum das Fehlen des Ausdrucks „Aura“ (wenn auch keineswegs des „eigentlich“ damit gemeinten Phänomens) in seinen Schriften bis 1930 erklären könnte. Erst das kontrollierte Erwachen aus dem Experiment des Haschisch-Rausches vermittelt in der Erinnerung die Wahrnehmungsevidenz einer „echten Aura“, die „an allen Dingen“ erscheint, und zwar mit jeder Bewegung je immer auch verändert und kaleidoskopisch neu. Als solchermaßen positives weil „echtes“ Phänomen kann es theoretischen Überlegungen zugänglich werden. Gegen den „spiritualistischen Strahlenzauber“ der vulgären Mystik und den esoterischen Kitsch der Theosophen wird „das Auszeichnende der echten Aura: das Ornament“ gesetzt. Dieses „Auszeichnende“ ist nichts hinter den Dingen und Wesen, nichts aber auch vor ihnen selbst, wie die Wendung von einer „ornamentalen Umzirkung in der das Ding oder Wesen fest wie in einem Futteral eingesenkt liegt“ mißverständlich interpretiert werden könnte (und oft genug auch interpretiert worden ist). Es handelt sich vielmehr um „jene versteckteste, im allgemeinen unzugänglichste Oberflächenwelt“ (VI, S.603), als welche auch die den Rausch weniger protokollierenden als reflektierenden „Crocknotizen“ aus dem ibizenkischen Sommer 1932 das Ornament begreifen. Im Ornament entdeckt Benjamin nicht nur die perfekte Form des Labyrinths, sondern auch das „Urphänomen“ jener „vielfältigen Interpretierbarkeit“ (VI, S.604), die der „echten Aura“ und ihrem „richtigen Begriff“ eignet. Was man in den späten Bildern van Goghs als „Aura mit gemalt“ erblickt, kann deshalb in Benjamins Augen nur jene „unzugänglichste Oberflächenwelt“ sein, die an allen Dingen und Wesen je immer anders erscheint, indem sie allererst Ding und Wesen je immer neu - nicht sowohl im Innersten als vielmehr genau auf der ausgedehnten Schnittfläche von Innen und Außen - zusammenhält.
Es mag hier der Anschein entstehen, als sei Benjamins „echte Aura“ eine Qualität der Dinge und Wesen selber, so wie sie in Rausch und Traum und wahrer Kunst an ihnen erscheinen kann. Dieser objektive Anschein trügt zumindest in zweifacher Hinsicht: zunächst bereits insofern, als die „echte Aura“ im geraden Gegensatz zum „spiritualistischen Strahlenzauber“ der vulgären Mystik ein zugleich synthetisches und polymorphes Resultat der besonderen Rausch-Konstellation von Wahrnehmungssubjekt und erscheinendem Objekt (Ding oder Wesen) ist. Sodann aber auch, insofern diese besondere Konstellation, welche die „echte Aura“ als Erscheinung produziert, sich selber dem experimentellen Rahmen eines kontrollierten Drogenversuchs verdankt. Die „echte Aura“ erscheint demnach erst in der einsetzenden Erinnerung an den Rausch, d.h. im Erwachen aus ihm. Der protokollierte Rausch ist nicht der Rausch, jener bildet sich erst in der unhintergehbaren Differenz zu diesem. Die Aura des protokollierten Rausches ist, was von ihm im Erwachen aus dem Rausch als Schatten zurückbleibt. Wie der Traum überlebt der Rausch stets nur entstellt als sein Schatten, nur haftend an ihm ist die „echte Aura“ zu haben. Alles Reden und alles Reflektieren über Aura ist deshalb bei Benjamin unweigerlich durch unwillkürliche Nachträglichkeit gezeichnet: Thematisierung eines Vergangenen und Vergehenden. Erst im Medium der Traum- und Rauscherinnerung schrumpfen Traum und Rausch und Aura zum Ornament. Sie werden sichtbares Parergon eines sonst unfaßbaren Ergon, das nur in der ornamentalen Entstellung dem Wachbewußtsein nahe rücken kann. Oder wie Benjamin selbst im Anschluß an einen abendlichen Haschisch-Versuch in Marseille am 29.9.1928 notiert: „er [der Rausch, J.F.] schrumpft und bildet dabei eine Blumenform.“ (VI,S.584)
Erst 1931 taucht der Begriff „Aura“ in einer kulturgeschichtlichen Arbeit Benjamins auf. Die Studie Kleine Geschichte der Photographie , die - so Benjamin selbst - aus „Prolegomena“ zur „Passagenarbeit“ (Br 2, S.541) hervorging, konstatiert im Rückblick auf die Geschichte des technischen Mediums zuerst den Verfall der Aura. Rund 100 Jahre Fotografie werden dabei nicht einfach chronologisch als Entwicklungs- und Fortschrittsgeschichte präsentiert, als deren Negativ eine entsprechende Verfallsgeschichte der Aura sichtbar würde. Die Anlage der Studie zeigt sich vielmehr durch geschichtsphilosophische Oppositionen bestimmt, die zum Jetzt des Verfassers in eine spannungsreiche Konstellation treten. Die Geschichte der Photographie seit Heliografie und Daguerreotypie wird in exemplarischen Momenten als „Vorgeschichte“ (V/1, S.593) betrachtet, d.h. als ein vergangenes, doch unerledigtes Künftiges, das es in den aktuellen ästhetischen und politischen Auseinandersetzungen um die Zukunft des Mediums rückblickend zu entdecken lohnt. Ansatzpunkt ist die apodiktische Behauptung, daß von 1931 aus gesehen „die Blüte der Photographie“ - nämlich die frühe Kunst des Porträtfotos von Hill, Cameron, Nadar u.a. - „in ihr erstes Jahrzehnt fällt“ (II/1, S.368). Und Benjamin fügt sogleich hinzu: „Das ist nun aber das Jahrzehnt, welches ihrer Industrialisierung vorausging.“ (II/1, S.368) Es ist die Opposition zum Kitsch der üppigen Staffage-Porträts des späten 19.Jahrhunderts, in Sonderheit zu einem erschütternden, frühen Bildnis von Franz Kafka, welche Benjamin einen sozialen und einen technischen Grund liefert, um dem Medium in seinen authentischen Anfängen „Aura“ zuzusprechen:
„Dies Bild in seiner uferlosen Trauer ist ein Pendant der frühen Photographie, auf welcher die Menschen noch nicht abgesprengt und gottverloren in die Welt sahen wie hier der Knabe. Es war eine Aura um sie, ein Medium, das ihrem Blick, indem er es durchdringt, die Fülle und die Sicherheit gibt. Und wieder liegt das technische Äquivalent davon auf der Hand; es besteht in dem absoluten Kontinuum von hellstem Licht zu dunkelstem Schatten.“ (II/1, S.375 f.)
Als augenfälliges Indiz der Aura nennt Benjamin den „Hauchkreis, der schön und sinnvoll bisweilen durch die nunmehr altmodische ovale Form des Bildausschnitts umschrieben wird“ (II/1, S.376). Obzwar Effekt einer primitiven Technik: d.h. „der durch die lange Expositionsdauer veranlaßten zusammenfassenden Lichtführung“ (II/1, S.376), kann dieser kleine Lichthof (französisch: „le halo“) zugleich als Ausweis von astrologischer „Größe“ gesehen werden. Die Aura „dieser Inkunablen der Photographie“ (II/1, S.376) erklärt Benjamin als geschichtliches Resultat eines glücklichen Zusammentreffens von darstellender Technik und dargestelltem Menschen: Hinter der noch primitiven Kamera stand schon „ein Techniker nach der neuesten Schule“, davor „der Angehörige einer im Aufstieg befindlichen Klasse mit einer Aura, die bis in die Falten des Bürgerrocks oder der Lavallière sich eingenistet hatte“ (II/1, S.376). Diese doppelte Authentizität von technischer Bedingung und sozialer Repräsentation in der auratischen Erscheinung der frühen Porträtfotos ist zu Kafkas Knabenzeit um 1890 nicht mehr aufzufinden. Nicht nur, daß die Aura „durch lichtstärkere Objektive aus dem Bilde genau so verdrängt wurde wie durch die zunehmende Entartung des imperialistischen Bürgertums aus der Wirklichkeit“ (II/1, S.377); mit dem Nahen des Jahrhundertendes wird das immer stärkere Bestreben der Fotografen sichtbar, diese entschwundene Aura durch alle Künste der Retusche [...] vorzutäuschen“ (II/1, S.377) und einen respektablen Nimbus des Bourgeois durch modisch starre Posen des Blicks, der Kopf- und Körperhaltung zu erschleichen.
Die besondere Leistung von Eugène Atgets Pariser Fotos um 1900 sieht Benjamin in ihrer gegenläufigen, wahrhaft innovativen Tendenz, die innerhalb der Geschichte der Fotografie einer „Vorverkündung neuerer Errungenschaften in älterer Technik“ (II/1, S.376) gleichkommt. Als radikaler Neuerer knüpft Atget dabei auf seine Weise eher an die heroischen Anfänge des Mediums an als daß er die routinierten Konventionen der zeitgenössischen Zunft weiterentwickelte. Dem historischen Rang nach stellt ihn Benjamin den Pionieren der Fotografie und ihren auratischen „Inkunablen“ des ersten Jahrzehnts zumindest gleich. Er hat „die stickige Atmosphäre“ der konventionellen Porträtfotografie, in der sich die Jahrzehnte des Niedergangs seit den Anfängen verdichteten, zur Jahrhundertwende erstmals „desinfiziert“. Indem seine nachgerade menschenleeren Bilder „das Verschollene und Verschlagene“ (II/1, S.378) der großstädtischen Dingwelt beleuchten, hat er als Vorläufer der surrealistischen Fotografie dem Medium den unumkehrbaren Weg der atmosphärischen Reinigung in Richtung auf eine neue Authentizität gewiesen: „er leitet die Befreiung des Objekts von der Aura ein, die das unbezweifelbarste Verdienst der jüngsten Photographenschule ist“ (II/1, S.378). Diese „jüngste Photographenschule“ bildet mit ihrem „Sinn für die Signatur der Zeit“(II/1, S.382) den medienästhetischen Fluchtpunkt der geschichtsphilosophischen Konstruktion der Kleinen Geschichte der Photographie. Benjamin bindet sie an die Namen August Sander, Karl Blossfeldt, Germaine Krull sowie an die Fotografen der surrealistischen Bewegung insgesamt, als deren avantgardistische Leistungen und Zielsetzungen hervorgehoben werden: die Vorbereitung einer „heilsamen Entfremdung zwischen Umwelt und Mensch“ einerseits, die Emanzipation des neuen, „politisch geschulten Blickes“ andererseits, „dem alle Intimitäten zugunsten der Erhellung des Details fallen“ (II/1, S.379). Hier ist nicht der Ort, Benjamins Konstruktion der Geschichte des Mediums nach Sachgehalt und Kriterien an heutigen Forschungsergebnissen zu überprüfen. (20) Für den Begriff der Aura ist sehr viel wichtiger, daß die von Benjamin erstmals im Zusammenhang mit Atgets Pariser Fotos explizit konstatierte „Befreiung des Objekts von der Aura“ ihrerseits allererst seine schon eingangs zitierte Frage nach dem „Eigentlichen“ der Aura provoziert:
„Was ist eigentlich Aura? Ein sonderbares Gespinst von Raum und Zeit: einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag. An einem Sommermittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont oder einem Zweig folgen, der seinen Schatten auf den Betrachter wirft, bis der Augenblick oder die Stunde Teil an ihrer Erscheinung hat - das heißt die Aura dieser Berge, dieses Zweiges atmen. Nun ist, die Dinge sich, vielmehr den Massen ‘näherzubringen’, eine genau so leidenschaftliche Neigung der Heutigen, wie die Überwindung des Einmaligen in jeder Lage durch deren Reproduzierung. Tagtäglich macht sich unabweisbarer das Bedürfnis geltend, des Gegenstandes aus nächster Nähe im Bilde, vielmehr im Abbild habhaft zu werden. Und unverkennbar unterscheidet sich das Abbild, wie illustrierte Zeitung und Wochenschau es in Bereitschaft halten, vom Bilde. Einmaligkeit und Dauer sind in diesem so eng verschränkt wie Flüchtigkeit und Wiederholbarkeit in jenem. Die Entschälung des Gegenstandes aus seiner Hülle, die Zertrümmerung der Aura ist die Signatur einer Wahrnehmung, deren Sinn für alles Gleichartige auf der Welt so gewachsen ist, daß sie es mittels der Reproduktion auch dem Einmaligen abgewinnt.“ (II/1, S.378 f.)
Die Frage, was Aura „eigentlich“ sei, stellt sich erst, wo die Befreiung des Objekts von ihr unübersehbar auf der geschichtsphilosophischen Tagesordnung steht. Die gesellschaftliche Modernisierung der Lebenswelt durch den technischen Fortschritt geht nicht spurlos an den überkommenen Selbstverständlichkeiten in Kunst, Kultur und Alltag vorbei. Gerade am technischen Medium Fotographie und seiner jungen Geschichte gewinnt Benjamin die Einsicht, daß „die Entschälung des Gegenstandes aus seiner Hülle, die Zertrümmerung der Aura“ eine irreversible Tendenz in der Krise der Moderne ausmacht. Es ist jedoch nicht dieselbe Aura, jene „eigentliche“ und geheimnisvolle, nach der Benjamin fragt, und diese künstliche und vordergründige, von der das Objekt befreit zu werden verdient. Wo Benjamin die „Befreiung des Objekts“ und die „Zertrümmerung der Aura“ rückhaltlos begrüßt, hat er zunächst diese durch Retusche und Pose vorgetäuschte Aura im Auge. Als diese künstliche Aura zeugt sie durch die stickige Atmosphäre der Fin-de-siècle-Porträts hindurch gerade indirekt vom Verfall jener Aura, die Benjamin an den „Inkunablen“ der Fotografie des ersten Jahrzehnts noch entdeckt und der seine Frage eigentlich gilt. Indem die künstliche Aura aber indirekt vom Verfall jener authentischen Aura zeugt, läßt sie sich selbst die brüchigste Rechtfertigung angedeihen: Für Benjamin verlangt sie durch die Entstellungen des Gegenstandes hindurch gebrochen selbst dessen „Entschälung“ aus der „Hülle“ und damit versteckt die eigene „Zertrümmerung“.
Benjamins komplexes Verhältnis zur Aura ist deshalb nicht nur zeitlich durch Aufschub und Nachträglichkeit, sondern auch räumlich durch Umweg und Indirektheit gekennzeichnet. Diese unhintergehbare, raum-zeitliche Metaphorik des gebrochenen Zugangs organisiert auch die „klassische“, aus der Kleinen Geschichte der Photographie in alle überlieferten Fassungen der Abhandlung Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit übernommene Bestimmungsformel der Aura, die sich an die direkte Frage, was diese „eigentlich“ sei, anschließt: „einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“ (Erste Fassung: I/2, S.440; Zweite [recte: Dritte] Fassung: S.479; Französische Fassung: S.712; Zweite Fassung: VII/1, S.355). Die Aura, genannt „ein sonderbares Gespinst von Raum und Zeit“, wird durch die Einmaligkeit einer „Erscheinung“ in der Zeit bezeichnet, einer Erscheinung als Erscheinung also, die als solche Ferne und Distanz, mithin eine Unnahbarkeit behauptet, der auch die nächste Nähe im Raum nichts anhaben kann. Einmaligkeit bedeutet in der Zeit, was Unnahbarkeit im Raum: beide reklamieren eine unbedingte Differenzqualität, die nur negativ durch Ausgrenzung aus dem raumzeitlichen Kontinuum der Empirie als besondere Indifferenz behauptet werden kann. So ist es durchaus nicht verwunderlich, daß Benjamin die Evokationskraft des poetischen Bildes von natürlichen Gegenständen - „die Aura dieser Berge, dieses Zweiges atmen“ - bemühen muß, um am konventionellen Beispiel eines neoromantischen Naturerlebnisses vom Erhabenen positiv darzutun, was zur Illustration der negativen Indifferenz Aura heißen kann. Im exklusiven Fall dessen, „was sich aller Kongruenz entzieht: der Aura“ (21), stimmen im Medium der menschlichen Wahrnehmung gerade Geschichte, Kunst, Natur überein, die Benjamin sonst sorglich zu unterscheiden weiß.
Als wüßte er vom Vergeblichen seines Unterfangens, verharrt Benjamin schließlich nicht lange bei der ominösen Frage, was Aura „eigentlich“ sei. Die Fragestellung als solche scheint ihm schon Hinweis genug, daß das Gefragte, das einmal durch „Dauer“ bestimmt schien, nunmehr ein Flüchtiges geworden ist, gerade dabei, am Horizont des gegenwärtigen Blickfeldes zu verschwinden. Das, was man staunend anfängt zu vermissen, das, von dem man mit plötzlicher Entschließung glaubt, es bald nicht mehr vor sich zu haben, dem wird nachgefragt wie einem Traum, der im Erwachen aus seinem nunmehr flüchtigen Schatten herausleuchtet. Oder es wird ihm auch nur nachgeschaut wie jenen „ersten reproduzierten Menschen“ (II/1, S.372), die auf den frühesten Fotografien „so schön und unnahbar aus dem Dunkel der Großvätertage heraustreten“ (II/1, S.385). Benjamin fragt der Aura, dem Schatten, zwar nach, tut dies aber in gebrochener, indirekter Form, indem er weniger diesem Verschwindenden selbst als vielmehr der historischen Konstellation seines Verschwindens, seinen Bedingungen und Indizien, nachspürt. Es ist ihm darum zu tun, die historischen Tendenzen aufzuzeigen, die sowohl den Verfall der Aura bezeugen als auch die künstlerische Avantgarde bei der legitimen Mission ihrer „Zertrümmerung“ bestätigen.
„Der destruktive Charakter sieht nichts Dauerndes. Aber eben darum sieht er überall Wege.“ (IV/1, S.398) Nicht zufällig sind das Denkbild Der destruktive Charakter, das dem avantgardistischen „Bedürfnis nach frischer Luft und freiem Raum“ (IV/1, S.396) Gestalt gibt, und die Kleine Geschichte der Photographie in nächster zeitlicher Nachbarschaft 1931 entstanden. Angelpunkt von Benjamins Überlegungen zur Fotografie ist ja ex negativo die nur vorgetäuschte, die inszenierte und künstliche Aura, von der um einer neuen Authentizität willen das Objekt befreit werden muß. In diese medienästhetische Perspektive mischt sich die ethische Forderung, dem legitimen „Bedürfnis“ der heutigen Massen, „des Gegenstandes aus nächster Nähe im Bilde, vielmehr im Abbild habhaft zu werden“, über eine breite Demokratisierung der Bilder - „durch deren Reproduzierung“ eben - entgegen zu kommen. Das „Abbild“ in illustrierter Zeitung und Wochenschau steht mit seinen massenfreundlichen Qualitäten der „Flüchtigkeit und Wiederholbarkeit“ gegen das Kulturprivileg der „Einmaligkeit und Dauer“ auf, das einen exklusiven Charakter der Aura im Bild behauptet. Beide Perspektiven führt Benjamin schließlich in der anthropologischen Fragestellung einer geschichtlichen Veränderung der Wahrnehmung zusammen, der sich weder die aktuelle Produktion und Rezeption von Kunst noch die Alltagserfahrung der Massen entziehen kann:
„Die Entschälung des Gegenstandes aus seiner Hülle, die Zertrümmerung der Aura ist die Signatur einer Wahrnehmung, deren Sinn für alles Gleichartige auf der Welt so gewachsen ist, daß sie es mittels der Reproduktion auch noch dem Einmaligen abgewinnt.“ (II/1, S.379)
Nicht zufällig erscheint dieser Passus in nahezu identischer Gestalt auch in allen Fassungen des späteren Kunstwerk-Aufsatzes. Dessen „materialistische“ Kunsttheorie hat aus der Kleinen Geschichte der Photographie mit dem Leitgedanken der „Zertrümmerung der Aura“ nicht nur die medienästhetische Perspektive auf Authentizität und die ethische Forderung nach wahrhaft demokratischer Massenkultur übernommen, sondern insbesondere die anthropologische Frage nach dem Verhältnis von Wahrnehmung und Geschichte: „Innerhalb großer geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit der gesamten Daseinsweise der menschlichen Kollektiva auch die Art und Weise ihrer Sinneswahrnehmung.“ (I/2, S.478). Seit dem 19.Jahrhundert zielt die gesellschaftliche Modernisierung und Rationalisierung aller Lebensbereiche nach Maßgabe der Wissenschaft auf einen Vorrang des Kognitiven in der Wahrnehmung. Die durch Übung disziplinierte Wahrnehmung gewöhnt sich zunehmend daran, die Welt strategisch als berechenbaren Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen zu sehen. Und dies überall und jederzeit, unabhängig von der Besonderheit des Ortes und der Zeit, wodurch die illusionistische Fernsicht auf „Einmaligkeit und Dauer“ der Phänomene zugunsten der empirischen Erwartung ihrer „Flüchtigkeit und Wiederholbarkeit“ verabschiedet wird. In diesem Sinn schätzt Benjamin die Pariser Momentaufnahmen Atgets um 1900 schon als Beweisaufnahmen am „Tatort“ des historischen Prozesses: Atgets Kamera-Auge ist dort mit detektivischem Sinn für das rekurrente und signifikante Detail den großstädtischen Dingen auf der Spur. Desgleichen begrüßt Benjamin die „konstruktive Photographie“ der Avantgarde, wo sie „nicht auf Reiz und Suggestion, sondern auf Experiment und Belehrung ausgeht“ (II/1, S.384) und diese pädagogische Absicht einer Schulung des neuen Sehens durch „Beschriftung“ (II/1, S.385) selber noch kundtut. Konform mit der kognitiven Veränderung der Wahrnehmung und den legitimen Bedürfnissen der Massen stellt sie das authentische Extrem der aktuellen „Zertrümmerung der Aura“ dar, womit die Kleine Geschichte der Photographie den Bogen zum entgegengesetzten Extrem zurückspannt, zu jener authentischen Aura nämlich, die Benjamin in den Daguerreotypen und Fotografien des ersten Jahrzehnts ein letztes Mal erscheinen sah.
Zeigt sich Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit vier Jahre später in ganz ähnlicher Weise durch geschichtsphilosophische Oppositionen strukturiert, so bilden diese zum Jetzt des nunmehr in Paris exilierten Verfassers jedoch eine ungleich explosivere Konstellation. Benjamin mutet dem Kunstwerk-Aufsatz im Kontext der „Passagenarbeit“ explizit zu, „den gegenwärtigen Standort, dessen Gegebenheiten und Fragestellungen maßgebend für den Rückblick ins neunzehnte Jahrhundert sein sollen“ (Br 2, S.702), auf dem Gebiet der Kunsttheorie zu fixieren. Die Bogenspannung zwischen den Extremen von „Verfall“ bzw. „Zertrümmerung der Aura“ und der Erinnerung an das, was „Aura“ selbst einmal schien, wird in nahezu identischen Konfigurationen aus der Kleinen Geschichte der Photographie übernommen, die Extreme selber jedoch anders und extensiver bezeichnet. Thematisch steht die Bestimmung des Verhältnisses von Kunst und technischer Reproduktion im Vordergrund, soll doch nunmehr der im Hinblick auf den ungewissen Status der Fotografie schon angeprangerte „Banausenbegriff von der Kunst“ argumentativ destruiert werden. „Dieser fetischistische, von Grund auf antitechnische Begriff von Kunst“ (II/1, S.369) ermöglicht ja allererst die „Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt“ (I/2, S.508). Dies gilt nach Benjamins „politisierender“ Ideologiekritik auch und gerade dort, wo jene „Ästhetisierung“ im Dienste des „imperialistischen Krieges“ nicht nur die Mobilmachung aller technischen Mittel, sondern auch allen „Menschenmaterials“ (I/2, S.507) in Angriff nimmt: Sie gipfelt im Zynismus der Apotheose des Krieges als ästhetisches Ereignis und „Vollendung des l’art pour l’art“ (I/2, S.508). Das spekulative Untersuchungsfeld des Kunstwerk-Aufsatzes reicht deshalb weit über die im Essay zur Fotografie betrachtete Geschichte eines im 19.Jahrhundert geborenen technischen Mediums hinaus. Im Licht der anthropologischen Frage nach dem Verhältnis von Wahrnehmung und Geschichte geht es um die kritische Revision von Begriff und Geschichte der Kunst überhaupt, angefangen beim Ursprung im Kult und Ritual der grauen Vorzeit bis hin zur technischen Reproduktion von Bild und Ton und Wort im jüngst 1929 erschienenen Tonfilm. Die überkommene Metaphysik der Kunst mit ihren hehren Idealen von „Schöpfertum und Genialität, Ewigkeitswert und Geheimnis“ (I/2, S.473) soll sich an der veränderten, geschichtlichen Physik des gemachten Kunstwerks ausweisen, entsprechend des in der letzten, d.h. Dritten Fassung als Motto zitierten Diktums von Paul Valéry: „Weder die Materie, noch der Raum, noch die Zeit sind seit zwanzig Jahren, was sie seit jeher gewesen sind.“ (22)
Für Benjamin ist das Kunstwerk, das nicht nur durch schülerhafte Nachbildungen, sondern auch durch manuelle Verfahren wie Guß und Prägung schon in frühen Zeiten reproduzierbar war, aufgrund des rasanten technologischen Fortschritts im Laufe des 19.Jahrhunderts in ein qualitativ ganz neues Stadium seiner technischen Reproduzierbarkeit eingetreten. Die massenhafte Reproduktion von Bildern und Bildfolgen, welche die neuen technischen Medien Fotografie, illustrierte Zeitung und schließlich Film betreiben, wirkt - so lautet im Anschluß an das Valéry entlehnte Motto der generelle Befund - „auf die Kunst in ihrer überkommenen Gestalt“ (I/2, S.475; VII/1, S.352) zurück. Diese Rückwirkung erkennt Benjamin nun aber vor allem daran, daß das Kunstwerk dabei eine wesentliche Qualität verliert: seine „Aura“. Gemeint ist mit diesem Verlust zuerst „das Hier und Jetzt des Kunstwerks - sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet.“ (I/2, S.475) Dieses einmalige „Hier und Jetzt des Originals“ aber macht zugleich „den Begriff seiner Echtheit aus“ (I/2, S.476), welche ihrerseits wiederum „die Autorität der Sache“ überhaupt begründet: „Die Echtheit einer Sache ist der Inbegriff alles von Ursprung her an ihr Tradierbaren, von ihrer materiellen Dauer bis zu ihrer geschichtlichen Zeugenschaft.“ (I/2, S.477) Durch die fortgeschrittenen technischen Möglichkeiten der Reproduktion wird die „Autorität“ des Kunstwerks ausgehöhlt und dieser Autoritätsverlust als Verfall der „Aura“ wahrnehmbar. Benjamin faßt dieses komplexe Ineinander von Verkümmerung und Erneuerung als Verdrängungsvorgang „über den Bereich der Kunst hinaus“ zusammen und erläutert ihn im avantgardistischen Kontext der zeitgenössischen „Erschütterung der Tradition“:
„was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura. Der Vorgang ist symptomatisch; seine Bedeutung weist über den Bereich der Kunst hinaus. Die Reproduktionstechnik, so ließe sich allgemein formulieren, löst das Reproduzierte aus dem Bereich der Tradition ab. Indem sie die Reproduktion vervielfältigt, setzt sie an die Stelle seines einmaligen Vorkommens sein massenweises. Und indem sie der Reproduktion erlaubt, dem Aufnehmenden in seiner jeweiligen Situation entgegenzukommen, aktualisiert sie das Reproduzierte. Diese beiden Prozesse führen zu einer gewaltigen Erschütterung des Tradierten - einer Erschütterung der Tradition, die die Kehrseite der gegenwärtigen Krise und Erneuerung der Menschheit ist.“ (I/2, S.477 f.)
Als Inbegriff des Auratischen bezeichnet Benjamin die durch die technische Reproduzierbarkeit bedrohte „Einzigkeit des Kunstwerks“, insofern sie noch autoritatives Zeugnis für sein „Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition“ (I/2, S.480) abzulegen vermag. Im epistemologischen Rahmen der raum-zeitlichen Zuspitzung des auratischen Wahrnehmungskonzepts schließt „Einzigkeit“ dabei das Hier und Jetzt des Originals, seine Echtheit und Einmaligkeit, mit der „Autorität“ seiner „geschichtlichen Zeugenschaft“ (I/2, S.477) zusammen. Dieses „Eingebettetsein“ des Kunstwerks in den Traditionszusammenhang hat seinen Ursprung im magischen Kult und im religiösen Ritual. Es verdankt sich der gegenüber Gemeinde und Publikum ausdauernden „Unnahbarkeit“ des Kunstwerkes, welches somit öffentlich im Verborgenen das Geheimnis seines kultischen Ursprungs durch die Rezeptionsgeschichte hindurch bewahrt. „Unnahbarkeit“ ist auratische „Hauptqualität des Kultbildes“, das seiner übersinnlichen Natur nach je immer „Ferne so nah es sein mag“ (I/2, S.480) bleibt. Die „auratische Daseinsweise“ des Kunstwerks sieht Benjamin dementsprechend an seine „Ritualfunktion“ (I/2, S.480) gebunden, welche die gemeinschaftliche Teilhabe am Heiligen noch durch den Traditionszusammenhang vermittelt wie am ersten Tag zu garantieren vorgibt.
Kunst, die es auf auratische Wahrnehmung anlegt und traditionsbildende Autorität erheischt, kommt als solche vom Kult her: Auch in den profansten Formen des Schönheitsdienstes von der Renaissance bis zur Kunstreligion des l’art pour l’art im jüngstvergangenen Ästhetizismus bleibt in Benjamins geschichtsphilosophischer Optik ein „säkularisiertes Ritual“ (I/2, S.480) und damit ein entscheidendes Element der schon von Nietzsche gegeißelten Maskerade des Historismus erkennbar. Um der „Erneuerung der Menschheit“ willen bleibt in der Krise der Moderne nur übrig, der „Liquidierung des Traditionswertes am Kulturerbe“ eine „kathartische Seite“ (I/2, S.478) abzugewinnen. Rückhaltlos zu bejahen ist deshalb „die Zertrümmerung der Aura“: Sie macht die avantgardistische „Signatur einer Wahrnehmung“ aus, „deren Sinn für das Gleichartige in der Welt“ (I/2, S.479 f.) die geschichtsphilosophisch erstmalige Chance eröffnet, sich durch die kognitive Durchdringung von Sinnlichkeit und Materie aus der mythischen Gewalt der überkommenen religiösen Autoritäten zu befreien. Benjamin scheint zumindest im Kunstwerk-Aufsatz Max Webers Zeitdiagnose von der Entzauberung der Welt nicht nur zu teilen, sondern mit dem klaglosen Vorschlag einer Radikalkur für Kunst und Wahrnehmung noch zu überbieten. Diese wartet im Kern mit einem neuen Begriff der fortgeschrittensten Technik auf: Technik nicht länger als imperialistische „Naturbeherrschung“, welche die Menschheit „im Blutmeer“ des Ersten Weltkrieges verriet, sondern als „Beherrschung vom Verhältnis von Natur und Menschheit“ (IV/1, S.147). Schon in dem die Einbahnstraße 1928 beschließenden Text „Zum Planetarium“ hatte Benjamin in spielerischer Anlehnung an die alte Magie der astrologischen Sterndeuterei den kühnen Ausblick gewagt:
„Menschen als Spezies stehen zwar seit Jahrtausenden am Ende ihrer Entwicklung; Menschheit als Spezies aber steht an deren Anfang. Ihr organisiert in der Technik sich eine Physis, in welcher ihr Kontakt mit dem Kosmos sich neu und anders bildet als in Völkern und Familien.“ (IV/1, S.147)
Im historischen Augenblick, „da der Maßstab der Echtheit an der Kunstproduktion versagt“ (I/2, S.482), setzt Benjamin im Blick auf die Massenbewegungen des 20.Jahrhunderts und deren repräsentatives Kunstmedium: den Film alle Erwartung auf die technische Neuorganisation des öffentlichen Raumes: „die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks emanzipiert dieses zum ersten Mal in der Weltgeschichte von seinem parasitären Dasein am Ritual.“ (I/2, S.481) Die damit einhergehende soziale Funktionsveränderung der Kunst soll die alte „Fundierung aufs Ritual“ durch eine neue „Fundierung auf Politik“ ersetzen. Nach Maßgabe des avantgardistischen Films der zwanziger Jahre (23) soll an die Stelle des traditionellen „Kultwerts“ mehr und mehr der „Ausstellungswert des Kunstwerkes“ (I/2, S.482) treten, um es den Massen und ihrer veränderten Sinneswahrnehmung „näherzubringen“. Obzwar diese „Liquidierung des Traditionswertes am Kulturerbe“ (I/2, S.478) unverkennbar Gefahr läuft, das Kunstwerk zur Ware zu veräußern und so dem öffentlichen Marktwert das ästhetische Feld zu überlassen, traut ihr Benjamin eine wahrhaft revolutionäre Mission zu: Die ästhetische Distanz des Kunstwerks zum Publikum, die das Geheimnis der Produktion autoritär hütet, soll im Namen der Emanzipation aller kreativen Kräfte der Massen überwunden werden. Durch den Vergleich von Film und Theater zeigt Benjamin, daß die Überwindung der ästhetischen Distanz im Rahmen der Vorbereitung und Einübung eines neuen, sinnlichen Verhältnisses von Mensch und Technik gerade das Geschäft einer subjektlosen, anonymen Apparatur ist, an welche die Menschen nur angekoppelt erscheinen. „Der apparatfreie Aspekt der Realität“, an den sich auratische Fernsicht und romantische Unmittelbarkeitsillusionen noch heften, mutiert „zur blauen Blume im Land der Technik“ (I/2, S.495). Schnitt und Montage, Wiederholung und Zitat reißen in der filmischen Produktion und Rezeption die sinnliche Präsenz Aug’ in Aug’ von Darsteller auf der Bühne und Publikum im Saal vielfältig auseinander, um beide erst wieder über eine komplizierte Apparatur, dann freilich je nach Bedarf, zusammen zu schalten. Am filmischen Montageverfahren, dem das Darstellungsmaterial und seine Bedeutung im montierten bzw. gezeigten Film prinzipiell auseinanderfallen, macht Benjamin drastisch den Abstand der (neuen) Kunst der (emanzipierten) Massen zum „Reich des schönen Scheins“ deutlich, „das solange als das einzige galt, in dem sie gedeihen könne“ (I/2, S.491). Eine dazugehörige Anmerkung, die nur in der Zweiten Fassung des Kunstwerk-Aufsatzes erhalten ist, stellt einen erhellenden Zusammenhang zwischen dem eher wirkungs- und rezeptionsästhetisch orientierten Begriff der Aura und dem „schönen Schein“ als produktionsästhetischer Kategorie des deutschen Idealismus her:
„Die Bedeutung des schönen Scheins ist in dem Zeitalter der auratischen Wahrnehmung, das seinem Ende zugeht, begründet. Die hier zuständige ästhetische Theorie hat ihre ausdrücklichste Fassung bei Hegel erhalten [...] Freilich trägt diese Fassung schon epigonale Züge. [...] Der schöne Schein als auratische Wirklichkeit erfüllt dagegen noch ganz und gar das goethesche Schaffen. Mignon, Ottilie und Helena haben an dieser Wirklichkeit teil. ‘Weder die Hülle noch der verhüllte Gegenstand ist das Schöne, sondern dies ist der Gegenstand in seiner Hülle’ - das ist die Quintessenz der goetheschen wie der antiken Kunstanschauung.“ (VII/1, S.368)
Auffällig muß Benjamins Selbstzitat zur Bezeichnung jener „Quintessenz der goetheschen wie der antiken Kunstanschauung“ aus dem Wahlverwandtschaften-Essay erscheinen, hat sein propositionaler Gehalt dort doch die Aufgabe, sowohl die späte goethesche Kunstdoktrin als auch die ästhetische Voraussetzung der eigenen frühen Kunstkritik zu erläutern: „Mag daher Schein sonst überall Trug sein - der schöne Schein ist die Hülle vor dem notwendig Verhülltesten.“ (I/1, S.195) In Goethes Mimesis-Theorie verortet Benjamin das produktionsästhetische Prinzip des Schönen und der auratischen Kunst überhaupt, das durch und durch aporetische Züge zeigt: Kunst bildet die wahre Natur ab, die im Kunstwerk als schöner Schein erscheinen muß. Einerseits liefert Benjamins zitierte Anmerkung zu der im Wahlverwandtschaften-Essay dargestellten Lehre des schönen Scheins die dort fehlende geschichtliche Bestimmung zum „Reich des schönen Scheins“ nach, indem die „Verkümmerung des Scheins“ und der „Verfall der Aura in den Werken der Kunst“ (VII/1, S.369) als zwei Seiten desselben geschichtsphilosophischen Schicksals von Wahrnehmung und Erfahrung in der Moderne parallelisiert werden. Andererseits zeigen erst die auf Goethes autonome Kunst gemünzten Formulierungen vom „schönen Schein als auratischer Wirklichkeit“ und vom „Schönen“ als dem „Gegenstand in seiner Hülle“ deutlich den vom produktionsästhetischen Scheinbegriff geerbten aporetischen Charakter des rezeptionsästhetischen Begriffs der Aura. Wie der „schöne Schein“ ist die Aura zwar eine „Hülle“, ein Äußeres, aber paradox genug als diese „unzugänglichste Oberflächenwelt“ (VI, S.603) doch die besondere „Hülle vor dem notwendig Verhülltesten“: Sie ist zugleich „Kern“, weil sie ein ganz und gar wesentliches Moment des autonomen Kunstwerks ausmacht. Dies wird gerade mit dem Auftreten der modernen Reproduktionstechniken augenfällig, die mit dem Hier und Jetzt des Originals die „Echtheit“ dieses Kunstwerks bedrohen. Benjamin sagt, daß damit „ein empfindlichster Kern berührt“ (I/2, S.477) sei. Es geht um die unteilbare Autorität der autonomen Kunst, die so empfindlich ist, weil sie im Kunstwerk selbst kein physisches Substrat besitzt. Sie kommt ihm allein durch die Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte, also durch die Tradition zu, um eben als „Traditionswert“ und „Kultwert“ den metaphysischen Wert des autonomen Kunstwerks auszumachen.
Das moderne Ärgernis einer nicht mehr schönen Kunst sieht Benjamins Kunstwerk-Aufsatz freilich mehr als kompensiert durch den Auftritt der Massen im 19.Jahrhundert, die dem mythischen Bannkreis von Tradition und Autorität entkommen und eine offenere Welt mit neuen Augen aus der Nähe wahrnehmen wollen. Der „Verfall der Aura in den Werken der Kunst“ bedeutet das prinzipielle Ende der Produktions- und Inhaltsästhetik des „schönen Scheins“ sowie den Anfang einer Rezeptions- und Wirkungsästhetik zugleich, die sich - moderner Nachfahr der antiken aisthesis - als anthropologische Lehre der geschichtlich veränderten Wahrnehmung darstellt. Religiöse Verehrung, ästhetische Bewunderung, illusionistische Einfühlung - diese und andere autoritätshörige Formen der individuellen und kontemplativen „Sammlung“ (I/2; S.504) vor dem auratischen Kunstwerk sehen sich mit kollektiven Formen der großstädtischen „Rezeption in der Zerstreuung“ (I/2, S.505) konfrontiert, die noch vor dem Film in der Architektur ihr erstes Gewöhnungs- und Übungsinstrument haben: „Bauten werden auf doppelte Art rezipiert: durch Gebrauch und deren Wahrnehmung. Oder besser gesagt: taktil und optisch.“ (I/2, S.504) Diese experimentelle Wahrnehmung zielt auf die nächste Nähe des Leibes, baut zur Bewältigung ihrer vielfachen Aufgaben eher auf „Gewöhnung“ denn auf die künstlichen Veranstaltungen einer bewußten „Aufmerksamkeit“ (I/2, S.505), insistiert mit dem praktischen „Gebrauch“ auf dem Vorrang des Taktilen vor dem Optischen, rechnet gerade mittels des gewachsenen kognitiven Sinns für das Gleichartige mit polymorphen sinnlichen Effekten, multiplen Schocks und inszenierten Tricks. In dem veränderten großstädtischen „Bildraum, und konkreter: Leibraum“ (II/1, S. 309) von Zerstreuung und Spiel, Übung und Gewöhnung erhofft sich Benjamin gerade durch deren kollektives und massenhaftes Zusammenwirken eine Demokratisierung der Bilder. Seine anthropologische Wendung der Wahrnehmungsästhetik bezieht sich nicht ungeschichtlich auf den „natürlichen“, einzelmenschlichen Leib, sondern vielmehr auf den historisch gewordenen, durch Bilder organisierten Kollektivleib: Er ist Chiffre einer von Herrschaft befreiten Vermittlung von Natur und Technik.
Die schon im Surrealismus-Essay geforderte „leibliche kollektive Innervation“ (II/1, S.310) der Technik impliziert den Begriff einer „zweiten Technik“ (VII/1, S.359), der Maschinen, Instrumente und Apparaturen nicht länger als tote, dem Menschen äußerliche Dinge, sondern als Organe seines künftigen Gemeinschaftslebens auffaßt. „Diese zweite Technik ist ein System, in welchem die Bewältigung der gesellschaftlichen Elementarkräfte die Voraussetzung für das Spiel mit den natürlichen darstellt.“ (VII/1, S.360) Die überkommene Technikkonzeption des Abendlandes wird dominiert durch die aus der Opfernot geborene, instrumentelle Absicht der Naturbeherrschung. Dieser „ersten Technik“ gegenüber verlangt Benjamins „zweite Technik“ das unverzichtbare Komplement eines anderen Begriffs von Natur, der „Natur“ nicht teleologisch auf Materie, Rohstoff, d.h. auf bloße, damit in ihrem Eigensinn immer schon verdrängte Physis reduzierte. Analog der geschichtsphilosophischen Oppositionen von Kultwert und Ausstellungswert, Fundierung aufs Ritual und Fundierung auf Politik, wird in der Zweiten Fassung des Kunstwerk-Aufsatzes die noch in Kult und Ritual befangene „erste“ von einer „zweiten Technik“ unterschieden, die es „mit dem Experiment und seiner unermüdlichen Variierung der Versuchsanordnung“ zu tun hat:
„Die erste hat es wirklich auf Beherrschung der Natur abgesehen; die zweite viel mehr auf ein Zusammenspiel zwischen der Natur und der Menschheit. Die gesellschaftlich entscheidende Funktion der heutigen Kunst ist Einübung in dieses Zusammenspiel.“ (VII/1, S.359)
Die an experimentelle Strategien und ein freies „Zusammenspiel zwischen der Natur und der Menschheit“ gebundene „zweite Technik“ erscheint als Hoffnungsträger, die der nicht mehr schönen „heutigen Kunst“ durch die „Zertrümmerung der Aura“ hindurch den Weg zu wahrhaft demokratischer Massenkultur weist. Benjamins Hoffnung auf diese „zweite Natur“ ist nicht teleologisch , sondern hypothetisch: ein Postulat der Notwehr, das die „Zertrümmerung der Aura“ als die der Menschheit einzig verbleibende Möglichkeit unterstellt. Das Theologisch-politische Fragment zeichnet schon früh dieser ins Profane verschlagenen, negativen Theologie den entsprechenden Ausweg vor, indem es „Nihilismus“ als „Methode“ von „Weltpolitik“ und Geschichte inauguriert:
„Der geistlichen restitutio in integrum, welche in die Unsterblichkeit einführt, entspricht eine weltliche, die in die Ewigkeit eines Unterganges führt und der Rhythmus dieses ewig vergehenden, in seiner Totalität vergehenden Weltlichen, der Rhythmus der messianischen Natur, ist Glück.“ (II/1, S.204)
Weil es dem kapitalistischen 19.Jahrhundert nicht gelang, die neuen technischen Errungenschaften in adäquate Sozial- und Gesellschaftsformen einzubetten, war auch der Technikrezeption in den Industrieländern kein Glück beschieden. In der Konsequenz dieses geschichtsphilosophischen Unglücks sieht Benjamin das „Blutmeer“ (IV/1, S.147) des Ersten Weltkrieges und die faschistische „Ästhetisierung der Politik“ (I/2, S.508), die auf das Überbieten des Ersten Weltkrieges in einem neuerlichen - Zweiten - Weltkrieg hinausläuft. Auf verlorenem Posten sucht der „destruktive Charakter“ dieser tödlichen Gefahr durch die avantgardistische Strategie einer radikalen „Politisierung der Kunst“ zuvorzukommen. Es ist bekannt, daß Adorno Benjamins „messianisch-nihilistische“ Hoffnungen auf eine „zweite Technik“ und auf die emanzipatorische Wirkung der neuen Massenmedien niemals geteilt hat. Er sieht Benjamins eigentümlichen „Materialismus“ wiederholt in Gefahr, „am Kreuzweg von Magie und Positivismus“ (24) zu verharren. Für die Benjamin-Rezeption im Umkreis der Kritischen Theorie ist bezeichnend, daß Adorno den in der Auseinandersetzung mit dem frühen französischen Surrealismus theoretisch erschlossenen „anthropologischen Materialismus“ - laut Brief vom 6.9.1936 - als „Titel“ all dessen im Werk Benjamins ansah, dem er „ die Gefolgschaft nicht leisten“ konnte: „Es ist, als sei für Sie das Maß der Konkretion der Leib des Menschen.“ (25) Am 18.3.1936 kritisiert Adorno am Kunstwerk-Aufsatz „einen sehr sublimierten Rest gewisser Brechtischer Motive, daß Sie jetzt den Begriff der magischen Aura auf das autonome Kunstwerk umstandslos übertragen und dieses in blanker Weise der gegenrevolutionären Funktion zuweisen.“ (26) Durch den Mangel an objektiv geschichtsphilosophischer Vermittlung bleibt in Adornos Augen Benjamins wahrnehmungstheoretische „Entzauberung der Kunst“ als Spezialfall der „dialektischen Selbstauflösung des Mythos“ (27) beim Aufweis wie immer kollektiver, doch subjektiver Phänomene stehen.
„Die Dinge aus Glas haben keine Aura. Das Glas ist überhaupt der Feind des Geheimnisses. Es ist auch der Feind des Besitzes.“ (II/1, S.217) Daß Benjamin selbst sich über strategische Stilisierungen in seiner auf historische Authentizität, Massenkultur und neue Wahrnehmungslehre ausgerichteten Theorie der Moderne durchaus bewußt war, zeigt komplementär im Kontrast zum Avantgardismus des Kunstwerk-Aufsatzes der Essay Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows. Die Aktualität der zentralen Motive - der Kursverfall der Erfahrung und der Schwund des Erzählvermögens - wird zwar aus dem Aufsatz Erfahrung und Armut von 1933 übernommen. Darin hatte Benjamin sowohl die „Konstrukteure“ (II/1, S.215), welche von Einstein bis Loos, Klee, Scheerbart und Brecht „das von Grund auf Neue zu ihrer Sache gemacht“ (II/1, S.219) haben, gefeiert als auch „gänzliche Illusionslosigkeit über das Zeitalter und dennoch ein rückhaltloses Bekenntnis zu ihm“ (II/1, S.216) als Standort gefordert. Die strategische Stilisierung kathartischer Erfahrungsarmut zu einem „neuen, positiven Begriff des Barbarentums“ (II/1, S.215) spielt im Erzähler-Essay jedoch keine Rolle mehr. Stattdessen versucht Benjamin nunmehr, den „anthropologischen Materialismus“ seiner avantgardistischen Wahrnehmungstheorie in eine umfassende Theorie der Erfahrung einzubinden. Noch die Thesen Über den Begriff der Geschichte von 1940 zeugen von dieser theoretischen Anstrengung der letzten Lebensjahre, indem sie eine richtig verstandene „materialistische Geschichtsschreibung“ im messianischen Begriff der „Jetztzeit“ (I/2, S.701-703) von historischer Erfahrung begründen wollen.
Im Erzähler-Essay von 1936 wird die sich in der Moderne verlierende Spur der auratischen Erzählerfigur weit über Lesskow hinaus bis in die Vergangenheit des europäischen Handwerks zurückverfolgt. Dabei treten nun freilich die modernen Kosten in den Vordergrund, die mit dem Schwund des Erzählvermögens und der Verkümmerung der Erfahrung, mit dem „Verfall der Aura“ also, verbunden sind. Nicht Trauer um die verlorene Harmonie einer unwiederbringlich entschwundenen Epoche und ihrer glücklich erscheinenden Formen der kollektiven Kommunikation und Erfahrung leitet aber Benjamins geschichtsphilosophische Spurenlese; auch nicht romantische Sehnsucht nach dem Zauber des Märchens oder Nostalgie ob der Autorität der gemeinschaftstiftenden mythischen Erzählung. Der Befund des beklagenswerten Verlusts ist vielmehr Regulativ der Suche nach der zeitgemäßen Schwundstufe einer narrativen Form, die weder durch die formkonstitutiven Schwächen des bürgerlichen Romans noch durch die institutionellen Mängel der journalistischen Information kompromittiert wäre. Das technisierte Nachrichtenwesen, welches das humane Bedürfnis, etwas Neues und Fremdes zu erfahren, kapitalistisch ausbeutet, erscheint im Sinne der Pressekritik von Karl Kraus als Totengräber der Erfahrung. Indem es das Neue zur Ware bzw. zum Massenartikel macht und dabei allen Reichtum des räumlich und zeitlich Fernen auf bloße Information reduziert, zerreißt es das auratische Gespinst von Nähe und Ferne, durch das hindurch Erfahrung ihren kollektiven Stoff vermittelt haben will. Kraft der instrumentellen Verführungsgewalt des jeweils Neuesten gelangt im Traditionsvakuum der modernen Ratlosigkeit das technisierte Ritual der Information zur Herrschaft. Ergebnis ist ein monotoner Kult der Sensation, wo eine Neuheit die andere jagt; dies aber so, daß im leeren Zentrum, im Allerheiligsten des Kults, jeweils die letzte Neuigkeit und Neuheit, damit aber die schlechte Langeweile des wiederkehrenden Immergleichen thront.
„Der Erzähler ist die Gestalt, in welcher der Gerechte sich selbst begegnet.“ (II/2, S.465) Indem Benjamin die im Zeitalter der Information verbliebenen Spuren des verschwindenden „Erzählers“ untersucht, zielt er zugleich darauf ab, an eine auratische Form von Erfahrung im Stand der Vergessenheit zu erinnern. Im Verein mit dem „Gedächtnis, dem Musischen der Erzählung“ (II/2, S.454) ist es seit jeher die „gerechte“ Aufgabe der „Erinnerung“ gewesen, „die Kette der Tradition“ zu stiften, „welche das Geschehene von Geschlecht zu Geschlecht weiterleitet“ (II/2, S.453). Die symptomatische Möglichkeit des definitiven Verlustes dieses Erzählvermögens, sanktioniert durch spurloses Vergessen, stellt in Benjamins Augen eine alarmierende Aussicht dar. Paradox genug muß die avantgardistische „Liquidierung des Traditionswertes am Kulturerbe“, will sie ihre „kathartische Seite“ (I/2, S.478) im Erneuerungsprozeß der Menschheit nicht verlieren, gerade „die Rettung der Tradition“(28) im Auge haben. So erscheint Benjamin Karl Kraus’ Zitierkunst der Fackel als kathartische Technik der Gerechtigkeit, deren jeweils „jüngste“ Sprachgerichte die moderne Konjunktion von „Ursprung und Zerstörung“ (II/1, S.367) exemplarisch exekutieren. Daß Erfahrung an die rettende Aktualisierung semantischer Potentiale der Tradition gebunden ist, zeigt indirekt gerade die Übermacht des technisierten Nachrichten(un)wesens: „Hochverrat des Rechts an der Gerechtigkeit“ (II/1, S.349) lautet die Anklage, die Benjamin aus dem lebenslangen Anschreiben des modernen „Satirikers“ Karl Kraus gegen die „Zeit“ und ihre „Zeitung“ herausliest. Weder im Wiener „Satiriker“ noch im russischen „Erzähler“ Lesskow findet Benjamin aber die auratische Autorität des „Gerechten“ für die eigene unberatene und ratlose Gegenwart wieder. Dort, wo sich die Spuren des „Gerechten“ in Sprache und Schrift verlieren, entdeckt er vielmehr eine von Gott verlassene, theologische Aufgabe, an der sich wahre Erfahrung hier und jetzt zu bewähren hat: „die von der römischen Kirche verworfene Spekulation des Origenes über die Apokatastasis - das Eingehen sämtlicher Seelen ins Paradies“ (II/2, S.458).
Gerade die Intention auf eine restitutio in integrum, die nichts verloren gibt, indem sie allseitige und vollständige Gerechtigkeit anstrebt, bildet noch am wertlosen Abfall und am verschrobenen Detail das Fragmentarische und die heillose Defizienz wahrhaft aktueller Erfahrung ab. Benjamin greift die lebensphilosophischen Aufwertungen des individuellen Erlebnisses von Dilthey bis Klages und Jung an, die unter Berufung auf Dichtung, Kunst, Natur oder ein mythisches Zeitalter versuchen, „der wahren Erfahrung im Gegensatze zu einer Erfahrung sich zu bemächtigen, welche sich im genormten, denaturierten Dasein der zivilisierten Massen niederschlägt“ (I/2, S.608). Durch diese lebensphilosophisch beschworene Pseudo-Aura des exklusiven, vermeintlich Zeit und Raum überwindenden Erlebens hindurch spürt Benjamin im Erlebnis gerade das dem Massenzeitalter gemäße, durch das technisierte Nachrichten- und Kommunikationswesen geschaffene Zersetzungsprodukt von Erfahrung auf: „Die Phantasmagorie ist das intentionale Korrelat des Erlebnisses.“ (V/2, S.966) Angesichts der fortschreitenden „Industrialisierung von Raum und Zeit im 19.Jahrhundert“ (29) zielt das Erlebnis als phantasmagorisches „Fernsehen“ in der nächsten Nähe des Privaten darauf ab, Nähe und Ferne, die der wissenschaftliche Fakten-Positivismus von Geschichte und Geographie kaum mehr zur Alltagserfahrung hin vermitteln kann, von Fall zu Fall in einem eigentümlichen, pseudo-auratischen Gespinst zu versöhnen. Durch die individuelle Fokussierung der kollektiven Wunschenergien, die sich seit dem 19.Jahrhundert gerade in Abenteuer- und Liebestraum verpuppten, stellt es dem einsamen Bürger eine innere Guckkastenbühne bereit: Versorgt mit geschönten Bildern von der Welt kann er der aus Angst geborenen Neigung frönen, sich im gemütlichen Interieur der privaten Wände gegen das feindliche und anonyme Außen der großstädtischen Massen abzuschließen. Das Erlebnis fungiert als kurzweilige Sensation des vom „ennui“ geplagten Müßiggängers, wird zur Obsession des auf psychische Entlastung hoffenden Einzelmenschen, der im Wiederholungszwang immer wieder neuer Erlebnisse je schon um authentische Erfahrung betrogen scheint. Am Nullpunkt der Erfahrung kritisiert Benjamin das Erlebnis als dessen modernen Usurpator, indem er bei Charles Baudelaire die Rettung seiner extremsten Form versucht: Es geht ihm um das „Chockerlebnis“, das der Kunstwerk-Aufsatz im Kontext der „physischen Chockwirkung“ (I/2, S.503) des Films nur erst recht funktionalistisch als „Symptom von tiefgreifenden Veränderungen der Apperzeption“ (I/2, S.505) deutete.
Der Aufsatz Über einige Motive bei Baudelaire von 1939, den Benjamin als Neufassung des zweiten Teils Der Flaneur des ersten Baudelaire-Aufsatzes Das Paris des Second Empire bei Baudelaire vom Vorjahr konzipierte, stellt die entscheidende Frage, „wie lyrische Dichtung in einer Erfahrung fundiert sein könnte, der das Chockerlebnis zur Norm geworden ist.“ (I/2, S.614) Das „Chockerlebnis“ zerschlägt die Gemütlichkeit des bürgerlichen Interieurs, zerreißt die geborgten Kleider des träumerischen Erlebens, indem es immer wieder neu als nacktes Erlebnis erschreckt. Es löst das vereinzelte Ereignis aus der Kontinuität des Zeitablaufs, verlangt deshalb vom Bewußtsein permanente Geistesgegenwart als erste und letzte Überlebenstugend des Großstadtbewohners. Sein Prototyp ist die Sensation des Coups beim Hasardspiel: Der Wiederholungszwang, der die psychischen Energien bei höchster innerer und äußerer Alarmbereitschaft hält, das Verpuffen und die Folgenlosigkeit des persönlichen Einsatzes, schließlich „das Immer-wieder-von-vorn-anfangen“ (I/2, S.636) bestimmen sein höllisches, weil schlecht unendliches Zeit-Erleben, dem alle bestimmten Inhalte und Qualitäten der Erfahrung gleichgültig geworden sind. „Die Mode ist die ewige Wiederkehr des Neuen.“ (I/2, S.677) Erlösung vom Bann des Immergleichen verspricht nur das Neue, welches als das immer wieder Neue im Spiel der wechselnden Moden doch gerade den Bann perpetuiert. „Spleen“ und Satanismus Baudelaires finden in dem auf diese aporetische Spitze getriebenen Zeitbewußtsein der Moderne ihre erfahrungstheoretische Begründung. Benjamin sieht die einzigartige Bedeutung Baudelaires darin, „als erster und am unbeirrbarsten die Produktivkraft des sich selbst entfremdeten Menschen im doppelten Sinne des Wortes dingfest gemacht - agnosziert und durch Verdinglichung gesteigert - zu haben“ (Br 2, S.752). Im leibhaften Kampf des Spielers gegen die Sekunde tritt das „Chockerlebnis“ mit seiner ganzen dämonischen Macht in Erscheinung: „Der dem spleen Verfallene, der von der Faszination durch den leeren Zeitverlauf nicht loskommt, ist ein Zwillingsbruder des Spielers.“ (I/3, S.1187) Benjamin begreift Baudelaires lyrisches Erlebnis der Großstadt Paris - seinen „spleen de Paris“ - als authentisch moderne, d.h. ganz bewußt fragmentarische und heillos defiziente Erfahrung:
„So ist das Erlebnis beschaffen, dem Baudelaire das Gewicht einer Erfahrung gegeben hat. Er hat den Preis bezeichnet, um welchen die Sensation der Moderne zu haben ist: die Zertrümmerung der Aura im Chockerlebnis. Das Einverständnis mit dieser Zertrümmerung ist ihn teuer zu stehen gekommen. Es ist aber das Gesetz seiner Poesie.“ (I/2, S.652 f.)
Unter dem Titel Perte d’auréole hat Baudelaire selbst einmal sein „Einverständnis“ mit der „Zertrümmerung der Aura“ im allegorischen Bild vom Dichter auf der Straße ausgedrückt: Nicht zufällig leitet Benjamin den Schluß seines Aufsatzes Über einige Motive bei Baudelaire mit dem vollständigen Zitat dieses „petit poème en prose“ aus der fragmentarischen Sammlung Le Spleen de Paris ein, die Baudelaire als Komplement zur Gedichtsammlung Les Fleurs du mal projektiert hatte. Der „Verlust einer Aureole“ (I/2, S.651) erscheint als Emblem des Verfalls der autonomen Kunst und Literatur, das die romantische Idee der Kunstreligion verabschiedet. Der Dichter, der die Aureole in der Gosse verloren hat, sagt dem schönen Schein und der sozialen Würde ab, um sich inkognito unter die großstädtische Masse zu mischen: „Et puis, me suis-je dit, à quelque chose malheur est bon. Je puis maintenant me promener incognito, faire des actions basses, et me livrer à la crapule, comme les simples mortels.“ (30) Als literarisches Muster kann Poes Titelfigur aus der Erzählung The Man of the Crowd gelten: Auch der moderne Dichter Baudelaire, der sich gleich den gewöhnlichen Sterblichen der Großstadt dem „Chockerlebnis“ auf der Straße aussetzt, ist, nolens volens mit dem Sekundenbewußtsein des Spielers ausgestattet, kein Flaneur mehr: „Ihm ist der Schein einer in sich bewegten, in sich beseelten Menge, in den der Flaneur vergafft war, ausgegangen.“ (I/2, S.652) Für Benjamin besteht bei diesem allegorisch ausgelegten Endspiel kein Zweifel, daß Baudelaire zuletzt mit dem „ohnmächtigen Zorne“ des Ausgestoßenen „gegen die Menge“ angeht. Weder Sozialromantik noch Pariser Bohème-Ästhetizismus taugen zur Ausstaffierung der authentischen Erfahrung, die der depossedierte Dichter nach dem Verlust der Aureole inkognito auf der Straße macht: „perdu dans ce vilain monde, coudoyé par les foules“ (I/2, S.652).
Gleichwohl ist die fundamentale Opposition von „Aura“ an und für sich und „Verfall“ bzw. „Zertrümmerung der Aura“ bei Baudelaire weniger an der semantischen Oberfläche als vielmehr in der poetologischen Tiefenstruktur seiner Lyrik aufzufinden. „Baudelaires spleen ist das Leiden am Verfall der Aura.“ (V/1, S.433) Schon die Zerrissenheit Baudelaires - einerseits „Leiden am Verfall der Aura“, andererseits „Einverständnis“ mit ihrer „Zertrümmerung“ - weist darauf hin, daß diese fundamentale Opposition in die Symptomatik anderer „Motive“ hineinwirkt, welche die Kompromißbildung des antithetischen Gegensatzpaares seriell reproduzieren. Solche Homologien und Strukturanalogien sind Benjamin als unbewußte Effekte des „urgeschichtlichen“ Wiederholungszwanges der Moderne nicht entgangen. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus (I/2, S.509) sollte der Untertitel des seit 1937 als „Miniaturmodell“ (Br 2, S.750) des Passagen-Werks geplanten Buches über Baudelaire lauten. Es sollte weniger ästhetische und historische Urteile beinhalten als vielmehr Baudelaire zeigen, „wie er ins neunzehnte Jahrhundert eingebettet liegt“ (Br 2, S.752). Diese Absicht sollte nicht selbst schon auf ein auratisches Werk hinauslaufen; wohl aber intendierte das geplante Buch, genau an der durch Baudelaire markierten Stelle im 19.Jahrhundert die Frage nach der „Aura“ und ihrer „Zertrümmerung“ wiederaufzunehmen: „Der Abdruck, den er darin hinterlassen hat, muß so klar und so unberührt hervortreten, wie der eines Steins, den man, nachdem er jahrzehntelang an seinem Platz geruht hat, eines Tages von der Stelle wälzt.“ (Br 2, S.752; V/1, S.405) Diesen „Abdruck“ will der Aufsatz Über einige Motive bei Baudelaire gezielt aus einer Reihe von symptomatischen „Motiven“ gewinnen, die in sich selbst die Spuren der einstigen Abwehrkonflikte tragen, aus denen sie als widerstandsfähige Kompromißbildungen zwischen verdrängten und verdrängenden Kräften hervorgegangen sind. Als heroische Aufgabe des Dichters im 19.Jahrhundert erscheint bei Baudelaire, „der Moderne Gestalt zu geben“ (Br 2, S.752). Deshalb kann Benjamins motivische Spurenlese unterstellen: „Sein Werk läßt sich nicht nur als ein geschichtliches bestimmen, wie jedes andere, sondern es wollte und es verstand sich so.“ (I/2, S.615) Mit Hilfe der „modernen“ Gegensatzpaare von „Chockerlebnis“ und „Erfahrung im strikten Sinn“ (I/2, S.611), von Bewußtsein und Gedächtnis, „spleen“ und „idéal“, „allégorie“ und „correspondances“, abstrakte Zeit und erfüllte Zeit vermißt Benjamin die archäologische Fundstelle, an der Baudelaire im 19.Jahrhundert seinen „Abdruck“ hinterlassen hat, um dort die Bruchstücke der „Aura“ nach ihrer „Zertrümmerung“ einzusammeln. (31)
Benjamins Archäologie der Erfahrung und der Aura zieht metapsychologische Überlegungen zur Antithese von zersetzendem Bewußtsein und konservierendem Gedächtnis heran, die Freud 1920 in Jenseits des Lustprinzips zum komplexen Verhältnis von „Ich“ und „Es“ anstellte. Diese bedeutende Schrift Freuds hat Benjamin zugleich als unfreiwilligen wie trefflichen Kommentar zu Marcel Prousts Erinnerungsästhetik und ihrer entscheidenden Differenzierung zwischen „mémoire involontaire“ und „mémoire volontaire“, zwischen „unwillkürlichem Eingedenken“ und bewußter Erinnerung gelesen. Wenn Benjamin die einmalige Qualität der unzeitgemäßen Bilder, die in Prousts Romanwerk der Recherche du temps perdu aus der „mémoire involontaire“ auftauchen, darin sieht, „daß sie eine Aura haben“ (I/2, S.646), so kann er mit Hilfe von Freuds Überlegungen doch den Grund des Rätsels angeben: Damit das unwillkürliche Eingedenken mit dem längst vergessenen, sinnlichen Eindruck die verlorene Zeit in einem Nu wiederfinden kann, ist unerläßliche Voraussetzung, daß diese Erinnerungsreste des Gedächtnisses vorher nie noch Gegenstand des Bewußtseins bzw. der Registratur der „mémoire volontaire“ gewesen sind. Mit Blick auf die extremen Leistungen von Baudelaire und Proust für eine Theorie der geschichtlichen Erfahrung erscheinen Benjamin Freuds Überlegungen geeignet, die Funktionsweise von Bewußtsein und Gedächtnis in der großstädtischen Lebenskultur der Moderne zu erhellen. Das erklärte Ziel von Freuds Schrift war ja, die für die Psychoanalyse fundamentale Annahme eines „Wiederholungszwanges“ zu rechtfertigen, in dem zugleich „Todestriebe“ (32) wirksam sind. Im offenen Widerspruch zur humanistischen und idealistischen Philosophie bestimmt Freud das Bewußtsein als bloßes Wahrnehmungsbewußtsein, das an der umhüllenden Oberfläche der Psyche sowohl die „Erregungen“ durch die Außenwelt als auch die von innen kommenden „Empfindungen von Lust und Unlust“ (33) zu überwachen hat. Komplementär im Kontrast zur „Reizaufnahme“ sieht Freud aber die primäre Funktion dieses „Systems W-Bw“ darin, daß es als „Reizschutz“ auftritt, um den empfindlichen Binnenhaushalt der psychischen Energien „vor dem gleichmachenden, also zerstörenden Einfluß der übergroßen, draußen arbeitenden Energien zu bewahren“ (34). Die psychoanalytische Theorie kann deshalb das traumatische Schockerlebnis „aus der Durchbrechung des Reizschutzes“ verstehen und den „Schrecken“ aus dem „Fehlen der Angstbereitschaft“ (35), die zum „Reizschutz“ des Bewußtseins gehört. In einem vergangenen Versäumnis von Angstentwicklung sucht Freud die Ursachen der traumatischen Neurose. So können ihm Träume und Erinnerungen, welche die durch den Ausfall der Schockabwehr des Bewußtseins verschuldeten, früheren Katastrophen reproduzieren, als vom „Wiederholungszwang“ gesteuerte Versuche einsichtig werden, durch „hohe Energiebesetzungen“ genau „in der Umgebung der Einbruchstelle“, durch eine punktuelle, die anderen psychischen Leistungen lähmende, „großartige Gegenbesetzung“ also, „die Reizbewältigung unter Angstentwicklung nachzuholen“ (36). Die für das „System W-Bw“ fundamentale Annahme, „das Bewußtsein entstehe an der Stelle der Erinnerungsspur“, und die daraus abgeleitete Hypothese, „daß Bewußtwerden und Hinterlassung einer Gedächtnisspur für dasselbe System miteinander unverträglich sind“, lassen Freud die Besonderheit des Bewußtseins darin erkennen, daß der Erregungsvorgang in ihm anders als im unbewußten Gedächtnis „gleichsam im Phänomen des Bewußtwerdens verpufft“ (37).
Der Zwang zur Selbsterhaltung der Psyche hat ein gedächnisloses Bewußtsein als schützende Rinde über dem „Wunderblock“ des bewußtlosen Gedächtnisses aufgeworfen. Um die apperzeptive Doppelfunktion des „Reizschutzes“ und der kontrollierten „Reizaufnahme“ optimal zu erfüllen, muß es - wie Nietzsche gegen den Historismus schon forderte - gerade Vergangenes vergessen können. Das menschliche Bewußtsein hat sich nach Freud im Laufe der Phylogenese zum Wächter entwickelt, der an der Grenze zwischen Innen und Außen Zersetzungs- und Destruktionsarbeit leistet, um das energetische Gleichgewicht der letztlich mehr auf Entspannung, Ruhe und Tod denn auf Lustgewinn fixierten Psyche zu schützen. Was Freud im spekulativen Blick auf Phylogenese und Ontogenese als Bestimmung des „Systems W-Bw“ festhält, nimmt Benjamin zugespitzt für Baudelaires hypertrophes Sekundenbewußtsein des Großstadtlyrikers in Anspruch: „Der spleen ist das Gefühl, das der Katastrophe in Permanenz entspricht.“ (I/2, S.660) Die dem „spleen“ eigentümliche Leistung der „Chockabwehr“ sieht Benjamin darin: „dem Vorfall auf Kosten der Integrität seines Inhalts eine exakte Zeitstelle im Bewußtsein anzuweisen“ (I/2, S.615). Diese „Spitzenleistung der Reflexion“ (I/2, S.615) ist in der Reizüberflutung der Großstadt aber nur durch ständige „Angstbereitschaft“ im Verein mit der andauernden „Überbesetzung“ des „Systems W-Bw“ möglich. Zur Wahrnehmung dieser Abwehraufgaben bindet es ein Maximum an psychischer Energie, deren Konzentration wiederum die anderen psychischen Systeme und menschlichen Vermögen, z.B. das mimetische Vermögen und „den Spielraum der Phantasie“ (I/2, S.645), verkümmern läßt. Der im Laufe der Gattungsgeschichte zur Regierung gelangte „destruktive Charakter“ des Bewußtseins wirft sich im „spleen“ und seinen „Chockerlebnissen“ zum despotischen Alleinherrscher auf: „l’appareil sanglant de la Destruction“ (38), dem in Baudelaires Sonett La Destruction der Fleurs du mal auch das letzte, die Gedichtform selbst sprengende Wort bzw. die letzte Zeile zukommt.
Gegen die pseudo-auratische Erwartung des Publikums, das beim großen Dichter nach Maßgabe von Lamartine, Hugo oder Musset auf ganzheitliche und lebendige Erfahrung hofft, setzt Baudelaires Lyrik „die Emanzipation von Erlebnissen“ (I/2, S.615). Benjamin hat gesehen, daß diese „Emanzipation“ sich der Negativität und bewußten Destruktionsarbeit des „spleen de Paris“ verdankt. Sein Werk der Zerstückelung und Zerstreuung der lyrischen Innerlichkeit reinigt die romantische Atmosphäre und gibt den Blick auf die nächste Nähe frei, wo er das Gegebene je auf seine Zerstörungswürdigkeit prüft. Bedrohung und Faszination, Angst und Lust begleiten die Diffusion des lyrischen Ich, das seine Individuationsgrenzen sprengt, indem es sich in den labyrinthischen Kollektivraum der Großstadt Paris hinausprojiziert. Die erstrebte „Emanzipation von Erlebnissen“ scheint nur möglich, wo auch den Erlebnissen der Anschluß an Restbestände von Tradition und kollektiver Vergangenheit gelingt: „Wo Erfahrung im strikten Sinn obwaltet, treten im Gedächtnis gewisse Inhalte der individuellen Vergangenheit mit solchen der kollektiven in Konjunktion.“ (I/2, S.611) Die antithetische Tiefenstruktur von Baudelaires Lyrik veranlaßt Benjamin, nicht nur Freuds metapsychologischer Differenzierung zwischen gedächtnislosem Bewußtsein und bewußtlosem Gedächtnis, sondern auch Prousts Trennung von willkürlicher Erinnerung und unwillkürlichem Eingedenken gegenseitige Ausschließlichkeit abzusprechen. Die Erlebnisse, denen Baudelaire „das Gewicht einer Erfahrung“ geben kann, sind aus der antithetischen Konstellation von „spleen“ und „idéal“ hervorgegangen: „Das idéal spendet die Kraft des Eingedenkens; der spleen bietet den Schwarm der Sekunden dagegen auf.“ (I/2, S.641) Aus dem Spannungsverhältnis, in dem dabei „eine aufs höchste gesteigerte Sensitivität zu einer aufs höchste konzentrierten Kontemplation steht“ (I/2, S.674), sieht Benjamin mitten im 19.Jahrhundert die einzigartige Lyrik Baudelaires hervortreten. Sie hat „im Verfall der Aura eins ihrer Hauptmotive“ (I/3, S.1187), wie Benjamins Resümee von Über einige Motive bei Baudelaire bündig befindet. Les Fleurs du mal erscheinen als der aus großstädtischer Einsamkeit geborene Kompensationsversuch für den Verlust von kollektiv gesicherter Erfahrung und Tradition, der zugleich den lyrischen Kompromiß zwischen Antike und Moderne, zwischen Vergangenheit und Gegenwart sucht. „Paris change! Mais rien dans ma mélancolie n’a bougé!“ (39) Das Gedicht Le Cygne bezeichnet mit dem „Schwanengesang“ den melancholischen Grundton, der die Ambiguität der lyrischen Kompromißbildungen Aug’ in Aug’ mit dem zerstörenden Fortschritt verrät. Das „Chockerlebnis“ und seine „Sensation der Moderne“ macht im „spleen“ die bewußte „Zertrümmerung der Aura“ einerseits zum Probierstein authentischer Erfahrung, als deren „idéal“ andererseits aber die vom zivilisatorischen Fortschritt zerstörten, gemeinschaftlichen „Kulte mit ihrem Zeremonial, ihren Festen“ (I/2, S.611) erscheinen.
Die Bestimmung der Aura im Zeitalter ihres „Verfalls“ und ihrer „Zertrümmerung“ ist Benjamin bei Baudelaire wohl am prägnantesten anhand der antithetischen Symptomatik der „Motive“ von „spleen“ und „idéal“ gelungen. Auf der Ebene formtheoretischer Reflexion entspricht dieser antithetischen Symptomatik der Erfahrungstheorie das prekäre Zusammenspiel der „Lehre von den correspondances“ und der „Lehre von der Allegorie“ (I/2, S.674). Deren Darstellung ist jedoch nur in den Zentralpark betitelten theoretischen Fragmenten zu finden, die Benjamin als aphoristisches Ideenparadies zu den ungeschriebenen Teilen seines geplanten Baudelaire-Buches hinterließ: zum ersten Teil Baudelaire als Allegoriker und zum dritten Teil Die Ware als poetischer Gegenstand (I/3, S.1216-1218). Benjamins „Urgeschichte“ der Moderne wählt gerade die Allegorie zum ästhetischen Formmodell, weil sie als „Andenken“ an der Schwelle zur industriellen Massenkultur noch vermag, an „Erfahrung im strikten Sinn“ zu erinnern. Gewiß kann Baudelaires allegorisches „Andenken“ im Zeitalter der Weltausstellungen, die den Tauschwert der Waren verklären, nur durch die Annäherung an fortgeschrittene Warenästhetik und Ausstellungskunst statthaben: „Weltausstellungen sind die Wallfahrtsstätten zum Fetisch Ware.“ (V/1, S.50). Diese Annäherung an die moderne Warenwelt ist aber entsprechend der allegorischen Zweideutigkeit zugleich eine Entfernung von ihr: Die Allegorie sagt etwas direkt, um damit zugleich etwas anderes indirekt zu bedeuten. Die „Lehre von der Allegorie“ erlaubt so der lyrischen Ausstellungskunst Baudelaires, die gegenseitige Ausschließlichkeit von „allégorie“ und „correspondances“ durch zweideutige Allegorien zu überwinden. Das allegorische „Andenken“ erinnert indirekt an „Erfahrung im strikten Sinn“, auch wenn sie Benjamin, wie die Symptomatik des „idéal“ in der Zuordnung zum Gedächtnis und in der gleichzeitigen Antithese zum Bewußtsein im Aufsatz Über einige Motive bei Baudelaire zeigt, zuerst im Bereich der auratischen „correspondances“ ansiedelt:
„Die Schlüsselfigur der späten Allegorie ist das Andenken. Das Andenken ist das Schema der Verwandlung der Ware ins Objekt des Sammlers. Die Correspondances sind der Sache nach die unendlich vielfachen Anklänge jeden Andenkens an die andern.“ (I/2, S.689)
Trotz aller Wertschätzung für die Recherche du temps perdu und ihre „Penelopearbeit des Eingedenkens“ (II/1, S.311) kritisiert Benjamin, daß „der restaurative Wille Prousts“ (I/2, S.640) in den Erinnerungsbildern der „mémoire involontaire“ nur noch auf dem autobiographischen Wege einer obsessiven Selbstklausur der auratischen Erfahrung ein Refugium einrichten konnte. Demgegenüber entdeckt er auch beim Allegoriker Baudelaire in den „correspondances“ ein Zusammenspiel von Anklängen, Gerüchen und Farben, wodurch in besonderen Augenblicken einer unvordenklichen Erfahrung gedacht wird, die nicht im Bereich der „vielfältig isolierten Privatperson“ (I/2, S.611), sondern im Kollektivbereich von Kult und Aura beheimatet ist: „Die correspondances sind Data des Eingedenkens. Sie sind keine historischen, sondern Data der Vorgeschichte. Was die festlichen Tage groß und bedeutsam macht, ist die Begegnung mit einem früheren Leben.“ (I/2, S.639) Wie das von Synästhesien durchzogene Sonett Correspondances zeigt, hat Baudelaire diese „correspondances“ zunächst im Refugium einer als Tempel idealisierten Natur untergebracht, wo in der paradiesisch glücklichen Atmosphäre allseitiger Reziprozität auch der „von Ferne beschwerte Blick als regard familier“ (I/2, S.649) seine Erwiderung erfährt: „Les parfums, les couleurs et les sons se répondent.“ (40) Eine krisensichere Heimstatt hat ihnen Baudelaire aber vor allem in der Schattenregion der kollektiven „Vorgeschichte“ eingerichtet. Daß mehr als jedes Bild von Natur „das Bild der Vorwelt“ Baudelaires „Lust am Schönen unstillbar“ (I/2, S.645) machte, dafür liefert Benjamin das Sonett La Vie antérieure Anschauung und Beweis: „vastes portiques“, „grands piliers“, „grottes basaltiques“ (41), die geisterhaft „aus dem warmen Dunst der Tränen, welche Tränen des Heimwehs sind“ (I/2, S.640), auftauchen. Wie im Traum begegnet im Eingedenken die Wahrnehmung vertrautesten Blicken an den Dingen, die sie in räumliche und zeitliche Fernen geleiten. Benjamin kann deshalb zu den auratischen „regards familiers“ notieren: „es sind vor allem die souvenirs, die als familiers auftreten.“ (I/3, S.1140) Kein schärferer Gegensatz scheint denkbar als derjenige, den Benjamin durch den Vergleich der auratischen Bilder des Eingedenkens mit den hier - durchaus anders als in der Kleinen Geschichte der Photographie - als „unmenschlich“ qualifizierten Reproduktionen der frühen Fotografie konstruiert, „da doch der Apparat das Bild des Menschen aufnimmt, ohne ihm dessen Blick zurückzugeben“ (I/2, S.646). Das Drastische des Vergleichs und die Pointe des Blick-Motivs stehen deutlich im Dienst der strategischen Absicht, im melancholischen Eingedenken an vergangene Versagungen und in der Beschwörung verschwindender Glücksmomente Baudelaires „Erfahrung der Aura“ gerade im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks und des „Verfalls der Aura“ indirekt als revolutionäres Modell aufzuwerten: Baudelaires authentische „Erfahrung der Aura“ reproduziert als Augenblicks-Erfahrung des „Anderen“ bzw. des „anderen“ Blicks an sich selbst die moderne Form des „Chockerlebnisses“, das gerade für die „Zertrümmerung der Aura“ einsteht. Komplementär im Kontrast zur zwingenden Symptomatik des „Verfalls der Aura“ lassen sich so erfahrungstheoretische Bestimmungen für ihren residualen Fortbestand gewinnen, die ihr Zeitmaß am „Chockerlebnis“ nehmen. Indem Benjamin auf dem glücklichen „anderen“ Augenblick der dialogischen Blickerwiderung insistiert, spricht er dem Ausnahmezustand der „Erfahrung der Aura“ insgesamt bzw. pars pro toto utopische Qualität zu:
„Dem Blick wohnt aber die Erwartung inne, von dem erwidert zu werden, dem er sich schenkt. Wo diese Erwartung erwidert wird (die ebensowohl, im Denken, an einen intentionalen Blick der Aufmerksamkeit sich heften kann wie an einen Blick im schlichten Wortsinn), da fällt ihm die Erfahrung der Aura in ihrer Fülle zu. [...] Die Erfahrung der Aura beruht also auf der Übertragung einer in der menschlichen Gesellschaft geläufigen Reaktionsform auf das Verhältnis des Unbelebten oder der Natur zum Menschen. Der Angesehene oder angesehen sich Glaubende schlägt den Blick auf. Die Aura einer Erscheinung erfahren, heißt, sie mit dem Vermögen belehnen, den Blick aufzuschlagen.“ (I/2, S.646 f.)
In der antithetischen Tiefenstruktur von Baudelaires Lyrik weiß Benjamin den Bogen zwischen der rückwärts gewandten Utopie der „Erfahrung der Aura“ und der modernen Erfahrung ihres „Verfalls“ bzw. ihrer „Zertrümmerung“ bis aufs äußerste gespannt. Die multiplen Momente von Bruch und Verwerfung, Inkohärenz und Aufsplitterung, welche im Gegensatz zur streng konzeptuellen Innenarchitektur (für die auch der Einsatz der Sonettform steht) an der sprachlichen Oberfläche die kaleidoskopische Schauseite von Baudelaires Lyrik bilden, können als Spuren von produktiven, seismischen Schocks entziffert werden, die sich aufgrund der chtonischen Spannung der beiden Erfahrungsextreme entladen haben. Die glücklichen „anderen“ Augenblicke der dialogischen Blickerwiderung, deren Unverfügbarkeit noch ihre begierige Erwartung steigert, bestimmen das „Bild der Vorwelt“, welches bei Baudelaire das der wahren, guten, schönen Natur verdunkelt hat. Benjamin zeigt diese konzeptuelle Verschränkung von Abwesenheit und Anwesenheit anhand der Thematisierung des Blicks in den Fleurs du mal. Durch das Oxymoron der „blicklosen Augen“ (I/2, S.649) trifft Benjamin die spezifische Verkehrung, die Baudelaire der alten Metapher vom Auge als glücklichem Spiegel der Schöpfung hat angedeihen lassen. „Blicklose Augen“ geben weder ein Bild der schönen Natur noch einen offenen Blick des Mitmenschen zurück. Gerade deshalb können sie als Strukturmetapher von Baudelaires Lyrik funktionieren: Augen als Spiegel des „ennui“, in denen sich durch graues Elend hindurch künstliche Seelenlandschaften reflektieren, deren Aufbau dem „Heimweh“ nach der Schattenregion der „Vorwelt“ folgt. Blickerwiderung, soll sie nicht auf die Deskriptionen der Verhaltensforschung reduziert werden, ist mehr als eine „in der menschlichen Gesellschaft geläufige Reaktionsform“. Seit Mystik und Romantik beschreibt sie den sprachlosen Dialog des unmittelbaren, wechselseitigen Einvernehmens zweier Liebender und das Versprechen ihrer kommenden Vereinigung: Sie ist glücklicher Vorschein der erwiderten „Liebe“ und ihrer „unio mystica“, welche eben „mit der Erfahrung der Aura gesättigt ist“ (I/2, S.648). Demgegenüber sieht Benjamin in Baudelaire den Ausgestoßenen, dessen „Auge des Großstadtmenschen mit Sicherungsfunktionen überlastet“ und in der Menge „blicklosen Augen verfallen“ (I/2, S.649) ist:
„Es handelt sich darum, daß die Erwartung, die dem Blick des Menschen entgegendrängt, leer ausgeht. Baudelaire beschreibt Augen, von denen man sagen könnte, daß ihnen das Vermögen zu blicken verloren gegangen ist. [...] Im Banne dieser Augen hat sich der Sexus in Baudelaire vom Eros losgesagt.“ (I/2, S.648)
Symmetrisch zur Introvertiertheit dieser Augen als Spiegel des „ennui“ taugt zum extrovertierten Modell nur die im anonymen wie seelenlosen Tauschgeschäft mit der Hure statthabende Blickerwiderung „des Raubtiers, das nach Beute Ausschau haltend zugleich sich sichert“ (I/2, S.649). Gleichwohl gilt auch für Baudelaire: „Belehnung ist ein Quellpunkt der Poesie“ (I/2, S.647). Entscheidender Unterschied aber bleibt, daß seine Lyrik auf klare Distanz zur romantischen personificatio hält, „wo der Mensch, das Tier oder ein Unbeseeltes, vom Dichter belehnt, seinen Blick aufschlägt“ (I/2, S.647) und das Auge dieses träumenden Dichters in die Ferne zieht. Baudelaire erweckt das „Unbeseelte“ nicht zum Leben, sondern mortifiziert vielmehr zusammen mit dem träumenden Blick des Dichters noch den lebendigen Leib der Kreatur. Die glücklichen Momente der personificatio und der unio mystica in der romantischen Liebesmystik werden durch den „ennui“ und sein graues Großstadtelend verdüstert. Sein tödliches Gift wird der Geliebten bzw. der Hure selbst einverleibt. Die unfruchtbare Frau - Lesbierin oder Hure - muß im Tausch ihren lebendigen Leib leihen, damit der Dichter Baudelaire das moderne Werk der Verdinglichung und Zerstückelung vorantreiben und zum Aufbau seiner künstlichen Paradiese übergehen kann. „Belehnung“ darf deshalb als „Quellpunkt“ seiner Poesie nur unter dem negativen Vorzeichen „einer Art Mimesis des Todes“ (I/2, S.587) gelten. Solche Mimesis erscheint Benjamin dem Zeitalter des warenproduzierenden Kapitalismus angemessen, weil sie nicht mehr an der Natur, sondern an der Künstlichkeit der Ware ihren „poetischen Gegenstand“ par excellence findet. Die „Aureole der Ware“ (Br 2, S.752) besteht ja darin, das Neue am Immergleichen und das Immergleiche am Neuen zur Erscheinung zu bringen, indem das Lebendige je an das anorganische Tote verkuppelt wird: „Die Mode schreibt das Ritual vor, nach dem der Fetisch Ware verehrt sein will.“ (V/1, S.51) Anders als die verklärende Ausstellungskunst der zeitgenössischen Weltausstellungen, welche „die Ware auf sentimentale Art zu vermenschlichen“ suchte, zielt Baudelaires Ausstellungskunst einer „Mimesis des Todes“ jedoch darauf ab, „die Ware auf heroische Art zu humanisieren“ (I/2, S.671).
Nur die „anderen“ Augenblicke des Eingedenkens halten Baudelaires Sekundenbewußtsein des „spleen“ im „Bild der Vorwelt“ die Möglichkeit des „idéal“ offen, das imaginierte Glück von Aura und Gemeinschaft als den Ausnahmezustand der Erfüllung eines lange gehegten Wunsches zu erfahren. „Nur was uns anschaut sehen wir. Wir können nur -, wofür wir nichts können.“ (III, S.198) Noch vor Franz Hessel oder Louis Aragon ist Baudelaire der „große Schwellenkundige“ (III, S.197) und deshalb Benjamins Gewährsmann, um Adornos brieflicher Einrede vom 29.2.1940 zum „unausgedachten“ Begriff der Aura zu begegnen. Benjamins Antwort begnügt sich am 7.5.1940 ostentativ mit dem Verdacht, daß es sich (über den Marxschen Fetisch-Begriff hinaus) in der Aura tatsächlich um „ein vergessenes Menschliches“ handeln dürfte, das „nicht notwendig“ - wie sich an Dingen wie „Baum und Strauch, die belehnt werden“, zeigen läßt - „durch die Arbeit gestiftet wird“ (Br 2, S.849). Nicht „Arbeit“, die es auf Naturbeherrschung abgesehen hat, sondern ein experimentelles „Zusammenspiel zwischen der Natur und der Menschheit“ (VII/1, S.359) erscheint Benjamins geschichtlichem Katastrophenbewußtsein als letzter Ausweg für die Zukunft. „Belehnung“, die nicht nur als „Quellpunkt der Poesie“ (I/2, S.647) sondern auch als Vorschein dieses experimentellen „Zusammenspiels“ gelten kann, liegt insofern der messianischen Erinnerung an die Zukunft zugrunde, als sie zugleich den Rückverweis auf die vergessene integrale Solidarität des Menschen mit Tier und Ding im urgeschichtlichen „Bild der Vorwelt“ enthält. Die „Erfahrung der Aura“, die sich im Augenblick des Eingedenkens an ein in der „Vorgeschichte“ immer schon „vergessenes Menschliches“ einstellt, drängt allerdings teleologisch bzw. unwillkürlich auf das Erwachen und ihre eigene „Zertrümmerung“ hin. Im „Chock“ hat Benjamin das „poetische Prinzip“ (I/2, S.671) bei Baudelaire gesehen. An der „Einbruchsstelle des Erwachens“ (Br 2, S.688) kann die „Erfahrung der Aura“ nur als „Chockerlebnis“ auftauchen. Baudelaires „melancholisches Ingenium“ (I/3, S.1151) gibt sich durch die „Zertrümmerung“ des schönen Scheins der abgestorbenen Erfahrung als „ein allegorisches“ (V/1, S.54) zu erkennen. Das Vergessene und Verdrängte, das Vergangene und Verfallene wird ins betrauerte Bruchstück der „Vorwelt“ entstellt: „J’ai plus de souvenirs que si j’avais mille ans“ (42). Alles verdient Blick und Aufmerksamkeit, was im Lauf des unaufhaltsamen Fortschrittes, der die Moderne ist, an Ding und Tier und Mensch in die unbewußte Schattenregion des kollektiven Gedächtnisses verdrängt worden ist. Les Fleurs du mal setzen an die Stelle von menschlicher Blickerwiderung und Liebesversprechen den einsamen und bösen Blick des Großstadtdichters, der nicht nur die Monumente der Moderne als Mahnmale der Vergänglichkeit entblößt , sondern am lebendigen Leib „die Rechte der Leiche“ (V/1, S.51) einklagt. Vergänglichkeitsbewußtsein und „Heimweh“ nach der „Vorwelt“ deutet Benjamin als heroische Motivationen Baudelaires, die sich zum ästhetischen Totenkult zusammenfinden. Als letzte Kompromißbildung von „spleen“ und „idéal“ übernimmt der profane Totenkult die in der Moderne von Gott und der kollektiven Tradition verlassene Aufgabe, nicht nur der toten, entrechteten und vergessenen Kreaturen solidarisch zu gedenken, sondern auch die durch die Warenform entwertete und entfremdete Dingwelt bis hinab zu dem aus der Mode gefallenen Abfall ins menschliche „Andenken“ zu retten:
„Car j’ai de chaque chose extrait la quintessence,
Tu m’as donné ta boue et j’en ai fait de l’or.“ (43)
Wie im barocken Trauerspiel sieht Benjamin die facies hippocratica der Geschichte in Baudelaires Lyrik insgeheim auf Rettung ausgerichtet. Während dort aber einer mystischen „ponderación misteriosa“ (I/1, S.408) die theologische Erlösung überlassen bleibt, werden hier dem „destruktiven Charakter“ revolutionärer Umsturz und messianische Verjüngung überantwortet: „Die messianische Welt ist die Welt allseitiger und integraler Aktualität.“ (I/3, S.1238) Der vergleichende Blick auf Barock und 19.Jahrhundert hat Benjamin die geschichtsphilosophische Vermutung nahe gelegt, „daß Zeitalter, die zu allegorischem Ausdruck neigen, eine Krisis der Aura erfahren haben“ (V/1, S.462). Nicht zufällig sprengt Baudelaires Sonett La Destruction die eigene, strenge Gedichtform, indem es dem „appareil sanglant de la Destruction“ das letzte Wort bzw. die letzte Zeile überläßt. Benjamin hat darin „die rücksichtsloseste Vergegenwärtigung der allegorischen Intention“ (V/1, S.441), an anderer Stelle gar Baudelaires „gewaltigste Beschwörung des allegorischen Ingeniums“ (I/3, S.1147) pro domo et mundo gesehen. Das selber allegorische Bild verweist auf das vom Dämon „ennui“, von Melancholie und Manie heimgesuchte Bewußtsein der „modernité“, dem die Hure als die „Verkörperung der Ware“ und als die „menschgewordene Allegorie“ (I/3, S.1151) zugleich erscheint. Zwischen Bedrohung und Faszination opfert es „zu Füßen der Hure“ das organische Leben für den anorganischen „Hausrat“ (I/2, S.676) bzw. die zerstörenden Werkzeuge der Allegorie auf, weil es durch sein kontemplatives Grübeln im Warten und Erwarten von Heil und Heiligem zum Wissen gelangt ist, daß das authentische Werk der modernen Poesie durch die „Zertrümmerung der Aura“ vollbracht werden will.
III. Versuch einer Typologie
Die diskutierten Begriffsverwendungen von Aura bei Walter Benjamin können abschließend einer typologischen Betrachtung unterzogen werden. Schreckt man um der schlüssigen Differenzierung willen vor dem Zugriff eines notwendig vereinfachenden Schematismus nicht zurück, so lassen sich zumindest drei Ebenen der Begriffsverwendung unterscheiden. Wesentlich ist, daß diese drei Ebenen jeweils durch eine bestimmte Opposition markiert werden können, die innerhalb der diskursiven Strategie von Benjamins Begriffsverwendung je zugleich für eine entscheidende Perspektive auf die verhandelte Sache selbst steht.
Eine erste Ebene der Begriffsverwendung läßt sich durch die Opposition von „Aura“ und „Verfall der Aura“ bezeichnen. Mit „Aura“ ist hier eine originale Aura gemeint, die ihren Ursprung im Kult und Ritual hat und ihren Träger - Ding, Mensch oder Kunstwerk - mit der Autorität ihrer Einmaligkeit und unnahbaren Ferne umgibt. Aus Benjamins geschichtsphilosophischer Perspektive, die durch die beiden Aufsätze Kleine Geschichte der Photographie und Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit markiert wird, ist es diese ursprüngliche, durch Kult und Religion gestützte Aura, die durch den epochalen „Verfall der Aura“ seit dem modernen Traditionsbruch des 19.Jahrhunderts vom Verschwinden bedroht erscheint. Seine wahrnehmungstheoretische Begründung findet der „Verfall der Aura“ in der Entwicklung der neuen Reproduktionstechniken. Diese medientechnische Entwicklung wird durch die demokratischen Forderungen der Massen nach Teilhabe an Kunst und Kultur flankiert und beutet selber die geschichtliche Veränderung der Sinneswahrnehmung in Richtung auf eine durch Verwissenschaftlichung und den Vorrang des Kognitiven bestimmte Apperzeption aus.
Eine zweite Ebene der Begriffsverwendung kann durch die Opposition von „Aura“ und „Zertrümmerung der Aura“ charakterisiert werden. Mit „Aura“ ist hier im Unterschied zur verschwindenden, originalen Kult-Aura jedoch eine Pseudo-Aura gemeint, die ihrerseits bereits eine entstellende Reaktionsbildung auf den geschichtlichen „Verfall der Aura“ ausmacht, indem sie für die schiefe Restauration archaischer Wahrnehmungsformen steht. Die moderne Erfahrung von Kontingenz, „Chock“ und Zufall treibt im Vergehen von Hören und Sehen gerade das Begehren nach unwillkürlicher Präsenz von Sinn hervor. Der eitle Versuch, die Aura auf sentimentale Art zu konservieren, motiviert sowohl die fetischistische Verklärung des Tauschwertes in der Ware (im Kult der Neuheit, im Starkult, im Konsumkult) als auch die Hypostasierung der reinen Kunst im (pseudo-)auratischen Kunstwerk; er prägt außerdem alle Spielarten der „Ästhetisierung der Politik“, zumal die des zeitgenössischen Faschismus, welcher der Kunstwerk-Aufsatz - wiewohl erfolglos - die eingreifende Strategie einer „Politisierung der Ästhetik“ entgegenstellte. Aus Benjamins kunstpolitischer Perspektive, die in dem am frühen französischen Surrealismus gewonnenen, „anthropologischen Materialismus“ wurzelt, verdienen alle Formen von „Pseudo-Aura“ ohne Einschränkung die „Zertrümmerung der Aura“. Die künstlerischen und literarischen Avantgarden haben sie unter den neuen Forderungen nach historischer Authentizität der Wahrnehmung und nach Nähe zur Massenkultur deshalb ganz zurecht zu ihrer Sache gemacht.
Auf einer dritten Ebene der Begriffsverwendung ist die bestimmende Opposition ungleich schwieriger namhaft zu machen. Entscheidend und deshalb unterscheidend im Verhältnis zur ersten und zweiten Ebene ist gleichwohl, daß hier die rezeptionsästhetische Wahrnehmungstheorie der Aura mit ihrer sowohl geschichtsphilosophischen als auch kunstpolitischen Perspektive in einer übergreifenden Theorie der Erfahrung aufgehoben wird. Am literatursoziologischen Beispiel von Baudelaire (und Proust) sowie mit Rücksicht auf Freud umreißt Benjamin die modernen Konturen der Erfahrung einer „anderen“ Aura, die weder mit der autoritativen Kult-Aura noch mit der verklärenden Pseudo-Aura verwechselt werden darf, weil sie sowohl den „Verfall der Aura“ als auch die „Zertrümmerung der Aura“ zur conditio sine qua non ihrer Möglichkeit hat. Der Aufsatz Über einige Motive bei Baudelaire bestimmt einerseits die Gestalt dieser „anderen“ Erfahrung der Aura am modernen „Chockerlebnis“, ihren der Vergessenheit je zu entreißenden Gehalt aber andererseits im Eingedenken an die kollektive Vorgeschichte (Baudelaire) und in der Erinnerung an die individuelle Kindheit (Proust). Will man die bestimmende Opposition auf der dritten Ebene der Begriffsverwendung also mit „Eingedenken“ bzw. „Erinnerung“ versus „Chockerlebnis“ benennen, so muß man freilich berücksichtigen, daß Benjamins Erfahrungstheorie diese Opposition bei Baudelaire selber aus der antithetischen Symptomatik von „idéal“ und „spleen“ sowie den gegensätzlichen Formcharakteren von „correspondances“ und „allégorie“ entwickelt. Es liegt der Verdacht nahe, daß die auf der dritten Ebene der Begriffsverwendung erfahrungstheoretisch reflektierte Aura gleichsam eine Aura ohne Aura meint: Jenseits von Kult-Aura und Pseudo-Aura bildet sie sich „nicht in der Aura der Neuheit sondern in der der Gewöhnung. In Erinnerung, Kindheit und Traum.“ (V/1, S.576) Indiz hierfür ist auch, daß die Konstruktion der „Jetztzeit“ auf der minimalen messianischen Basis „einer geheimen Verabredung zwischen den gewesenen Geschlechtern und unserem“ (I/2, S.694) in den Thesen Über den Begriff der Geschichte (zur Genugtuung Brechts und zum Leidwesen Adornos?) ganz ohne das Wort „Aura“ auskommt. Schon Benjamins gescheitertes Buchprojekt über das Haschisch, das die letzte Hoffnung noch nicht auf eine List des Messias setzen mußte, sondern noch „profaner Erleuchtung“ (II/1, S.297), mithin der in Traum und Rausch versteckten List des Unbewußten vertrauen wollte, ließ die Erfahrung der „echten Aura“ im Augenblick des Erwachens je am Vergessenen und Entstellten aufgehen: Sie schrumpft dort als Schatten von Traum und Rausch in einem Nu zum Ornament, das der Erinnerung und dem ganz gewöhnlichen Wachbewußtsein als Rätsel zur profanen Traumdeutung aufgegeben ist. „In der Spur werden wir der Sache habhaft; in der Aura bemächtigt sie sich unser.“ (V/1, S.560) So mag zuletzt die Frage erlaubt sein, ob Benjamins „Lust, Abschied zu nehmen“ (III, S.197) vielleicht nur deshalb auf den Spuren der Aura das Wort „Aura“ in den Mund nimmt, um schließlich besser davon zu schweigen?
Anmerkungen:
1 Karl Kraus: Pro domo et mundo (1912). In: Ders.: Schriften. Bd.8: Aphorismen. Hrsg.v. Christian Wagenknecht. Frankfurt am Main 1986, S.291.- Benjamin zitiert den Aphorismus dreimal: I/2, S.647; II/1, S.362; IV/1, S.416.
2 Bertolt Brecht: Arbeitsjournal. 1.Bd.: 1938-1942. Hrsg. v. Werner Hecht. Frankfurt am Main 1973, S.16.
3 Theodor W. Adorno: Charakteristik Walter Benjamins. In: Ders.: Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft. Frankfurt am Main 1976, S.301.
4 Ebenda, S.300.- Scholem, der Experte für jüdische Mystik, tritt seinerseits in der Retrospektive - pro domo et mundo - als Anwalt der von Brecht wie auch von Adorno unverstandenen „theologischen Dimension des späten Benjamin“ auf, wenn er, speziell gegen den Kunstwerk-Aufsatz gerichtet, Benjamins „neue Definition“ der Aura als „Subreption“ anprangert, um „metaphysische Einsichten in einen ihnen ungemäßen Rahmen einzuschleichen“. Vgl. Gershom Scholem: Walter Benjamin - die Geschichte einer Freundschaft. Frankfurt am Main 1975, S.257 f.
5 An der Formulierung und Reformulierung dieses Widerspruchs erschöpft sich die mimetische Interpretationskunst von: Marleen Stoessel: Aura. Das vergessene Menschliche. Zu Sprache und Erfahrung Walter Benjamins. München 1983; Zitat S.43.
6 Vgl. Martin Heidegger: Sein und Zeit. 12., unveränderte Auflage. Tübingen 1972, S.41-52.
7 Reinhard Markner/Thomas Weber: Vorwort. In: Dies. (Hrsg): Literatur über Walter Benjamin. Kommentierte Bibliographie 1983-1992. Hamburg 1993, S.7.- Vgl. dagegen die Klärungsversuche: Chryssoula Kambas: Walter Benjamin im Exil. Zum Verhältnis von Literaturpolitik und Ästhetik. Tübingen 1983, S.81-157; Burkhardt Lindner: Benjamins Aurakonzeption. Anthropologie und Technik, Bild und Text. In: Walter Benjamin 1892-1940. Zum hundertsten Geburtstag. Hrsg. v. Uwe Steiner. Bern / Frankfurt am Main 1992, S.217-248.
8 In gewisser Hinsicht kommt Blumenbergs „Arbeit“ am unerledigten Mythos der Intention von Benjamins rettender Kritik der Theologie und Mystik recht nahe: „Daß der Gang der Dinge vom Mythos zum Logos vorangeschritten sei, ist deshalb eine gefährliche Verkennung, weil man sich damit zu versichern meint, irgendwo in der Ferne der Vergangenheit sei der irreversible Fortsprung getan worden, der etwas weit hinter sich gebracht zu haben und fortan nur noch Fortschritte tun zu müssen entschieden hätte.“ Hans Blumenberg: Die Arbeit am Mythos. Frankfurt am Main 1979, S.34.
9 Vgl. das Kapitel Das Buch als Symbol in: Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. 8.Auflage.Bern/München 1973, S.306-352. Die Idee der „Lesbarkeit“ untersucht metaphorologisch: Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt. Frankfurt am Main 1981.
10 Vgl. Sigmund Freud: Gesammelte Werke. Bd.VIII: Werke aus den Jahren 1909-1913. Hrsg. v. Anna Freud u.a.. 4.Aufl. Frankfurt am Main 1964, S.375-387.
11 Vgl. z.B. Benjamins Rezension von 1938/39 zu Dolf Sternbergers Buch Panorama oder Ansichten vom 19.Jahrhundert (III, S.572-579).
12 Vgl. Bettine Menke: Sprachfiguren. Name - Allegorie - Bild nach Walter Benjamin. München 1991; Winfried Menninghaus: Walter Benjamins Theorie der Sprachmagie. Frankfurt am Main 1980.
13 Rolf Tiedemann: Aura. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Bd.1, Basel 1971, S.652.- Vgl. auch Stoessels Ausführungen zum „etymologischen Schicksal des Wortes Aura selbst“: Stoessel: Aura, S.181 f. - Gibt es einen aufweisbaren Zusammenhang von „Aura“ und „Aleph“, was Stoessel (ebenda, S.12) zumindest nahelegt? Im Kontext des Problems von religiöser Autorität und Mystik (hier: Moses als Vermittler der göttlichen Stimme für das Volk) deutet Scholem eine jüdische Überlieferung, wonach alles, was das Volk Israel von der göttlichen Offenbarung der Zehn Gebote mit eigenen Sinnen vernahm, nichts war als „jenes Aleph, mit dem im hebräischen Text der Bibel das erste Gebot beginnt, das Aleph des Wortes ‘anochi, Ich“. Scholem führt aus: „Der Konsonant Aleph stellt nämlich im Hebräischen nichts anderes dar als den laryngalen Stimmeinsatz (entsprechend dem griechischen spiritus lenis), der einem Vokal am Wortanfang vorausgeht. Das Aleph stellt also gleichsam das Element dar, aus dem jeder artikulierte Laut stammt, und in der Tat haben die Kabbalisten den Konsonanten Aleph stets als die geistige Wurzel aller anderen Buchstaben aufgefaßt, der in seiner Wesenheit das ganze Alphabet und damit alle Elemente menschlicher Rede umfaßt. Das Aleph zu hören ist eigentlich so gut wie nichts, es stellt den Übergang zu aller vernehmbaren Sprache dar, und gewiß läßt sich nicht von ihm sagen, daß es in sich einen spezifischen Sinn klar umrissenen Charakters vermittelt.“ Vgl. Gershom Scholem: Zur Kabbala und ihrer Symbolik. Frankfurt am Main 1973, S.46 ff.
14 Vgl. Pierre Missac: Passage de Walter Benjamin. Paris 1987, S.136-156.
15 Gegen Max Brods hagiographischen Franz Kafka gerichtet schreibt Benjamin am 12.Juni 1938 über die geschichtsphilosophische Bedeutung des deutsch-jüdisch-tschechischen Autors an Scholem: „Kafkas Werk stellt eine Erkrankung der Tradition dar.“ (Walter Benjamin / Gershom Scholem: Briefwechsel 1933-1940. Hrsg. v. Gershom Scholem. Frankfurt am Main 1980, S.272). Vgl. auch Scholems Antwort vom November 1938: Ebenda, S.285 f.
16 Zu Aby Warburgs treffendem Ausdruck vgl.: Martin Warnke: „Der Leidschatz der Menschheit wird humaner Besitz“. In: Werner Hofmann [u.a.] (Hrsg): Die Menschenrechte des Auges. Über Aby Warburg. Frankfurt am Main 1980, S.113-186.
17 Werner Fuld: Die Aura. Zur Geschichte eines Begriffes bei Benjamin. In: Akzente 26 (1979), S.359.
18 Die Gründung des „Mythos von Paris“ im 18. und 19.Jahrhundert hat untersucht: Karlheinz Stierle: Der Mythos von Paris. Zeichen und Bewußtsein der Stadt. München und Wien 1993.
19 Zu den „Denkbildern“ der Einbahnstraße, ihrer Stellung im Gesamtwerk und insbesondere ihrer Bedeutung für das Spätwerk vgl. Josef Fürnkäs: Surrealismus als Erkenntnis. Walter Benjamin - Weimarer Einbahnstraße und Pariser Passagen. Stuttgart 1988.
20 Vgl. hierzu exemplarisch: Susan Sontag: On Photography. New York 1977; Film und Foto der zwanziger Jahre. Eine Betrachtung der Internationalen Werkbundausstellung „Film und Foto“ 1929. Hrsg. v. Ute Eskildsen und Jan-Christopher Horak. Stuttgart 1979.
21 Wolfgang Kemp: Fernbilder. Benjamin und die Kunstwissenschaft. In: Walter Benjamin im Kontext. Hrsg v. Burkhardt Lindner. Königstein/Ts. 1985, S.231. Kemp untersucht u.a. Benjamins Verhältnis zu Alois Riegl im Vergleich von „Aura“ und „Stimmung“: „Stimmung entsteht durch Fernsicht, Aura ist Erscheinung einer Ferne.“ (Ebenda, S.232).
22 Der aus Benjamins umfangreichem Motto (I/2, S.472) zitierte Satz Valérys heißt im Original: „Ni la matière, ni l’espace, ni le temps ne sont depuis vingt ans ce qu’ils étaient depuis toujours.“ Vgl. Paul Valéry: Pièces sur l’art. In: Ders.: Œuvres II. Hrsg. v. Jean Hytier. Paris 1960, S.1284 (= La conquête de l’ubiquité, 1928).
23 Zur Filmtheorie vgl. exemplarisch: Joachim Paech: Literatur und Film. Stuttgart 1988; Texte zur Theorie des Films. Hrsg. v. Franz-Josef Albersmeier. Stuttgart 1979.
24 Theodor W.Adorno / Walter Benjamin: Briefwechsel 1928-1940. Hrsg. v. Henri Lonitz. Frankfurt am Main 1994, S.368.- Vgl. Adornos Einwände vom 10.11.1938 gegen den Aufsatz Das Paris des Second Empire bei Baudelaire: ebenda, S.364-374.- Trotz nunmehr enthusiastischer Zustimmung zum folgenden Aufsatz Über einige Motive bei Baudelaire hält auch Adornos Brief vom 29.2.1940 an dieser prinzipiellen Kritik fest, indem er Benjamins Begriff der Aura für „noch nicht ganz ausgedacht“ erachtet. (Ebenda, S.414).
25 Ebenda, S.193.
26 Ebenda, S.169.
27 Ebenda, S.168.- Adornos Stellungnahmen zu Benjamin sind gesammelt in: Theodor W.Adorno: Über Walter Benjamin. Aufsätze, Artikel, Briefe. Hrsg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 1990.-Adornos Position wird ausgebaut in: Rolf Tiedemann: Studien zur Philosophie Walter Benjamins. Frankfurt am Main 1973, S.98-127.-Sie dient auch noch heutigen Darstellungen als Orientierungshilfe: Birgit Recki: Aura und Autonomie. Zur Subjektivität der Kunst bei Walter Benjamin und Theodor W.Adorno. Würzburg 1988; Rainer Rochlitz: Le désenchantement de l’art. La philosophie de Walter Benjamin. Paris 1992. - Eine „Rückkehr“ zu Benjamin als Abkehr von Adorno versuchen unter dem Titel „Medienästhetik“ bzw. „Leiblichkeit“ dagegen: Norbert Bolz, Willem van Reijen: Walter Benjamin. Frankfurt am Main/New York 1991; Sigrid Weigel: Passagen und Spuren des Leib- und Bildraums in Benjamins Schriften. In: Dies. (Hrsg.): Leib- und Bildraum. Lektüren nach Benjamin. Köln/Weimar 1992, S.49-64.- Das gerade im Spiegel der Frankfurter Benjamin-Ausgabe nicht ganz unproblematische Verhältnis Benjamins zur Frankfurter Schule beleuchten historisch bzw. editionskritisch: Rolf Wiggershaus: Die Frankfurter Schule. Geschichte. Theoretische Entwicklung. Politische Bedeutung. München/Wien 1986, S.217-246; Klaus Garber: Zum Bilde Walter Benjamins. Studien. Porträts. Kritiken. München 1992, S.67-96.
28 Jürgen Habermas: Bewußtmachende oder rettende Kritik - die Aktualität Walter Benjamins. In: Zur Aktualität Walter Benjamins. Hrsg. v. Siegfried Unseld. Frankfurt am Main 1972, S.217.
29 Wolfgang Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19.Jahrhundert. Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1979.
30 Charles Baudelaire: Œuvres complètes I. Hrsg. v. Claude Pichois. Paris 1975, S.352.- Benjamin übersetzt: „Und schließlich, habe ich mir gesagt, zu irgend etwas ist Unglück immer gut. Ich kann mich jetzt inkognito bewegen, schlechte Handlungen begehen und mich gemein machen wie ein gewöhnlicher Sterblicher.“ (I/2, S.651)
31 Vgl. die hier besonders wichtigen Gedichte der Fleurs du mal in: Baudelaire: Œuvres complètes I, S.11: Correspondances; S.17 f.: La Vie antérieure; S.21: La Beauté; S.22: L’Idéal; S.72-76: Spleen = 4 Gedichte, Obsession, Le Goût du néant; S.81: L’Horloge; S.83: Le Soleil; S.85-88: Le Cygne, Les Sept Vieillards; S.92 f.: A une passante; S.95 f.: Le Jeu; S.106 f.: Le Vin des chiffonniers; S.111: La Destruction; S.116: Allégorie; S.129-134: Le Voyage I-VII; S.155 f.: Le Léthé; S.158 f.: Les Bijoux.- Vgl. zu Benjamins Baudelaire-Interpretationen vor allem das Kapitel Ein Leser in der Stadt: Der Lyriker Charles Baudelaire in: Stierle, Der Mythos von Paris, S.697-902.
32 Sigmund Freud: Das Ich und das Es und andere metapsychologische Schriften. Frankfurt am Main 1978, S.121-169.
33 Ebenda, S.135.
34 Ebenda, S.138.
35 Ebenda, S.141 f.
36 Ebenda, S.140 ff.
37 Ebenda, S.136.
38 Baudelaire: Œuvres complètes I, S.111.
39 Ebenda, S.86.- Vgl. hierzu: Wolfgang Fietkau: Schwanengesang auf 1848. Ein Rendezvous am Louvre: Baudelaire, Marx, Proudhon und Victor Hugo. Reinbek bei Hamburg 1978.
40 Baudelaire: Œuvres complètes I, S.11.
41 Ebenda, S.17 f.
42 Ebenda, S.73: Spleen, 2.Gedicht.
43 Ebenda, S.192: Projet d’un épilogue pour l’édition de 1861 des Fleurs du mal.
Belegstellen:
I/1, S. 191-196, 406-409;
I/2, S. 431-469, 471-508, 582-593, 605-653, 655-690, 693-698, 701-704, 709-739;
I/3, S. 1137-1152, 1186-1188, 1237-1239;
II/1, S. 142-145, 158-160, 168-171, 203-219, 237-241, 295-324, 348-350, 361-363, 368-385;
II/2, S. 432, 438-465, 620-622;
III, S. 194-199, 356-360;
IV/1, S. 9-21, 141 f., 146-148, 388-390, 396-398, 409-416;
IV/2, S. 448 f.;
V/1, S. 46 f., 50-52, 54-56, 301-510, 560, 570-580, 588-596;
V/2, S. 961-970, 1056-1059;
VI, S. 192 f., 558-618;
VII/1, S. 350-384;
Br 1, S. 455, 459;
Br 2, S. 523 f., 541, 556, 662-664, 685-688, 702, 750-752, 782-799, 848 f.
Literatur:
Adorno, Theodor W.: Über Walter Benjamin. Aufsätze, Artikel, Briefe. Hrsg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 1990.
Asendorf, Christoph: Ströme und Strahlen. Das langsame Verschwinden der Materie um 1900. Gießen 1989.
Auerochs, Bernd: Aura, Film, Reklame. Zu Walter Benjamins Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“. In: Medien und Maschinen. Literatur im technischen Zeitalter. Hrsg. v. Th.Elm und H.H.Hiebel. Freiburg im Bg. 1991, S.107-127.
Benjamin, Andrew: Art, mimesis and the avant-garde. Aspects of a philosophy of difference. London 1991.
Bolz, Norbert: Auszug aus der entzauberten Welt. Philosophischer Extremismus zwischen den Weltkriegen. München 1989.
Bolz, Norbert / van Reijen, Willem: Walter Benjamin. Frankfurt am Main / New York 1991.
Bredekamp, Horst: Der simulierte Benjamin. Mittelalterliche Bemerkungen zu seiner Aktualität. In: Frankfurter Schule und Kunstgeschichte. Hrsg. v. A.Berndt, P.Kaiser [u.a.]. Berlin 1992, S.117-140.
Buck-Morss, Susan: The Dialectics of Seeing. Walter Benjamin and the Arcades Project. Cambridge, Mass. / London 1989.
Dieckhoff, Reiner: Mythos und Moderne. Über die verborgene Mystik in den Schriften Walter Benjamins. Köln 1987.
Fürnkäs, Josef: Surrealismus als Erkenntnis. Walter Benjamin - Weimarer Einbahnstraße und Pariser Passagen. Stuttgart 1988.
Fuld, Werner: Die Aura. Zur Geschichte eines Begriffs bei Benjamin. In: Akzente 26 (1979), S.352-370.
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