Vorlesung Keio 2007/2008
Ästhetik des Zuschauers
Der Ästhetik des Zuschauers bleibt in der heutigen Medienkultur, so scheint es, eine kulturpolitische Zerreißprobe nicht erspart: einerseits die audiovisuelle Medien-(An-) Ästhetik und die Bilderfluten von massenhaftem Infotainment und Kommerz, andererseits die ästhetische Distanz von Wahrnehmungsexperten, die sich und den anderen beim Zuschauen noch zuschauen. „Schiffbruch mit Zuschauer“ – Blumenbergs Ausführungen zu dieser paradigmatischen „Daseinsmetapher“ erlauben indes, so scheint mir, einen medienanthropologischen Brückenschlag. Ausgehend von einer epikuräischen Lukrez-Passage („De rerum natura II“) stellt Blumenberg das Glück der ästhetischen Distanz durch ihre Entlastungsleistung von diversen Unheilerwartungen und Schmerzdrohungen heraus. Diese Entlastungsfunktion ermöglicht dem Zuschauer, dem schrecklichen „Schiffbruch“ vom sicheren Ufer aus zuzuschauen, dabei zwar nicht den Untergang der anderen Unglücklichen, doch aber die eigene Distanz dazu – zu genießen. „Wer mehr sieht, trägt mehr Last.“ Ästhetik und Moral des Zuschauers kommen letztlich zwar nicht im Mitleid, wohl aber in der (Selbst-) Sorge überein: Nicht nur Medien-(An-) Ästhetik und Anästhesie, vielmehr alle (Experten-) Vorsorge, alle Risiko-Kalkulationen eines florierenden Versicherungswesens zielen auf den Gewinn von entlastender Distanz ab, bezeichnen damit zugleich – fatale? – Strategien der Schmerzvermeidung.
Von Blumenbergs „Daseinsmetapher“ ausgehend soll in der Vorlesung versucht werden, eine medienanthropologische „Ästhetik des Zuschauers“ zu skizzieren.
Text: Hans Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Bibliothek Suhrkamp Nr. 1263, Frankfurt am Main 1997 (zuerst 1979).
Zur weiteren Lektüre empfohlen: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Herausgegeben von Karlheinz Barck u.a. Reclam-Bibliothek Nr. 1352, Leipzig 1990
Zusätzliche Texte und Materialien werden auf Wunsch zur Verfügung gestellt.
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