Automation und die Metamorphosen des Zuschauers
Ce qu’il y a de plus terrible dans la communication,
c’est l’inconscient de la communication.
Pierre Bourdieu
Vergessen wir als Menschen der vita contemplativa nicht, welche
Art von Übel und Unsegen durch die verschiedenen Nachwirkungen
der Beschaulichkeit auf die Menschen der vita activa gekommen ist.
Friedrich Nietzsche
Bekanntlich soll nicht nur in einem fernen Einst einmal mit Staunen und Verwunderung (griech. θαυμάξειν / thaumazein, lat. admiratio oder stupor) des Zuschauers (griech. θεωρός / theoros oder θεατής / theatēs, lat. spectator)[1] die abendländische Philosophie begonnen haben. Vielmehr kommt auch bis auf den heutigen Tag, will man den nicht enden wollenden Kommentaren zu diesem auf die Gründungsväter Platon und Aristoteles zurückgehenden Topos glauben, kein Philosophieren um diesen Anfang herum: ohne Staunen keine Fragen, ohne Verwunderung keine über die Selbstverständlichkeiten der jeweiligen Lebenswelten hinausgehenden Ausblicke. Schon im entsprechenden platonischen Dialog, in dem der Lehrmeister Socrates den jungen Theaitetos belehrt, wird indes nicht beim Staunen innegehalten: Staunen ist der Anfang der Philosophie, weil es Geist und Sinn des Wahrheit Suchenden in besonderer Weise für die Fragen der Logik (griech. λόγος / logos) empfänglich macht.[2]
Hannah Arendt (1906-1975) hat ins Zentrum ihrer Festgabe zum 80.Geburtstag Martin Heideggers am 26.September 1969 Zitate aus dessen Deutung von Heraklit, Fragment 16, gestellt, die auf den Topos vom philosophischen Staunen Bezug nehmen: „Heidegger spricht einmal ganz im Sinne Platons von dem ‘Vermögen, vor dem Einfachen zu erstaunen’, aber er fügt anders als Plato hinzu: ‚und dieses Erstaunen als Wohnsitz anzunehmen’. Dieser Zusatz erscheint mir für eine Besinnung auf den, der Martin Heidegger ist, entscheidend“[3]. Heidegger, der selbst einmal der Versuchung des „Willens zur Macht“ nachgegeben hat, „seinen Wohnsitz zu verändern und sich in die Welt der menschlichen Angelegenheiten ‚einzuschalten’ – wie man damals so sagte“, habe nach Arendt dennoch - und vielleicht gerade deshalb - wie niemand vor ihm gesehen, wie sehr, als Antipode zur „Gelassenheit“, solches Wollen „dem Denken entgegensteht und sich zerstörerisch auf es auswirkt“[4]. Vor der Auseinandersetzung mit dem „Willen zur Macht“, mit Nationalsozialismus, Nihilismus und Nietzsche, hat Heidegger in Sein und Zeit (zuerst 1927) Wille und Wollen noch als menschliche Erscheinungen in dem existenzialen Grundphänomen der „Sorge“ fundiert gesehen. Die ontologische Ausarbeitung der „Sorge“ als Selbstverständnis des „Daseins“ in seiner „Zeitlichkeit“ war dabei mit Hinweis auf u.a. Augustinus und Kierkegaard ihrerseits von der „Grundbefindlichkeit der Angst“[5] ausgegangen. Angst und Sorge erlauben dem Dasein nicht, gelassen und beschaulich in seiner Gegenwart aufzugehen. So zeigt sich besonders im Warten und Zögern ein gespanntes Zeitverhältnis, das als das Daseinsselbstverständnis der Sorge den Menschen immer schon zwingt, vorausschauend sich selbst voraus zu sein.
Welche Wirkmacht dem Anfang im Fortgang und womöglich am Ende bleibt, kann nüchterne Betrachtung, die nicht nur nostalgischem Ursprungsdenken und fundamentalen Ontologien, sondern auch positivistischem Rationalismus mißtraut, nur als offene Frage behandeln. „Der Erforscher der Natur konnte nicht mehr der antike Weltzuschauer bleiben oder wieder werden“[6] - Blumenbergs begriffsgeschichtliche Ausführungen über Die Legitimität der Neuzeit lassen schließlich unentschieden, ob „humaner Selbsterhaltung“[7] oder „theoretischer Neugierde“[8] der Primat – de facto und de iure - unter den menschlichen Antrieben zukomme. Sie machen an diesem neuzeitlichen Doppelimperativ der affektiven Grundeinstellungen aber deutlich, daß „theoretische Neugierde“ noch ebenso an der anthropologischen Archaik des Staunens teilhat wie „humane Selbsterhaltung“ an der je nur vorläufigen Selbstermächtigung des Menschen durch den „Logos des Mythos“, der „im Abarbeiten des Absolutismus der Wirklichkeit“[9] die Befreiung von Furcht und Schrecken und Angst verspricht. Die Hartnäckigkeit im Fortleben der neuzeitlich unerledigten Mythen ist in Blumenbergs Arbeit am Mythos leitendes Thema: „Horizont ist nicht nur der Inbegriff der Richtungen, aus denen Unbestimmtes zu gewärtigen ist. Es ist auch der Inbegriff der Richtungen, in denen Vorgriffe und Ausgriffe auf Möglichkeiten orientiert sind. Der Prävention korrespondiert die Präsumtion.“[10]
Blumenbergs „Prozeß der theoretischen Neugierde“[11] sucht „zwischen dem phänomenologischen Radikal der ‚theoretischen Einstellung’ Husserls und dem daseinsanalytischen Existential der ‚Sorge’ Heideggers“[12] durchzukommen, indem die Rekonstruktion des historischen Prozesses der Neuzeit durchgängig an die Rechtmäßigkeitsprüfung von entsprechenden Wissensansprüchen und Wissenszumutungen gebunden wird. „Wir können ohne Wissenschaft nicht leben. Aber das ist weithin eine Wirkung der Wissenschaft.“[13] Blumenberg trägt dieser Unvermeidlichkeit der Wissenschaft in unserer Lebenswelt Rechnung, indem er ausdrücklich „von Technisierung als einem Prozeß, nicht von Technik als einem Gegenstandsbereich“[14] spricht. „Technisierung“ in diesem Sinne läßt die gängige Opposition von Technik und Natur bereits als reduktives Resultat eines verengten Gegenstandshorizontes erscheinen. Diese Verengung des Gesichtsfeldes ist nicht zuletzt jenem „Existential der Sorge“ geschuldet. Die neuzeitliche Legitimierung der Wißbegierde (lat. curiositas) als unbeschränkte „theoretische Neugierde“ bei Descartes, Francis Bacon, Hobbes u.a. ist für Blumenberg zugleich Klage gegen die fortwirkende Verurteilung der curiositas als bloßer Augenlust (lat. concupiscentia oculorum). Der Kirchenvater Augustinus hatte sie in seinen Confessiones um 400 in den christlichen Lasterkatalog aufgenommen.
Zu Blumenbergs Plädoyer für die Neugierde im Kontext neuzeitlicher Wissenschaft und Technisierung (zuerst 1966) hat Stefan Matuscheks Abhandlung Über das Staunen[15] ideengeschichtliche Ergänzungen beigebracht: Staunen und Neugier, die zwar eine gemeinsame griechische Wurzel (thaumazein) besitzen, als zwei Typen aber schon bei Platon und Aristoteles klar unterscheidbar seien, finden sich nach Matuschek spätestens mit Beginn der neuzeitlichen Wissenschaft, die nachgerade das Staunen überwinden wollte, in getrennten Lagern wieder. Neben Religion und Theologie, Mythos und Mythologie sind es die Gärten des Wunderbaren in Kunst und Literatur, die dem Staunen dauerhaftes Asyl gewähren. Die „theoretische Neugierde“ ist nach Blumenberg freilich eine selbstreflektierte und methodisch disziplinierte Form, die durch Angst und Sorge belehrt, jene ursprüngliche Naivität des Staunens in die Vor- und Ausschau von Prävention und Präsumtion verwandelt hat. Gerade in der frühen Neuzeit unterhielten Wissenschaft, Aufklärung, Theologie, Kunst und Literatur vielfältige epistemologische Beziehungen miteinander. Solche Beziehungen hat Rüdiger Campe über Matuscheks Ideengeschichte des Staunens hinaus durch einen exemplarischen Vergleich der „paratheatralen Formen der ästhetischen Betrachtung von Architektur und Garten“ einerseits und der „epistemischen Beobachtung des Experiments“[16] andererseits herausgestellt. Beim ästhetischen Betrachter wie beim wissenschaftlichen Beobachter geht es im 17.Jahrhundert um durchaus künstliche, weil inszenierte „Einstellungen“ des Zuschauers, die ähnlichen, der manieristischen Ästhetik des Paradoxen verpflichteten Mustern folgen: „le rare“, „l’extraordinaire“, das Seltene und Außerordentliche in Garten und Schloß von Versailles antwortete auf die „Curiosities and wonders“, die in den Laboratorien und Experimentalräumen der Royal Society in London zu beschauen waren. Naturschauspiel, Experiment und Bühnenkunst trafen sich in der gemeinsamen „Vorstellung von der Natur als Artefakt“[17], die im Topos vom Theatrum mundi die Welt lediglich als Modell im Horizont von möglichen Welten betrachten lehrte. Erst im 18.Jahrhundert sollten verschärfte Realitätspostulate für klarere Verhältnisse zwischen Möglichkeit, Notwendigkeit und Wirklichkeit sorgen: Einerseits inkriminierte die protestantische und neuhumanistische Theaterkritik exzessive Schaulust und spektakuläre Bühneneffekte, andererseits wurde die Reinigung der experimentellen Wissenschaften von ihren allzu theatralen Momenten vorangetrieben, die Scharlatanerien und Quacksalbereien Vorschub geleistet hatten.
„Dient die Aufmerksamkeit der Lebenserhaltung als Notbehelf, oder folgt sie dem freien Impuls, der von der Unerschöpflichkeit der Sache selbst ausgeht? Noch kürzer formuliert: Ist sie eine Sache der Selbsterhaltung oder der Neugier?“[18] Waldenfels übersetzt Blumenbergs offen gehaltene Frage des Verhältnisses von Selbsterhaltung und Neugierde, Dasein und Theorie, Sorge und Bewußtsein, in die kaum weniger offene Frage nach der Rolle der Aufmerksamkeit in Erfahrung, Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft: „Ist Aufmerksamkeit ein Geschehen, ein Ereignis, ein Akt, eine Disposition, ein Können, eine Pflicht, ein Geschenk?“[19] Aus neurobiologischer, informationstheoretischer und kognitiver Perspektive ist es die begrenzte Verarbeitungskapazität des Gehirns, die Aufmerksamkeit überhaupt Bedeutsamkeit verleiht. Weil sich unser Gehirn zu gleicher Zeit nur mit einer sehr beschränkten Menge von Reizen bewußt beschäftigen kann, muß es fortlaufend selektieren, welche Informationen für den Organismus von Wichtigkeit sind und deshalb Aufmerksamkeit verdienen und welche weniger bedeutsam sind und deshalb ausgeblendet werden können. In der Evolution des menschlichen Gehirns haben Techniken des Lernens, Übens und Simulierens die wachsende Komplexität taktischer Entscheidungen in der (Über-)Lebenswelt durch „eine neue Art von Replikatoren“ auszugleichen gewußt. Raimar Zons hat sie im Anschluß an die kulturelle Gedächtnisforschung der letzten Jahre passend „Meme“ genannt: „Träger abstrakter ‘kultureller’ Information, die sich von den Gehirnen lösen und als kulturelles Gedächtnis in Büchern, Bildern, Filmen, Computern etc. weiter und weiter getragen werden konnten.“[20] Sie erlauben nicht nur, Intelligenz und Wissen von den sterblichen Menschenkörpern zu trennen, sondern kompensieren auch die begrenzte Verarbeitungskapazität des Gehirns, indem sie die Prozesse der Aufmerksamkeitszuwendung automatisch (griech. αύτόματος / automatos =selbstbewegend) steuern.
Als Automatismus wird gewöhnlich ein selbsttätiges und spontanes Funktionieren motorischer und psychischer Systeme verstanden, das ohne Willenskontrolle und ohne wesentliche Mitwirkung des Bewußtseins abläuft. Psychologen unterscheiden einen angeborenen bzw. endogenen von einem erworbenen bzw. sekundären Automatismus, der durch Wiederholen und Lernen, durch Übung und Gewöhnung gleichsam in Fleisch und Blut übergehen kann. „Habit formation“ erscheint deshalb in heutiger Pädagogik als wichtigste Grundlage aller Arten von Lernprozessen. Neues kann nur in sehr begrenzter Dosierung aufgenommen werden, und das auch nur, weil psychische Systeme weitgehend automatisch funktionieren. Die fortlaufende Auswahl der Reize bzw. Informationen, eingeschlossen die damit notwendig verbundene Unaufmerksamkeit gegenüber anderen, je aktuell weniger bedrängenden Reizen oder weniger wichtig erscheinenden Informationen, versieht eine schützende Filterfunktion, der schon Freud 1920 in Jenseits des Lustprinzips unter dem topischen Begriff „Reizschutz“[21] die Aufgabe zuerkannte, das labile psychische System gegen die von außen, aber auch von innen andrängenden Energien zu stabilisieren. Filterfunktion und Aufmerksamkeitszuwendung greifen in ihrem Zusammenspiel unter normalen Umständen vollkommen automatisch, d.h. durch Gewohnheit habitualisiert, ineinander. Gleichwohl läßt ihr Automatismus von Fall zu Fall eine zusätzliche und bewußte Einflußnahme zu. Je nach Lage der Dinge und nach Verfassung der Psyche kann so die eigentliche Aufmerksamkeitszuwendung die Prioritäten von Selbsterhaltung und Neugier auch willkürlich verschieben, um etwa den besonderen Herausforderungen sportlicher Selbsterprobung zu genügen.
Aufmerksamkeit (lat. attentio), in der europäischen Tradition seit Augustinus primär als Willensausrichtung (lat. intentio voluntatis) der „äußeren“ Sinneswahrnehmungen sowie der „inneren“ Vorstellungen von Gedächtnis und Phantasie bestimmt, motiviert als „intentio“ eher denn „attentio“ noch Husserls Insistenz auf einer immanenten Bewußtseinslogik der Intentionalität gegenüber einem Multiversum impressionistischer Affektionen und Appetitionen.[22] Waldenfels hält deutlichen Abstand zu Husserls Phänomenologie: „Zunächst erweist sich das Aufmerken als ein Geschehen, an dem wir beteiligt sind, aber nicht als Urheber oder Gesetzgeber.“[23] Dieses „Geschehen“ erforscht er in den Spalten von Auffallen und Aufmerken, Auftauchen und Absinken, Gehen und Kommen, Erfassen und Auffassen. Aufmerksamkeit wird als Schwellenphänomen beschrieben, das „durch mannigfache Zwischeninstanzen hindurchgeht“, dabei wechselnde Gestalten und Funktionen erhält durch ein „Arsenal aus Techniken, Medien, sozialen Praktiken, das die Aufmerksamkeit durchformt und eine Ökonomie und Politik der Aufmerksamkeit entstehen läßt“.[24] Richtig erkennt Waldenfels die falsche Transparenz der Medien, durch die der Blick „hindurchgeht“, um sie selber hinter dem „Geschehen“, einmal dort „angekommen“, prompt aus dem Blick verschwinden zu lassen. Es geht dabei um einen „rhetorischen Effekt, der sich als adressierte Wirkung von jeder bloß physischen Wirkung unterscheidet“. In der Konsequenz erweist sich bei medial erzeugtem Wirkungsgeschehen alles Was und Wozu an ein „Wodurch“ gebunden: „ Dieses Wodurch ist ähnlich wie das griechische διά und das lateinische per als ein Hindurch (frz. à travers) zu verstehen, das die Materialität eines Vermittels (frz. par) nicht abgelegt hat.“[25]
Der faktische Prozeß der Konkretion von perzeptiven, kognitiven, emotiven, affektiven und somatischen Potentialen kann in der Wechselwirkung mit bestimmten Gegenständen und Gehalten als Medialisierung des Menschen beschrieben werden. Gegen „technoid verklärende und verklärte Medientheorie“[26] hilft ein Medienkonzept, „das unter Medien nicht nur die Konkretion der Apparaturen, sondern auch das Spektrum der unterschiedlichen Kulturtechniken faßt“[27]. Stefan Rieger hat dieses Medienkonzept im Anschluß an Friedrich Kittler als wechselseitige „Figuration“ von „Techno- und Anthropomorphismus“ bestimmt und für eine alternative Geschichte der Wissenschaften vom Menschen fruchtbar gemacht: „Mensch und Medium sind vielmehr in ein Figurationsverhältnis eingespannt, das die Rede über den Menschen als Spiegelseite einer Rede über die Medien und umgekehrt die Rede über die Medien als Rede über den Menschen aufscheinen läßt“.[28] Die Kopplung des Menschen durch seine Kulturtechniken hindurch an immer neuere Medien hat „im Wechselschluß ein Reich numerischer Zugriffsweisen auch auf den Menschen geschaffen“[29]. Als kaum objektivierbares Schwellenphänomen ist Medialisierung keineswegs nach Maßgabe einer symbolischen Raumordnung von Differenz oder Grenze zu begreifen, allenfalls mit Hilfe der Metaphorik von Bewegungsverhältnissen zu benennen; es geht um vielfachen Übergang, um oszillierende „Passagen“[30] (Walter Benjamin). Der offene, gleichwohl gerichtete, d.h. Menschen adressierende Medialisierungsprozeß hat einen faktischen Eigenwert, der sich an seiner Phänomenalität und seinen Effekten als spezifische Sinnbildung erkennen läßt. Es mag hier erlaubt sein, bei der Betrachtung dieser spezifischen Sinnbildung zunächst von der heutigen Machtfrage, d.h. von den unübersehbaren ökonomischen und sozialpolitischen, insbesondere neoliberalen Implikationen und Konsequenzen zu abstrahieren. In technisch-strategischer Hinsicht kann Medialisierung durch den Bezug auf anthropologische Perzeptions-, Kognitions-, Affekt- und Emotionspotentiale noch unterhalb des Niveaus von konventionellem Sinn merkbare Bedeutsamkeiten generieren, die als je besondere Tatsächlichkeitseffekte mehr als bloß imaginären oder fiktiven Status beanspruchen können. Die medienanthropologische Frage nach der mentalen Wirklichkeitskonsitution durch die faktischen Konkretionsleistungen von Medialisierungsprozessen führt so zur epistemologischen Frage nach dem Status des „Realen“ in den Medien, insbesondere in den digitalen Medien.
Beide Fragen sollen hier in der medienästhetischen Suche nach Schwundstufen - oder weniger nostalgisch gewendet: nach Alternativen oder Substituten - des Normativen zusammengeführt werden. Die medienanthropologische Rücksicht auf das interfakultative Zusammenwirken des Perzeptiven, des Kognitiven, des Emotiven und Affektiven erlaubt, die forschungslogische Unterscheidung von „quaestio iuris“ und „quaestio facti“, von Geltung und Genesis, von Normativem und Empirischem in Klammern zu setzen. Die rhetorische Statuslehre (griech. στασις /stasis, lat. status oder constitutio), die der antiken Gerichtsrede komplementär zur Thesislehre (zugrundeliegender allgemeiner Rechtsfall) half, die Ausgangsstellung für Anklage oder Verteidigung zu bestimmen, kann dabei zur Orientierung im „Realen“ taugen: Fragen nach faktischen Tatbeständen und Tatsächlichkeiten (logikái/ quaestiones rationales) können mit Fragen nach der Interpretation von normativen Gesetzen und Schriften (nomikái/ quaestiones legales) kombiniert werden. Unsere medienästhetische Suche wird indes nicht am Beispiel des Richters und seiner Tatsachenfindung im Kontext von Fallbeschreibung und Fallbeurteilung, sondern des Zuschauers und seiner mentalen Wirklichkeitskonstitution im Medialisierungsprozeß unternommen. Findung, Beurteilung und Beschreibung setzen allemal Wahrnehmung und Betrachtung voraus, wo noch Perzeption, Kognition, Emotion und Affektion zusammenwirken. Sollen aus der Frage nach dem Status des „Realen“ brauchbare Kategorien zur Beschreibung der digitalen Medien-Welten gewonnen werden, die auch die Frage nach medialen Ordnungen des „Realen“ im faktischen Prozeß der mentalen Wirklichkeitskonstitution einschließen, dann kommt der Figur des Zuschauers eminente Bedeutung zu. Es ist wohl diese originäre Schwellenleistung im phänomenologischen „Zweitakt von Auffallen und Aufmerken“ in der Lebenswelt, wozu sich erst in einem zweiten Schritt die Subjekt-Akte des Erfassens und Auffassens, der „Ap-prehension“ und „Ap-perzeption“[31] eines erkennbaren und benennbaren „realen“ Etwas gesellen, die dazu eingeladen haben, die Figur des Zuschauers als intentionalen „Beobachter“ zum epistemologischen Konstrukt zu formalisieren. Diese Formalisierung des Zuschauers geht wiederum einher mit seiner Automation: Als „Beobachter“ ist der Zuschauer dann in vielen – nicht nur wissenschaftlichen - Disziplinen aufgerufen, institutionelle Garantien hinsichtlich des empirischen (griech. έμπειρος / empeiros = erfahren, erprobt) Realitätsgehaltes der jeweilig verhandelten Sachverhalte und Tatbestände abzugeben. Die „Sein/Nicht-Sein-Unterscheidung“ von Epistemologien und Ontologien will, daß die „Realität“ so erkannt wird, „wie sie ist, und nicht so, wie sie nicht ist“.[32] Niklas Luhmanns systemtheoretische Darstellung der Wissenschaft der Gesellschaft gibt jedoch die realistischen wie idealistischen Beobachterpositionen der philosophischen Tradition zugunsten einer automatischen Beobachtung der „Rekursivität des Beobachtens von Beobachtungen“[33] auf, die erst den Realitätsbezug des Beobachters selbst gewährleisten kann: „Auf der Ebene der Kybernetik zweiter Ordnung, auf der Ebene des Beobachtens von Beobachtungen, wird man daher beobachten müssen, wie der beobachtete Beobachter beobachtet. Die Was-Fragen verwandeln sich in Wie-Fragen. Das schließt definitive Darstellungen aus und läßt nur die Möglichkeit zu, daß sich im rekursiven Prozeß des Beobachtens von Beobachtungen stabile Eigenzustände (etwa sprachliche Formen) ergeben, auf die man jederzeit zurückgreifen kann.“ [34]
Wer dem Zuschauer beim Zuschauen zuschauen will, sollte also auf Luhmanns wahrnehmungstheoretischen Wink reagieren und zuerst die gewohnte eigene Blickrichtung auf Sachen und Personen umkehren. „Es ist sehr schwierig, von den Stürmern und dem Ball wegzuschauen und dem Tormann zuzuschauen.“[35] Das äußert als Zuschauer eines Fußballspiels – im Gespräch mit einem anderen Zuschauer - am Ende der Erzählung Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (1970) Peter Handkes Protagonist Josef Bloch, der früher selber ein bekannter Tormann und nun arbeitsloser Monteur und Mörder auf der Flucht ist. Wenn es um Fußball geht, kommen Zuschauer gewöhnlich nicht als Individuen, sondern vielmehr im Plural, als Menge oder Masse, in Betracht: „Sportzuschauer drängen und brüllen in Stadien; dort finden sie ihre vulgärste Ausformung als Fan-Haufen. Oder sie lümmeln zu Hause in der Pose eines Bereitschaftsdienstes vor dem Fernseher.“[36] Gewiß ist Gebauer zuzustimmen, wenn er die heutigen Fußball-Freunde vor solchen negativen Klischee-Bildern einer simplifizierenden Kulturkritik des Feuilletons in Schutz nimmt. Die starre Dichotomie von Intellekt und roher Körperlichkeit, welche die traditionsreiche „Verachtung der Massen“[37] stützt, ignoriert die Tatsache, daß neben dem Showbusiness der Sport, d.h. in Europa der Fußball, in Stadien und Arenen, vor Bildschirmen und Leinwänden, nicht nur die meisten Zuschauer anlockt, sondern kraft seiner körperlichen Dynamik auch „der größte und wichtigste Bilderlieferant“[38] neben dem alltäglichen Leben ist. Die ökonomische Allianz von Sport, Produktwerbung und Marketing in den Medien ist in der Tat nicht zu übersehen. Vor allem Stürmer, die den Ball spektakulär ins Tor schießen, genießen bei den Massen der Fußball-Zuschauer die höchste Gunst, „da der spektakuläre Körper eine unvermeidliche Modalität menschlicher Orientierung bleibt“.[39]
Eine „eigenartige Beziehung von Sport, Theatralik und Literatur“[40] zeigt sich schon unmittelbar nach der gesamteuropäischen Katastrophe des Ersten Weltkriegs in den in Aufruhr geratenen Metropolen des Kontinents. Träger ist eine internationale Avantgarde von Künstlern und Literaten verschiedener Herkunft und Zukunft. In Zürich ab 1916, dann vor allem in Paris und Berlin inszenierten die Dadaisten ihre radikale Absage an die repräsentativen Kunst- und Kulturformen des Bildungsbürgertums, indem sie bei Jahrmarkt, Vergnügungslokal, Schmierentheater, Massenpresse und Sport riskante Anleihen machten: Jedermann sein eigener Fußball[41] lautete 1919 der programmatische Titel einer Berliner Dada-Zeitung, deren 7600 Exemplare am Tag des Erscheinens im Straßenverkauf abgesetzt wurden. Und der französische Surrealismus nahm im Nachkriegs-Paris Mitte der zwanziger Jahre die populären Impulse von Dadaismus, Futurismus und anderen Avantgardismen auf, um daraus seine „überrealistischen“ Methoden des spontanen Experimentierens und Beobachtens zu entwickeln, welche die banalen Alltagswelten der modernen Großstadt und die Traumwelten ihrer Insassen von Fall zu Fall kurzzuschließen wußten. Auch Robert Musil läßt in seinem großen Roman Der Mann ohne Eigenschaften den Mathematiker Ulrich die neusachliche Entdeckung machen, „daß die Griffe und Listen, die ein erfinderischer Kopf in einem logischen Kalkül anwendet, wirklich nicht sehr verschieden von den Kampfgriffen eines hart geschulten Körpers sind“.[42] Und der junge Bertolt Brecht geht schon 1926 einen -politischen - Schritt weiter in Richtung auf eine emanzipatorisch verstandene, urbane Massenkultur und setzt „unsere Hoffnung“ kurzerhand auf das „Sportpublikum“: „Unser Auge schielt, verbergen wir es nicht, nach diesen ungeheuren Zementtöpfen, gefüllt mit 15000 Menschen aller Klassen und Gesichtsschnitte, dem klügsten und fairsten Publikum der Welt.“[43] Im Vergleich zu derart avantgardistischer Begeisterung der Zwischenkriegszeit zeigt Handkes literarische Fiktion Die Angst des Tormanns beim Elfmeter 1970 nachgerade die individualistische Abkehr vom massenmedial inszenierten Zuschauersport und seinem körperlich-dynamischen Männlichkeitsideal, die in der Arena nach römischem Vorbild ihren idealen Schauplatz besitzen. Handkes Erzählung bezieht zwar aus dem kollektiven Bildraum des Fußballspiels ihre Beschreibungsprägnanz, bindet diese aber zugleich an die individuelle Inversion der habituellen Blickrichtung eines Zuschauers. Handkes Zuschauer Josef Bloch, dem ehemals bekannten Tormann, gelingt am Ende der Erzählung die Entzauberung der Stürmer-Dynamik – und mit ihr der zum geflügelten Wort prädestinierten „Angst des Tormanns beim Elfmeter“: „Der Schütze lief plötzlich an. Der Tormann, der einen grellgelben Pullover anhatte, blieb völlig unbeweglich stehen, und der Elfmeterschütze schoß ihm den Ball in die Hände.“[44].
Handkes literarische Esoterik der Perspektiven-Inversion und ihre immanente Kritik am Zuschauersport lassen nicht nur einen deutlichen Abstand zur avantgardistischen Exoterik des frühen 20.Jahrhunderts erkennen; sie stehen auch quer zu neueren, mitunter gegen das Schrift-Paradigma „Lesbarkeit der Kultur“[45] gerichteten Versuchen, Sport und Fußball als „cultural performances“[46] im Verein mit Wettkämpfen, Ritualen, Spielen, Festen, Zeremonien, Moden kulturwissenschaftlich aufzuwerten. Aus der eigenen skeptischen Zuschauer-Position wollen wir hier weniger im Plural von vergleichender Kulturanthropologie und spektakulärer Massenkultur[47], vielmehr im wahrnehmungstheoretischen Singular von Medienanthropologie fragen: Wie zeigt sich heute der Zuschauer? Wo und wann? Welche Verwandlungen zeigt er? Diese Fragen laufen auf eine rekursive Frage hinaus, welche die vorangehenden wie in einem Spiegelkabinett zugleich reflektiert: Wenn sich der Zuschauer so zeigt, - wie, in welcher Gestalt, wo, wann -, was zeigt er dann jeweils? Was zeigt dieses dem Zuschauer beim Zuschauen Zuschauen - dem Zuschauer? „Der Tormann sah zu, wie der Ball über die Linie rollte...“[48] Handke hat diesen parabolischen Beobachtungssatz als Motto seiner Erzählung über die Angst des Tormanns beim Elfmeter vorausgeschickt, die für den Kino-Zuschauer im Medienwechsel zu kinematographischer Sichtbarkeit zu bringen, Wim Wenders’ gleichnamige Literaturverfilmung 1972 doch einige Schwierigkeiten zeigte.
Wenn man heute vom Zuschauer spricht, d.h. davon, wie er wo und wann sich zeigt, sieht man sich „anthropologisch“ zunächst an sinnliche Wahrnehmungsphänomene und ästhetische Konstellationen verwiesen. Zum Problem wird, mit anderen Worten, denen Heideggers auf dem „Weg zur Sprache“ von 1959 gesprochen, das Verhältnis von „Sprache“ und „Zeige“: „Das erbringende Ereignen, das die Sage als die Zeige in ihrem Zeigen regt, heiße das Ereignen.“[49] Ereignis und Ergebnis, Geschehen und Resultat gehen nicht ineinander auf, „die Zeige in ihrem Zeigen“ weist darauf hin, daß eigentlich nur von einem offenen Prozeß – in actu wie in situ – zu sprechen ist. Der Zuschauer steht nun nach Maßgabe eines anthropologisch unvordenklichen, archaischen Begriffspaares komplementär im Kontrast zum tatkräftigen Helden, oder nüchterner und moderner gesprochen: zum Akteur. In Europa blieb es der Institution des Theaters und in ihr den aus der Antike überlieferten dramatischen Kunstformen von Tragödie und Komödie vorbehalten, die fundamentale Opposition von Held und Zuschauer im Kollektivbewußtsein metaphorisch auszukleiden. Der Zuschauer hat anders als der Akteur, der im französischen Nomen „l’acteur“ eben nicht nur den Handelnden, sondern auch den Schauspieler bezeichnet, gewöhnlich kein Anrecht auf Glanz und Licht der Bühne. Er soll nach aller dramatischen Theaterkonvention im dunkleren Raum Platz nehmen, im Zuschauerraum eben, von wo aus er schauen kann, ohne selbst gesehen zu werden, ohne sich selbst zu zeigen. Diese rigide Trennung von Bühne und Zuschauerraum hatte es jedoch weder in der Antike noch im Mittelalter gegeben, sie ist erst mit der Entwicklung eines neuen Theaterbegriffs im elisabethanischen England des ausgehenden 16.Jahrhunderts entstanden. Der neue Begriff brachte unter dem alten Topos vom Theatrum mundi zugleich eine extensive Ausbreitung von Theatermetaphorik zuwege, die auf alle kulturellen Bereiche ausstrahlen sollte: „Aufführung“, „Darstellung“, „Drama“, „Tragödie“, „Komödie“, „Bühne“, „Kulisse“, „Szene“, „Kostüm“, „Maske“, „Rolle“, „Regisseur“, „Souffleur“, „Schauspieler“, „Akt“, „Zuschauer“ etc.
Der historische Wandel einer Metapher bringe „die Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen selbst zum Vorschein, innerhalb deren Begriffe ihre Modifikationen erfahren“[50] – diese Grundannahme bestimmt Strategie und Ziel von Blumenbergs Metaphorologie, die die wissenschaftliche Begriffsgeschichte zu erweitern suchte, indem sie ihr durch eine Theorie der Unbegrifflichkeit[51] ihre Grenzen aufzeigte. Blumenberg hat der Theatermetaphorik nur am Rande Aufmerksamkeit gezollt, den Fokus seiner metaphorologischen Untersuchungen als Philologe und philosophischer Hermeneutiker vielmehr auf die Lesbarkeit der Welt[52] eingestellt, um Mythos, Theologie und Metaphysik im Gefälle von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit als Metaphorik neu lesbar zu machen. Weniger der neuzeitliche Theaterzuschauer, vielmehr der „antike Weltzuschauer“ hat im Spiegel seiner neuzeitlichen Rezeptionsgeschichte gleichwohl Blumenbergs Metaphorologie zu interessieren gewußt. Zwei metaphorische Komplexe verdienen hier besondere Erwähnung: Schiffbruch mit Zuschauer[53] einerseits, Das Lachen der Thrakerin[54] andererseits. Den ersteren analysiert Blumenberg als paradoxe „Daseinsmetapher“ in der anthropologischen Kontraposition von unstetem Meer und festem Land, den letzteren stellt er als eine „Urgeschichte der Theorie“ dar. Die absurde Komik des theoretischen Verhaltens von der Antike bis zur Gegenwart wird im Zusammenstoß des Thales von Milet, des theoros, der beim Betrachten des nächtlichen Sternenhimmels in den Brunnen fällt, mit der Realität sichtbar, welche sich wiederum im Lachen der thrakischen Magd, der Zuschauerin des gefallenen Weltzuschauers, reflektiert.
Historisch verdanken sich Rolle und Funktion des Zuschauers sowie Perspektive und Modus seiner Wahrnehmung in der Neuzeit wohl jener epistemischen Krise der Repräsentation, die nach Michel Foucault durch die Etablierung des Prinzips der Repräsentation an der Stelle der brüchig gewordenen Korrespondenzen von Mikro- und Makrokosmos markiert wird: „Vom siebzehnten Jahrhundert an wird man sich fragen, wie ein Zeichen mit dem verbunden sein kann, was es bedeutet. Auf diese Frage wird das klassische Zeitalter durch die Analyse der Repräsentation antworten, und das moderne Denken wird mit der Analyse des Sinns und der Bedeutung antworten.“[55] Während die kosmologische Lehre von den Ähnlichkeiten Schein und Sein in eins setzte und so eine externe theatrale Kommunikation die Aufmerksamkeit der Schaulustigen auf die mimetischen Verfahren der Darstellung lenken konnte, verlangt das Theater als Repräsentation im professionalisierten öffentlichen Theater, die performativen Funktionen rigoros den referentiellen unterzuordnen. Der Zuschauer soll sich auf die dargestellte fiktive Welt konzentrieren, und die Schauspieler sollen „so agieren, daß der Zuschauer ihre Handlungen im Hinblick auf die fiktiven Figuren zu deuten vermag, die sie spielen, und daß zugleich in ihm nicht der Eindruck befördert wird, er beobachte Schauspieler bei ihrer Arbeit, sondern die Illusion, realen Personen bei ihren Handlungen zuzuschauen.“[56]
Das Theater als Schein/Sein-Modell, das dem Zuschauer durch Illusion Distanz gewährt und dergestalt etwa im bürgerlichen Trauerspiel zur moralischen Anstalt und in antikisierender Tragödie zum Ort einer neuen Identitätsbildung werden konnte, ist heute vielfach in Verruf geraten. Regietheater und „postdramatisches Theater“[57] setzen auf Performanz und Inszenierung, um referentielle Repräsentation von Welt und Illusionsbildung beim Zuschauer zugleich aufs – performative – Spiel zu setzen. Statt am schriftlich aufgezeichneten Sprachkunstwerk des Bildungsbürgertums orientiert sich dieses kommunikative Regietheater wieder an theatralischen Prozessen, die die Nähe weder zu alten, aus traditionalen Gesellschaften bekannten, noch zu neuen Spielarten von cultural performances scheuen: Rituale, Wettspiele, Zirkus, Varieté, Happening, Video- und Medienperformanzen etc. Daß sich die kommunikativen und performativen Momente aus Mittelalter- und Renaissance-Kultur auch im Theater der referentiellen Repräsentation von fiktiven Welten nicht gänzlich unterdrücken ließen, zeigt zwischen Sein und Schein die Theatralisierung höfischer Feste im Barock. So traten in Versailles der Sonnenkönig Louis XIV und seine Höflinge als Theaterzuschauer und als Darsteller zugleich auf, um jeweils ein durchaus theatrales Rollenspiel zu pflegen. Nicht nur die Fürstenhöfe und souveränen Residenzen der frühen Neuzeit, auch ihre durch Revolutionen ermächtigten Erben im kaum weniger um Selbst-Repräsentation besorgten Bildungsbürgertum seit dem 19.Jahrhundert bieten vielfache Anschauungsbeispiele, wie die Schaubühne als Ort der ungeselligen Geselligkeit eher denn als moralische Anstalt von ihren Liebhabern zum Vorwand herabgesetzt wurde, um sich als Zuschauer vor anderen Zuschauern selbst in Szene zu setzen: als die zum Publikum versammelten Repräsentanten von – vermeintlich oder tatsächlich - geschichtsmächtigen Schichten.
Wenn heute im akademischen Kontext vom Zuschauer die Rede ist, mag man zunächst noch immer an den ästhetischen Betrachter in Theatern und bei Kulturveranstaltungen denken, der mit den Massen bei den Zuschauersportspektakeln und im Showbusiness wenig gemein haben will: Zur Masse gehören in erster Linie immer nur die anderen. Gegen die bildungsbürgerliche Opposition von Individuum und Masse ist freilich daran zu erinnern, daß es in der griechischen Antike das Stadion (griech. στάδιον) als Schauplatz physischer Wettkämpfe gewesen ist, wo der Zuschauer als theoros zuerst aufgetaucht ist. Das Amphitheater (griech. αμφιθέατρον) als gemeinschaftlicher Aufführungsplatz von Tragödien und Komödien kam danach, und die Agora (αγορά) als Versammlungsstätte der Polisbürger verlangte, betrachtet man die Entwicklung der athenischen Demokratie[58], weniger Zuschauer – auch nicht den „Weltzuschauer“ im Sinne der theoria, wie der durch Plato reportierte Fall des Socrates zeigt - als vielmehr aktive und reaktive Teilnehmer. Von der Antike bis in unsere Gegenwart zeigt die europäische Kulturgeschichte allerdings, daß der Augensinn vor allen anderen Sinnen, vor Hören, Riechen, Schmecken, Tasten, privilegiert worden ist.[59] Wenig erstaunlich ist deshalb, daß die Metaphorik optischer Wahrnehmungsphänomene als Bildspender für menschliche Wahrnehmung überhaupt einstehen mußte: Was es auch sei, man will es am liebsten mit eigenen Augen sehen, will Augenzeuge oder gar Voyeur sein. Dabei geht es zugleich aber auch darum, die sichere Distanz des Blickes zu wahren, welche die nächste Nähe der unliebsamen Berührung vom verletzlichen Leib fernhält. „Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes. Man will sehen, was nach einem greift, man will es erkennen oder zumindest einreihen können. Überall weicht der Mensch der Berührung durch Fremdes aus.“[60] Nicht mit dem Staunen, sondern mit Furcht und Angst sowie dem menschlichen Sicherheitsbedürfnis nach distanzierendem „Sehen“ beginnt Masse und Macht, Canettis große Abhandlung zur Massenpsychologie von 1960. Trotz der Aufwertung von Gefühl und leibhaftem „Kontakt“[61] im 18.Jahrhundert, trotz des Aufstiegs der Musik zur Leitkunst in der deutschen Romantik[62] - der Begriff des Zuschauers kann im entdifferenzierten Sinne als anthropologischer Subjektbezug für synästhetische Wahrnehmungsprozesse festgehalten werden, schließt also im Zuschauer nicht nur die Fremd- und Selbst-Wahrnehmung körperlicher Ausdrucksformen, sondern auch undifferenziert den Zuhörer ein. Teilnehmer sind auch jeweils Zuschauer (und Zuhörer), und dies selbst dann, wenn sie in erster Linie aktive oder reaktive Mitwirkende sind oder sein sollen. Jedoch macht die Rede vom Zuschauer im Museum schon wenig Sinn, weniger noch diejenige vom Zuschauer in Bibliotheken, Archiven, Parlamenten, Hörsälen. An all diesen Orten, in all diesen modernen Institutionen empfiehlt es sich eher, einfach dem Sprachgebrauch folgend von Teilnehmern, Benutzern oder Besuchern zu sprechen.
Unsere subjektbezogenen, durch Nominalisierung geprägten sprachlichen Konventionen suggerieren, daß das Subjekt von Kunst und Kultur, Wissen und Wissenschaft der Mensch sei, „oder jedenfalls das Bewußtsein des Menschen; oder eventuell der Kollektivsingular des transzendentalen Bewußtseins der Menschen“.[63] Solche Sprech- und Schreibgepflogenheiten lassen auch plausibel erscheinen, wenn komplexe Wahrnehmungen samt ihren kognitiven und emotiven Medialisierungsprozessen im Sinne von Sprachökonomie einem „Zuschauer“ oder „Beobachter“ zugeordnet werden. Gerade deshalb aber ist zu fragen, welche Rolle der zum funktionalen Beobachter institutionalisierte Zuschauer in den heutigen Wissenschaften spielt - und seit der Legitimierung der „theoretischen Neugierde“ in den neuzeitlichen Wissenschaften gespielt hat. Seit Aristoteles war das Verhältnis zu Wissen und Technik (griech. τέχνη / techne) durch die Auffassung bestimmt gewesen, daß der Mensch als „Weltzuschauer“ keiner technischen Hilfen und Prothesen bedürfe, weil seine natürliche Ausstattung zum Schauen und Erkennen vollkommen auf die umgebende Welt abgestimmt sei. Neuzeitliche Experimentalwissenschaft bricht mit dieser idyllischen Genügsamkeit, indem sie den Menschen „mit neuen Organen, d.h. Instrumenten, die ihn vorher Unbekanntes erkennen lassen“[64], ausrüstet: Fernrohr, Mikroskop, Thermometer, Barometer etc. Naturwissenschaftliche Beobachtung verpflichtet die menschliche Wahrnehmung nicht nur auf sinnenunterstützende Instrumente, sondern verlangt zugleich das Aufzeichnen von Daten, die sich dem Messen, Wiegen, Berechnen von Untersuchungsobjekten verdanken. So entstehen z.B. Seekarten und Sternenkarten als hybride Gebilde neuzeitlicher Kartographie in einem komplexen Koordinationsverhältnis von Zeichnen und Verzeichnen, von Mimesis und Repräsentation. In dem Maße, in dem Experimentalwissenschaft den technischen Meßtisch zum Surrogat von Beobachtung, Aufzeichnung und Speicherung macht, immobilisiert sie zugleich den beobachtenden Subjekt-Körper im apparativen Verbund selbst zum starren Beoachtungsinstrument.
Seit elektronische Meß-, Aufzeichnungs-, Speicher- und Rechenanlagen nicht nur allenthalben in die Forschungslabors Einzug gehalten haben, sondern auch zur Grundausstattung von profitablen Unternehmen und administrativen Organisationen geworden sind, hat sich der akribische Beobachter von Meßoperationen am Untersuchungsobjekt in den Kontrolleur bzw. Supervisor elektronischer Apparaturen verwandelt. Weil diese weitestgehend automatisiert nach installierten Programmen funktionieren, braucht er zumeist nur noch im Hintergrund der Kulissen, als delegierter Spielleiter gleichsam, zu agieren bzw. zu reagieren. Niklas Luhmann, der sich als Sozialwissenschaftler selber „im rekursiven Prozeß des Beobachtens von Beobachtungen“ verortet, faßt diesen Prozeß der Entsubjektivierung von Wissenschaft zusammen: „Als Resultat einer langen, aber in der Zurechnung des Wissens auf den Menschen eindeutigen Tradition kann eine gewisse Idealisierung des Beobachters als eines Komplexes von Messungen und Berechnungen festgestellt werden. Das gilt in besonders eindeutiger Weise für die moderne Physik, die mehr die Effekte ihrer Instrumente als die Effekte des Menschen, der sie jeweils handhabt, reflektiert. Fast könnte man daher auf die Subjektfassung ‘der Beobachter’ verzichten und nur von ‚Beobachten’ bzw. ‚Beobachtungen’ sprechen.“[65] Luhmann verabschiedet jede anthropologische Naivität, die den wissenschaftlichen Prozeß der „Beobachtung“ – nach dem Sprachgebrauch - einem Subjekt zurechnen wollte, so als wären Wissen und Wahrnehmungen subjektiver Besitz oder einfach menschliches Potential. In der Wissenschaft – nur in ihr? – ist der Mensch, aller alt- und neuhumanistischen Rhetorik zum Trotz, jedenfalls nicht das Maß der Dinge. Und der „Beobachter“ ist in der verwissenschaftlichten Welt unserer Tage nur als Schwundstufe einer „Subjektfassung“ zu begreifen, die selber als Effekt der Beobachtung in ihrem Vollzug zu interpretieren wäre.
Luhmanns wissenssoziologische Rede vom Verschwinden des Beobachters in der Beobachtung findet in Gieseckes kulturvergleichenden Studien zur Mediengeschichte ein deutlich vernehmbares Echo: „Der Beobachter / das Kameraauge verläßt den außen stehenden Standpunkt und bewegt sich als Teil des Geschehens mit.“[66] Giesecke räumt zwar ein, daß sich „die Visualisierung in den neuen Medien (...) gegenwärtig, zumindest was ihre Grundideen angeht, noch in einer Phase der Abhängigkeit von den älteren Medien“[67] befinde. Um so mehr begrüßt er aber gelingende „Innovationen“ dort, „wo synästhtisch und multimedial gearbeitet und so die Begrenzung auf visuelle Informationsverarbeitungs- und darstellungsprozesse aufgebrochen wird“, wo damit zugleich „der einzelne Mensch / Betrachter nicht mehr das erkenntnistheoretische Paradigma abgibt, sondern soziale Kollektive“.[68] Hier kann es nicht darum gehen, in Gieseckes Lob dieser „Innovationen“ einzustimmen. Zu fragen bleibt vielmehr, ob man deshalb bereits auf die Subjektfassung „Beobachter“ bzw. „Zuschauer“ verzichten und nurmehr von „Beobachtungen“ sprechen sollte. Welchen Verlust bedeutet es, wenn man davon absieht, „das, was als Beobachter in den Prozeß der Produktion und Reproduktion von Wissen eingeht, durch die Systemreferenz Mensch“[69] zu konkretisieren? Luhmann beantwortet diese Fragen nicht explizit, obschon seine konstruktivistische Systemtheorie der Gesellschaft praktisch ohne humanen Beobachter auskommt: „Aber die Beobachtung selbst ist ja eine empirische Operation, belegt dadurch, daß sie selbst beobachtbar ist. Jede Art von Konstruktivismus muß auf einer solchen Empirie aufruhen, und dem Subjekt kann nur die Möglichkeit offengehalten werden, im Unbeobachtbaren zu verschwinden, à Dieu!“[70]
Der amerikanische Kunsthistoriker Jonathan Crary hat in seinen Studien zur Wahrnehmung seit dem 19.Jahrhundert versucht, die kulturkritische Opposition von Aufmerksamkeit und Zerstreuung als unhintergehbare Paradoxie unserer modernen, vielfach durch Automation bestimmten Medien-Wahrnehmung selber darzustellen. Bekanntlich hatte diese Opposition mit der Klage über das verkümmernde Wahrnehmungsvermögen bei Adorno und der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule noch zur Ablehnung der – insbesondere amerikanischen - Kulturindustrie des 20.Jahrhunderts geführt. Verflüchtigung von Innerlichkeit und Distanz einerseits, entlastende Vereinnahmung durch Arbeit, Kommunikation und Konsum andererseits, - sie bestimmen nun als die beiden dominierenden Aspekte des aktuellen Lebens- und Kulturprozesses Crarys Auffassung, wonach es sich bei der modernen Zerstreung nicht um eine Zerstörung von Aufmerksamkeit, sondern vielmehr um einen positiven „Effekt“ handele, um ganz im Gegenteil „bei menschlichen Subjekten Aufmerksamkeit zu produzieren“[71]. Unschwer läßt sich bei Crary das zentrale Motiv des Automatismus wiedererkennen, das aus der neurobiologischen und kognitiven Aufmerksamkeitsforschung als informationstheoretische Mangellösung des Problems der begrenzten Verarbeitungskapazität des menschlichen Gehirns bekannt ist. Der Rekurs auf Automatismus und Automation verdeckt hinter den technologischen Möglichkeiten von intelligenten, d.h. selber rückkoppelungsfähigen Informationsverarbeitungsmaschinen nur schlecht jene „prometheische Scham“[72], von der Günther Anders in seinem Buch Die Antiquiertheit des Menschen zuerst 1956 gesprochen hat. Schon Aristoteles hatte in Politika[73] automatische, d.h. sich selbst bewegende Werkzeuge imaginiert, die auf Befehl ihre Arbeit allein verrichten könnten, um so dem Herren die Sklaven und dem Handwerker die Lehrlinge zu ersetzen.
Kunsthistorikern und Literaturwissenschaftlern ist bekannt, daß Automation auch im Denken und Träumen der französischen Surrealisten eine wichtige Rolle spielte. Im mehr oder weniger vagen Anschluß an Freuds Entdeckung des psychoanalytischen Unbewußten experimentierten ihre frühen Selbst- und Gruppenversuche mit einem psychotechnischen Automatismus, der zugleich als literarische Technik des Spontanschreibens – „l’écriture automatique“ nach André Bretons erstem Manifeste du surréalisme von 1924 – und als revolutionäre Methode zur Befreiung des kreativen Menschen aus Zwang und Zensur erprobt werden sollte. Vom frühen Surrealismus und seiner Radikalität der Freiheit hat sich Crary allerdings sehr weit entfernt. Automation kommt nicht als Weg zu kreativer Befreiung in Betracht, bildet vielmehr gerade das Einfallstor, durch das Aufmerksamkeit je von außen her geweckt und gefaßt, von außen aus geführt und verführt werden kann. Der theoretische und praktische Erfinder von Marketing und Public Relations, Edward L.Bernays (1891-1995), Neffe von Sigmund Freud, noch in Wien geboren, aber schon früh nach Amerika gekommen, war nicht zufällig Zeitgenosse der künstlerischen Avantgarden. Wie Walter Lippmann (1889-1974), der Sohn deutsch-jüdischer Einwanderer, der als Publizist und politischer Berater in Washington und New York seine amerikanische Traum-Karriere machte, ist er aus der berühmten „Creel Commission“ des Präsidenten Woodrow Wilson hervorgegangen, deren berüchtigten Propaganda-Kampagnen gegen die Deutschen es zum Ende des Ersten Weltkriegs noch gelungen war, eine damals pazifistisch eingestellte amerikanische Bevölkerung vom nun angeblich plötzlich notwendigen Kriegseintritt der USA an der Seite Englands und Frankreichs zu überzeugen. Bernays konnte sich fortan mit Lippmann u.a. zur Elite der amerikanischen Meinungsmacher zählen. „Larvatus prodeo“ – wie nach dem Verhältnis von res cogitans und res extensa Descartes’ Geist in der Maschine, pflegten sie, bei ihrer (reich entlohnten) Öffentlichkeitsarbeit Maske und Kostüm anzulegen. Gemeinsames Sendungsbewußtsein war offensichtlich, als „invisible government“ im Verborgenen die Fäden zu ziehen: „to control the public mind“.[74] Propaganda sollte dabei im liberalen Chaos der Interessen und Meinungen „proper-ganda“ sein, nicht „improper-ganda“.[75] Im Dienst mächtiger Politiker und kapitalkräftiger Wirtschaftskonzerne (American Tobacco Company, General Electric, United Fruit Company u.a.) setzte Bernays auf psychotechnische Automatismen: Wünsche wecken, Ereignisse schaffen, Moden kreiiren, Meinungen in Umlauf bringen, Kontroversen aller Art provozieren sind seit den 1920er Jahren Strategien des freien Marktes, die eine intelligente Manipulation der Massen – „the bewildered herd“ (W.Lippmann) - durch eine aufgeklärte Minorität von Experten durchaus mit demokratischen Spielregeln zu vereinbaren wissen.
Crystallizing Public Opinion (1923), Propaganda (1928), Public Relations (1945), Engineering of consent (1955) zählen zu Bernays’ wichtigsten Schriften. Sie gehen alle vom Zweifel am demokratischen Ideal aus, das eine kompetente Öffentlichkeit unterstellt, die auch in einer komplexen und modernen Welt fähig wäre, über die öffentlichen Angelegenheiten des Gemeinwesens Entscheidungen zu treffen. Ihre Botschaften lassen sich auf den gemeinsamen Nenner bringen: Demokratische Gesellschaften brauchen heute Experten und Eliten. Nur sie können fortan gewährleisten, daß Bestand und Anerkennung von Recht und Ordnung weniger durch äußere Zwangsmittel als vielmehr durch mediale Verführung bewerkstelligt werden. „Propaganda is to a democracy what the bludgeon is to a totalitarian state.“[76] Freie Zustimmung soll durch allmähliche, kaum merkliche Konditionierung sich einstellen. Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels war bekanntlich ein begeisterter Leser von Bernays’ Schriften der 1920er Jahre. Um die böse Meinungsmache in totalitären Staaten – vom faschistischen Deutschland bis zur kommunistischen Sowjetunion und darüber hinaus – von der guten eigenen besser unterscheiden zu können, ging man nach 1945 zunehmend dazu über, für die eigene freie Meinungsmache in Politik und Wirtschaft nur noch Public Relations und Marketing zu verwenden. Jenseits von Gut und Böse gilt für Propaganda, PR und Marketing aber gleichermaßen: Aus Psychoanalyse, Experimentalpsychiatrie, Massenpsychologie und Kommunikationstheorie der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts ergibt sich die automatische Konzeption eines atomisierten Individuums, dessen Wünsche, Bedürfnisse, Meinungen am Bewußtsein vorbei direkt von außen adressiert werden wollen. Von sich aus hat es dies Individuum kaum mehr mit einer äußerlichen Zwangsmacht zu tun: weder mit einem souveränen Herrscher noch einem ausbeuterischen Kapitalherrn noch einer totalitären Staatsgewalt. Solche Mächte zeigten den Makel der Sichtbarkeit; sie wären zu orten, um sich ihnen gegebenenfalls direkt widersetzen zu können. Das vereinzelte einzelne Individuum ist vielmehr selbst Schauplatz und damit unwissende Beute einer freundlichen Verführungsmacht, welche die Intimität seines Denkens und Wünschens besetzt und alle seine inneren Regungen begleitet.
In einem seiner letzten Texte hat der französische Philosoph Gilles Deleuze 1990 auf die kaum merkliche, d.h. automatisch ablaufende Konsolidierung einer neuen, medial organisierten Herrschaftsform über konforme Individuen und Bevölkerungen aufmerksam gemacht, die er „Kontrollgesellschaften“ - „les sociétés de contrôle“[77] - nennt. Michel Foucault hatte von den Disziplinargesellschaften - „les sociétés disciplinaires“ - des 18. bis 20.Jahrhunderts gesprochen, die das Individuum in geschlossenen Milieus und Institutionen erzogen und überwacht hätten: Familie, Schule, Kaserne, Fabrik, Krankenhaus, nicht zuletzt Gefängnis. Der dort in der Korrelation von Sichtbarkeit, Fremd- und Selbstdisziplinierung wirksame Machtmechanismus findet sich in Surveiller et punir[78] nicht zufällig anhand von Jeremy Benthams „Panopticon“, dem architektonischen Entwurf eines Gefängnisses, illustriert. Von der industriellen Disziplinargesellschaft zur hyperkapitalistischen Kontrollgesellschaft 2000 - Deleuze seinerseits sieht in Bewegungsfreiheit und unbeschränkter Kommunikationsmöglichkeit gerade schon die technischen und sozialen Voraussetzungen, damit durch Computer und Internet, Fernsehen und Telekommunikation gestütztes Marketing als neues Instrument der permanenten Kontrolle wirksam werden kann. Das neue Verfahren dieses „contrôle continu“ beschreibt Deleuze prägnant: „Le langage numérique du contrôle est fait de chiffres, qui marquent l’accès à l’information, ou le rejet. Les individus sont devenus des ‘dividuels’‚ et les masses, des échantillons, des données, des marchés ou des ‘banques’.“[79]
Es geht bei dieser neuen Kontrolltechnik gerade nicht um eine disziplinierende Überwachung von Personen oder versammelten Gruppen in ihren Milieus, die den Überwachten nach dem Panopticon-Muster von Foucaults Disziplinargesellschaften jederzeit bewußt wäre, mehr noch: bewußt gemacht werden sollte. Die digitalen Überwachungskameras unserer Tage verrichten ihre Arbeit diskret über die Köpfe der Kontrollierten hinweg, geht ihre Einrichtung doch nur darauf, für den freien Verkehr der Personen, Waren und Dienstleistungen zu sorgen.[80] Störungen dieser freien Verkehrsordnung sind selbstverständlich zu beseitigen und Störenfriede selbstredend aus dem Verkehr zu ziehen. Kontrolle in diesem Sinne erfaßt die Personen als normale „Verkehrsteilnehmer“ eigentlich nur insoweit, als die Zugänge zu ihnen zu sichern sind, die ihre jederzeitige Erreichbarkeit gewährleisten. Kontrollieren und adressieren - ohne gesicherte Erreichbarkeiten sind adressierte Medialisierungsprozesse kaum möglich. Ihr Programm ist eben wiederum, Kunden, Mitarbeiter und Mitmenschen zu beeinflussen und zu gewinnen, bestimmte Verhaltensweisen vorzugeben und zu normalisieren, Geister und Gemüter am Bewußtsein vorbei durch immer diskretere Psychotechniken zu adressieren und zu kontrollieren. Die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Raum verwischen. Der Zuschauer zu Hause vor seinem Fernsehapparat oder an seinem Computer mag noch auf seiner Individualität und Privatheit bestehen; aber in Wirklichkeit ist er medial immer schon adressiert und „dividuell“ in seiner Erreichbarkeit kontrolliert. Er macht das, was zur selben Zeit Hunderttausende tun, ob sie nun genau dasselbe Programm als Fernsehteilnehmer anschauen oder nur das gleiche Computerprogramm benutzen.
Die neue computergestützte und vernetzte Medienwelt der 1990er Jahre hat innovative Marketing-Manager hervorgebracht, die mit Wareninszenierung, Pop- und Rockkultur, Theatralik, Emotional Design und Trendforschung gegen Krisenstimmung und Konsumverweigerung ganzer Bevölkerungsgruppen gezielt vorgingen. Prävention und Risikokalkül waren aufgerufen, um das übliche Krisenmanagement zu ersetzen. „Kult-Marketing“[81] sollte immer individuellere bzw. „dividuelle“ Kundenorientierungen gewährleisten und das irrationale Konsumbegehren immer differenzierter bedienen. So ist in Amerka auch die magische Figur des „Erzählers“[82] wiederbelebt worden, an dessen Verschwinden aus der modernen Welt Walter Benjamin schon 1936 mit einem schönen Abschiedstext erinnert hatte. Nach der poststrukturalistischen Dekonstruktion der großen Erzählungen der Geschichte im postmodernen Klima der 1980er Jahre ist mit Storytelling nach 1990 ein neues Instrument für Marketing, Management und Politik auf dem neoliberalen Markt auferstanden. Die eher esoterische französische Erzähltheorie von Roland Barthes, Gérard Genette bis Paul Ricœur hat zugleich dadurch in Amerika ein überraschendes, hyperindustrielles Recycling erfahren. Christian Salmon hat kürzlich aufgezeigt, wie in der neuen Unübersichtlichkeit neoliberaler Markt-Deregulierungen zur Ausbildung und Bekräftigung bestimmter Unternehmens- und Organisationskulturen ein Erzählen von „einfachen“ Geschichten und Anekdoten eingesetzt wird. Es geht darum, „habit formation“ zu betreiben, Konformismus herzustellen und Abweichungen zu „normalisieren“. Trotz des paradoxen Anscheins von simpler Menschenfreundlichkeit bewegt sich solche Performanz durchaus auf der Höhe aktueller Datenverarbeitung, operiert doch Storytelling computergestützt oft zugleich mit virtuellen Realitäten, numerischen Bildern und sensoriellen Effekten. Das innovative narratologische Verfahren erscheint in Management und Marketing, in Militärberichten und Medienpräsentationen, in Werbekampagnen und Wahlveranstaltungen als rein strategisches Mittel, um bestimmte Botschaften oder bestimmte Produkte - an Bewußtsein und Reflexion vorbei - an Kunden und Konsumenten, Geschäftspartner und Wähler zu bringen.
Mit entlarvendem Zynismus schlägt Salmon für Storytelling bereits im Untertitel seines Buches eine kühne wie treffende Apostrophe vor: „la machine à fabriquer des histoires et à formater les esprits“[83]. Als keineswegs harmlose „Maschine“ zur seriellen Herstellung von standardisierten Geschichten ist Storytelling zugleich eine „Maschine“, die Geist und Bewußtsein in bestimmter Weise zu „formatieren“ vermag. Aus narratologischer Perspektive sind die verwendeten Strickmuster in ihrer Rekurrenz – z.B. das Muster der „Success-Story“ bzw. Erfolgsstory - leicht zu durchschauen, zugleich aber nur schwer in ihrer Wirksamkeit zu fassen. Intension und Extension – so scheint es - verhalten sich beim Storytelling umgekehrt proportional zueinander: Je geringer und banaler der Inhalt selbst, desto größer und vielfältiger sind die Möglichkeiten von Einsatz und Wirkung der Story. Einen „incroyable hold-up sur l’imaginaire“ erkennt Salmon und zögert nicht, Roß und Reiter bzw. Cowboys zu nennen: „Ainsi, l’art du récit qui, depuis les origines, raconte en l’éclairant l’expérience de l’humanité, est-il devenu à l’enseigne du storytelling l’instrument du mensonge d’État et du contrôle des opinions: derrière les marques et les séries télévisées, mais aussi dans l’ombre des campagnes électorales victorieuses, de Bush à Sarkozy, et des opérations militaires en Irak ou ailleurs, se cachent les techniciens appliqués du storytelling. L’empire a confisqué le récit.“[84] Winning hearts and minds - um diskret und beiläufig, mithin scheinbar absichtslos und um so erfolgreicher dieses „Formatieren“ von formatierbaren Adressaten zu betreiben, brauchen die PR-Experten in der Regel nur die Erzählung selber in einem seriell gängigen und deshalb zwangsläufig „armen“ Story-Format präsentieren, wie aufwendig die Medienunterstützung dabei – zum Ausgleich für die banale Geschichte - auch immer angesetzt sein mag.
Mit Format, abgeleitet vom Partizip Perfekt Passiv „formatus“ (= gebildet, geformt) des lateinischen Verbs „formare“, wird in Wirtschaft und Industrie üblicherweise eine Vorlage oder Vorgabe an Größe, Form und Struktur bezeichnet, die einer Sache einen bestimmten seriellen Standard vermitteln soll. Wenn man diesen Begriff mit Salmon auf Personen bezieht, macht man sich eigentlich einer pragmatisch-semantischen Spährenvermengung schuldig: Menschen sind keine Sachen, sollten es wenigstens nicht sein. Daß technische Performanzen diskursiven Argumenten enteilen können, scheint jedoch bei Medientheoretikern im Blick auf das Faktische – Zahlen, Lettern, Bilder, Sounds - kaum noch Erstaunen hervorzurufen. Es können nicht nur Korrelationen zwischen sozialen und technischen Systemen mit Luhmann u.a. auf den jeweiligen historischen Stand von gesellschaftlicher Datenverarbeitung zurückgeführt werden; darüberhinaus erscheinen selbst die modernen Konzeptualisierungen des Menschen, die Anthroplogie, Psychologie, Soziologie hervorgebracht haben, im Anschluß an Kittler u.a. nur als symbolische Varianten einer technischen Datenverarbeitung: „Was Mensch heißt, bestimmen keine Attribute, die Philosophen den Leuten zur Selbstverständigung bei- oder nahelegen, sondern technische Standards. Jede Psychologie oder Anthropologie buchstabiert vermutlich nur nach, welche Funktionen der allgemeinen Datenverarbeitung jeweils von Maschinen geschaltet, im Reellen also implementiert sind.“[85]
In der Informatik ist Formatieren zum Schlüsselbegriff avanciert, geht es doch vor jeder eigentlichen Datenverarbeitung darum, die Daten nach einem bestimmten Code zusammenzustellen und zu strukturieren. Die Formatierung des Datenträgers bereitet so das Speichermedium zur automatischen Aufnahme der Daten vor, während mit dem Dateiformat nur noch festgelegt wird, nach welchem Standardformat die Daten in einer Datei dann gespeichert werden. Vom Buchdruck mit beweglichen Lettern zur elektronischen Datenverarbeitung – bekanntlich haben Formatvorlagen im Druckereiwesen ihre historischen Anfänge erlebt. Als Papierformate, Buchformate und Zeitungsformate konnten sie das neuzeitliche Nachrichten- und Kommunikationswesen entwickeln und standardisieren helfen, bis sich ihnen mit der Erfindung der Fotografie im 19.Jahrhundert und dem transportablen Fotoapparat noch Filmformate hinzugesellten. Das Format bestimmt, was unabhängig vom speziellen Standort des Kunden geht und was nicht geht. Es ist nicht nur vorgegebene Form, sondern zugleich verbindliche Norm, mit der automatisch gerechnet werden kann und auch soll. Wird etwa das Verhältnis von Medien und literarischen Formen thematisch, kann der Begriff Format als Vermittler einspringen, weil er die medialen Möglichkeiten einer Form in der Medienkonkurrenz - als Format - technisch-strategisch zu standardisieren hilft. Wo Medientheoretiker mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund noch geneigt sind, nach ästhetischen Formen zu suchen, da sprechen Medienpraktiker im Hinblick auf bestimmte Medien zumeist von technischen Formaten – und zumeist in kommerzieller Absicht: Das Fernsehformat besagt, welche standardisierte Konzeption für eine erfolgreiche Fernsehproduktion gilt, das Format-Radio steht für ein spezielles Radioprogramm, das analog zur Kundenbindung im Marketing eine Hörerbindung erreicht und sich am Rundfunkmarkt platziert hat. Und nicht nur für diese beiden, sondern wohl für alle Medienformate gilt, daß Einschaltquoten möglichst gewinnbringend an Werbekunden zu verkaufen sind.
Format ist kein deskriptiver Begriff, sondern hat als technischer Terminus in Mechanik und Elektronik jeweils einen strategischen Richtungssinn. Formatvorgaben garantieren als Normen, d.h. als Normalisierungen durch Automation, vergleichbare Standards. Wo sie mustergültige Verläßlichkeit herstellen können, dienen sie als Präfabrikate zur willkommenen Entlastung des Kunden, weil sie schon im Vorfeld Komplexitäten automatisch reduzieren helfen. Format als Begriff verweist zugleich immer schon auf ein Machen, auf einen Vorgang des Herstellens. In der griechischen Antike hieß zunächst mit Blick auf das Handwerk alles Herstellen „Poiesis“ (griech. ποίησις). Davon heben sich Formen der intransitiven „Praxis“ (griech. πραξις) ab, die ihren humanen Zweck, womöglich als menschliches Glück bzw. „gute Praxis“ (griech. εύπραξία / eupraxia), nach Aristoteles im eigenen, ganz inneren Vollzug als „Entelechie“ (griech. έντελέχεια / entelecheia) haben. Transitiv bestimmt ist „Poiesis“ dagegen von Anfang an auf ein äußerliches Ziel (griech. τέλος / telos) ausgerichtet, das im sichtbaren Werk (griech. έργον / ergon) materielle Gegenständlichkeit finden soll.
Vita activa oder Vom tätigen Leben – Hannah Arendts warnende Kritik an der modernen Arbeitsgesellschaft und am Fetisch Arbeit und Konsum bezieht ihre fortdauernde Bedeutsamkeit nicht zuletzt daraus, daß sie hinter den neuzeitlichen und christlich-mittelalterlichen Reduktionen an die vergessenen Gehalte von „vita activa“ in der Antike erinnert hat: „Arbeiten, Herstellen und Handeln“[86]. Während „Arbeiten“ in der antiken Sklavenhaltergesellschaft nur dem biologischen Stoffwechsel des Menschenkörpers und der Notdurft des Sich-Abarbeitens an den Naturdingen entsprach, zielte handwerkliches „Herstellen“ auf eine vom Menschen selbst produzierte, künstliche Welt von Gegenständlichkeiten, die das menschliche Leben überdauern und dem immerwährenden Naturkreislauf von Werden und Vergehen in gewissem Maße widerstehen können sollte. Als einzige Tätigkeit, „die sich ohne die Vermittlung von Materie, Material und Dingen direkt zwischen Menschen abspielt“[87], galt das „Handeln“, das als freies politisches Handeln Bedingung für die Kontinuität der Generationen, damit zugleich für Geschichte und kollektives Gedächtnis war. „Vita activa“ stellt nun nach Arendt selber bereits eine verzerrende lateinische Übersetzung dar, wodurch die mittelalterliche Theologie den aristotelischen βίος πολιτικός (bios politicos ) uminterpretierte: Das Leben des freien Mannes, das innerhalb der griechischen Polis nur für „schöne“ Taten zu sorgen hatte, verschwand im christlichen Sammelbegriff „vita activa“, der fortan alle Arten von aktiver Beschäftigung mit den Dingen der Welt bezeichnen konnte. Nur eine einzige freie Lebensweise der griechischen Überlieferung nach Aristoteles sollte im Mittelalter das Glück haben, unter dem Ehrentitel vita contemplativa christliche Anerkennung zu finden: βίος θεωρητικός (bios theoreticos), „das Leben des Philosophen, der durch Erforschen und Schauen dessen, was nie vergeht, sich in einem Bereich immerwährender Schönheit aufhält, das dem doppelten Eingriff des Menschen, seinem Herstellen neuer Dinge und seinem Verzehren dessen, was ist, entzogen ist.“[88] Aus dem griechischen Ideal der θεωρία (theoria), was ursprünglich „nicht Schauen, sondern Zuschauen“[89] bedeutete, nämlich dem Sich-Zeigen der Seinswahrheit zuschauen, wurde das abendländische Ideal der Kontemplation, das in der Muße (griech. σχολή / scholé, lat. otium), fern von allem „negotium“, von allen öffentlichen Geschäften, empfänglich für die christliche Offenbarung der Wahrheit durch das göttliche Wort machen sollte.
Arendts Einwand gegen das mittelalterliche Ideal der Kontemplation geht nicht gegen dieses selbst, vielmehr gegen die verheerenden Nachwirkungen, die es für die modernen Vorstellungen von der „vita activa“ gezeitigt hat: Kontemplation als christlich-feiertägliches Ideal wird dafür verantwortlich gemacht, daß die antiken Konstellationen und Gliederungen des tätigen Lebens vergessen worden sind. Die Neuzeit gestand mit der Umkehrung des mittelalterlichen Verhältnisses von „vita activa“ und „vita contemplativa“, die den Sieg von homo faber als „Werkzeugmacher“ beglaubigte, den Primat nunmehr „dem Machen, Fabrizieren und Herstellen“[90] zu. Die (früh)moderne Vereinigung von Herstellen und Erkennen im Experiment machte Mittel und Kausalität („causa efficiens“) zur Hauptsache, setzte Substanz und Form („causa substantialis“ und „causa formalis“) sowie bis zu einem gewissen Maße auch Zweck („causa finalis“) zu Nebensachen herab. Im Gefolge dieser säkularen Verschiebung der Untersuchungs- und Beobachtungskoordinaten schien die in Erfahrung und Experiment begegnende Natur von sich aus den Charakter von Entwicklung, Evolution und Prozeß anzunehmen. „Und wenn es einst zum Wesen des Seins gehörte, daß es sich zeigte und in die Erscheinung trat, so liegt es im Wesen des Prozesses, daß er selbst unsichtbar bleibt, daß sein Vorhandensein nur aus bestimmten Daten, die nicht eigentlich mehr Phänomene sind, erschlossen werden kann.“[91]
Im 17. und 18.Jahrhundert war es - besonders im kolonialherrlichen England – dem voranschreitenden Kapitalismus gelungen, theoretisch die Arbeit zu verherrlichen, im 19. und 20.Jahrhundert dann darüber hinaus sogar, ganze Nationen in Arbeitsgesellschaften zu verwandeln. Es ist das nicht unumstrittene Verdienst von Ernst Jünger, 1932 der Arbeitsgesellschaft im großen Essay Der Arbeiter ihre damals neueste technische Formatierung im Spiegel von „Herrschaft und Gestalt“ vorgeführt zu haben. Indem er die ideologischen Fronten von Kapitalismus, Kommunismus, Liberalismus und Faschismus durchkreuzte, konnte er die ungläubigen Blicke seiner Zeitgenossen u.a. auf den „Einbruch elementarer Mächte in den bürgerlichen Raum“ und die „Technik als Mobilisierung der Welt durch die Gestalt des Arbeiters“[92] lenken. In den 2004 aus dem Nachlaß herausgegebenen Aufzeichnungen Martin Heideggers Zu Ernst Jünger[93] erscheint Jünger nicht nur als Nietzsches Erbe, der mit kalter Beschreibung und automatischer Präzision einen „heroischen Realismus“ des 20.Jahrhunderts zur Erfüllung und Überwindung des „planetarischen Nihilismus“ aufbietet. Heidegger skizziert darüberhinaus ein Bild von Jünger als Seher und Späher, der die umgebende moderne Wirklichkeit mitsamt ihren Schmerz- und Todesdrohungen für den heutigen Menschen zwar erkennen, nicht aber das Wirkliche dieser Wirklichkeit als Denker befragen könne: Beobachten und Fragen, Sehen und Denken sind aber zur Rettung aufeinander angewiesen. Die Forderung nach Fragen und Denken im „eigentlichen“ Sinne kann als Heideggers Replik besonders auf Jüngers existentialistische Denkfigur der „Linie“[94] genommen werden, die sich mit der Widmung „Martin Heidegger zum 60.Geburtstag“ im Essay Über die Linie (1950) skizziert findet.
In der nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem in Amerika sich ausbreitenden industriellen „Automation“[95] hat Arendt zuletzt die historische Möglichkeit eines allgemein von Arbeitslast und Notwendigkeitsjoch befreiten Lebens erkannt: erreichbar potentiell allen, zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte nicht mehr lediglich den privilegierten Wenigen, den je Herrschenden sowie ihren Künstlern, Dichtern und Denkern. Hier nun spätestens rächt sich aber, daß das moderne animal laborans, das siegreiche und formatierte Arbeitstier der Gegenwart, das „mehr und mehr eine Art gesellschaftlich-animalisches Lebewesen ist“[96], über keine Ideen mehr verfügt – weder von „vita contemplativa“ noch von „vita activa“ noch von einem freien politischen Handeln in der Öffentlichkeit, das Arendt insbesondere vermißt: „Die Erfüllung des uralten Traums trifft wie in der Erfüllung von Märchenwünschen auf eine Konstellation, in der der erträumte Segen sich als Fluch auswirkt. Denn es ist ja die Arbeitsgesellschaft, die von den Fesseln der Arbeit befreit werden soll, und diese Gesellschaft kennt kaum noch vom Hörensagen die höheren und sinnvolleren Tätigkeiten, um deretwillen die Befreiung sich lohnen würde.“[97]
Fast zur gleichen Zeit wie Hannah Arendt, jedoch ungleich optimistischer im geschichtsphilosophischen Ausblick, hat 1964 Marshall McLuhan (1911-1980) im Schlußkapitel seines großen medientheoretischen Entwurfs Understanding Media. The Extensions of Man das zeitgenössische Thema der „Automation“ aufgegriffen. Automation erfasse nicht nur die industrielle Massenproduktion und die Massenmedien, „sondern jede Phase des Konsums und Marketings“; sie kann ihm deshalb als Zukunftshorizont der Menschheit erscheinen: „Automation oder ‘Kybernation’ behandelt alle Einheiten und Komponenten des Prozesses der Industrie und des Marketings genauso, wie Rundfunk oder Fernsehen die einzelnen Personen eines Publikums in eine neue, gegenseitige Verbindung bringen. Die neue Art interner Querverbindungen in der Industrie wie in der Unterhaltung ist das Ergebnis der sofort gegebenen elektrischen Geschwindigkeit.“[98] Um die Welt zum kommenden „Global Village“ zusammenzuziehen, wird es Elektrizität nach McLuhan gelingen, das mechanistische Prinzip der „Explosion“, das die Neuzeit und die erste industrielle Revolution bestimmte, durch das neue wissenschaftsrevolutionäre Prinzip der „Implosion“ zu ersetzen. Die sofortige, präzise Verarbeitung von Wissen und Informationen sowie die unmittelbar mögliche, d.h. automatische Synchronisation von simultanen Abläufen und Handlungen können so der schematisch-linearen Reihung von Arbeitsschritten und Handlungsabfolgen ein Ende bereiten. Vielfältiges Lernen als „habit formation“ sieht McLuhan aufgerufen, an die Stelle von herkömmlicher Arbeit zu treten: „In Zukunft besteht die Arbeit nicht mehr darin, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern darin, im Zeitalter der Automation leben zu lernen.“[99] Wo McLuhan nur technologischen Fortschritt und enorme Zukunftschancen für die Menschheit aus der Befreiung von der Arbeitsnotdurft sieht, rechnet Arendt skeptisch Gewinn und Verlust gegeneinander auf, wenn durch Automation „auch die Arbeit und die ihr erreichbare Lebenserfahrung aus dem menschlichen Erfahrungsbereich ausgeschaltet sein wird.“[100] Sie bemüht gar die bekannte Fiktion vom „Beobachter im Weltall“, um den „Mutationsprozeß“[101] der Arbeitsgesellschaft in distanzierter wie zugleich distanzierender Optik erscheinen zu lassen: „In ihrem letzten Stadium verwandelt sich die Arbeitsgesellschaft in eine Gesellschaft von Jobholders, und diese verlangt von denen, die ihr zugehören, kaum mehr als ein automatisches Funktionieren, als sei das Leben des Einzelnen bereits völlig untergetaucht in den Strom des Lebensprozesses, der die Gattung beherrscht, und als bestehe die einzige aktive, individuelle Entscheidung nur noch darin, sich selbst gleichsam loszulassen, seine Individualität aufzugeben, bzw. die Empfindungen zu betäuben, welche noch die Mühe und Not des Lebens registrieren, um dann völlig ‘beruhigt’ desto besser und reibungsloser ‘funktionieren’ zu können. (...) Es ist durchaus denkbar, daß die Neuzeit, die mit einer so unerhörten und unerhört vielversprechenden Aktivierung aller menschlichen Vermögen und Tätigkeiten begonnen hat, schließlich in der tödlichsten, sterilsten Passivität enden wird, die die Geschichte je gekannt hat.“[102]
Vom θεωρός (theoros), dem antiken Weltzuschauer, über den ästhetischen Betrachter und experimentellen Beobachter der frühen Neuzeit zum formatierten „Spectator“[103] und „Supervisor“ von Simultaneitäten „im Zeitalter der Automation“ - die Metamorphosen des Zuschauers lassen sich an der Differenz von Format und Figur in ihren Extremen ausmessen. Wie das Format in Mechanik und Elektronik bezieht sich auch der Begriff der Figur zunächst auf ein Machen, ein Herstellen. Im Gegensatz zum Format verweisen aber Semantik und Pragmatik dabei nicht auf neuzeitliche und moderne Technik, sondern auf Kunst und Kultur, auf Sprache und Literatur in ihrer antiken und humanistischen Tradition. „Figura“ ist als lateinischer terminus technicus durch die antike Rhetorik überliefert worden, die als Kunst der überzeugenden Rede zuerst Sprachtechnik gewesen ist. Der rhetorische Begriff stammt selber vom lateinischen Verb „fingere“ ab, wovon auch „fictio“ ( Fiktion) abgeleitet worden ist; „fingere“ bedeutet jedoch nicht in erster Linie ersinnen, vorstellen, vorgeben, sondern bauen, stellen, schaffen. Figuren bezeichnen „poietische“ Artefakte, die nicht als simple Naturdinge wahrgenommen werden wollen, sondern als gestellte Formen, ob von einem Schriftsteller oder Schausteller, je immer Zeichencharakter haben und Bedeutungen transportieren. Aus der antiken Bindung an Sprache und Rhetorik haben Figuren bis heute eine bestimmte kommunikative Appellfunktion bewahrt. Figuren sind keine vorgefertigen Produkte, keine seriellen Präfabrikate wie etwa standardisierte industrielle oder kommunikationelle Formate; sie sind vielmehr als Figurationen, Konfigurationen, Transfigurationen, Defigurationen nur in einem dynamischen Prozeß der Gestaltwerdung und Gestaltveränderung zu beschreiben, der an der Doppelheit von Sprache und Sprechen sein Modell finden kann. Wie Sprache als Sprache ist Figur als Figur Werk und Artefakt („ergon“), wie Sprache als Sprechen ist Figur als Figuration Tätigkeit und Wirkvorgang (griech. ένέργεια /energeia). Der deutsche Sprachwissenschaftler Pörksen hat in seiner Kritik an der „Weltwirkung der Visiotype“ darauf hingewiesen, daß es zur Doppelheit der Sprache „auf dem Gebiet des Sehens keine Parallele“ geben würde: „Gäbe es sie, würde sie ‘Sahe’ heißen. Aber es gibt keine Sahe, weder als Wort noch als Sache. Es gibt auf dem Gebiet des Sehens nichts, was Grammatik und Lexikon ensthaft entspricht und in einer der Sprache analogen Weise Verständigung ermöglicht.“[104] Indem Pörksen den „Plastikcharakter“[105] der wissenschaftlich und industriell formatierten „Visiotype“ beklagt, übersieht er doch zugleich, daß die Rhetorik mit ihrer elokutionären Ornatus-Lehre, insbesondere mit den Tropen („tropi“) und Figuren („figurae“), schon seit der Antike eine durchaus tragfähige Brücke zwischen Sprechen und Sehen bereitgestellt hat. Nicht zufällig gehörte die Rhetorik zwischen Grammatik und Dialektik im sprachlichen Trivium zu den sieben freien Künsten („septem artes liberales“) der gelehrten Welt von lateinischem Mittelalter und früher Neuzeit. Als literarische Rhetorik gab sie bis in die Moderne hinein nicht nur den Regelkram zur Fertigung poetischer Gebilde nach bestimmten Gattungen vor, sondern lieferte auch anderen Künsten – Bild, Plastik, Theater, Musik - Gegenstände, Themen, Topoi (griech. τόπος / topos = Ort, Stelle) und Strukturen.
Die Extreme von Format und Figur des Zuschauers können auch am Wandel des Zuschauer-Konzepts illustriert werden, das sich die Unterhaltungsmedien des 20.Jahrhunderts von ihrer jeweiligen Kundschaft machten. Die Figur des Zuschauers verleugnet ihre lange Zugehörigkeit zur Institution des Theaters nicht, auch nicht ihre requisitenhaften Andenken an die goldene Zeit der manieristischen und barocken Theatralik. Hörfunk, Film und Fernsehen hielten bis in die 1970er Jahre mehr oder weniger daran fest, das Publikum in Analogie zu Theater und Zirkus als Zuschauer bzw. Spectator zu behandeln. Unterhaltung mit Anspruch orientierte sich z.B. in der alten BRD an der bildungsbürgerlichen Ästhetik des Theaters, Unterhaltung mit Spaß gleichzeitig an den weit populäreren Formen von Zirkus und Zuschauersport, Revuetheater und Spectator-Showbusiness. Erst in den 1980er Jahren, mit der Liberalisierung und Deregulierung des Fernsehmarktes sowie der exakten und kommerziellen Orientierung an Einschaltquoten, setzte sich allgemein ein Zuschauer-Konzept durch, das gegen altväterliche Bildungsansprüche den empirisch ermittelten Durchschnitt der Gewohnheiten und Wünsche der Fernsehteilnehmer zum Richtmaß erhob. Der Zuschauer wurde zum Viewer, einem Zuschauer-Format, das kontinuierlich durch Einschaltquoten kontrolliert zugleich ein medial produziertes Format war. Man kann die Entwicklungen der Videotechnologie mit ihren von Zeit und Ort unabhängigeren Nutzungsmöglichkeiten durch den Viewer als Vorbereitung auf den Computer verstehen. Mit dem User trat um 1990 endlich der „aktive“ Zuschauer auf: jemand, der vor seinem PC sitzt, im Internet surft, Online-Dienste wahrnimmt, chattet, E-Mails liest und verschickt oder Computerspiele mitmacht. Die Umformatierung von Kino-Spectator und Fernseh- sowie Video-Viewer zum Mediennutzer hat den aktiven, reaktiven, interaktiven User hervorgebracht, der als Jedermann des Computerzeitalters sein eigener Programmdirektor sein kann. Die Sorge der eigentlichen Programm-Macher, diversifizierte User-Formate jeweils kontinuierlich „upzudaten“, hat in kommerzieller Absicht zu vielerlei zynischen Strategien geführt, den hinter dem Computer unsichtbar gewordenen Zuschauer wieder sichtbar zu machen. So gibt es etwa zunehmend Fernsehveranstalter, die sich die Zuschauer als Talk-Show-Gäste oder als Container-Bewohner oder als kommende Super Stars ins Studio holen, um durch die eigene mediale Produktion und Reproduktion des Durchschnitts sich eben dieses Durchschnitts empirisch zu versichern.
Dem Zuschauer mitsamt seinen Verwandlungen bleibt in der heutigen Medienkultur - vom ästhetischen Betrachter über den wissenschaftlichen Beobachter bis zum Augen- und Ohren-Zeugen, zum Leser, Voyeur, Spectator, Viewer, User, Supervisor, Kontrolleur und dem aktiven, interaktiven oder reaktiven Teilnehmer - eine kulturpolitische Zerreißprobe nicht erspart. Immer nachhaltiger scheint eine hyperindustrielle Massenkulturproduktion von Konformismus und Konsumismus unsere heutigen Lebenswelten in einem zu formatieren und zu kontrollieren. Bilderfluten und Schallwellen von Entertainment und Kommerz, von Advertainment und Infotainment schalten sich mit den psychischen Automatismen der unwissenden Adressaten kurz, suchen durch zunehmend raffiniertere und emotivere Verführungsstrategien die Aufmerksamkeit der Kunden am Bewußtsein vorbei zu adressieren und zu kontrollieren. Diesen vielen „funktionierenden“ Konsumenten stehen unsichtbar im Verborgenen wenige PR-Experten und Marketing-Strategen gegenüber. Sie haben von den Spezialisten der Propaganda und den künstlerischen Avantgarden des 20.Jahrhunderts gelernt, haben deren Techniken der Meinungsmache und Aufmerksamskeitsgewinnung durch wissenschaftliche Anleihen bei u.a. Psychologie, Informatik, Medienwissenschaft, Kognitions- und Hirnforschung in ganz praktischer Absicht weiterentwickelt. Diesen Experten der Medienwelt, den Produzenten und Agenten, Planern und Marktstrategen, Machern und Manager, kann man freilich nachsehen, daß sie im Dienst kommerzieller Interessen über den forschen Positivismus von Technik- und Produkt- und Unternehmenskulturwerbung kaum hinausgehen. Im Niemandsland zwischen Konsumenten und Machern, teils kritisch-subversiv, teils zynisch-affirmativ in der versuchten Annäherung an die Angreifer, weiß sich die ästhetische Distanz von Medientheoretikern und Kulturhistorikern zu behaupten, die in besonderen Zirkeln und Institutionen sich und den anderen beim Zuschauen noch zuschauen. Bestenfalls können sie andere Zuschauer, denen Hören und Sehen noch nicht ganz vergangen ist, daran erinnern, daß es jenseits der kontrollierten Automation und des formatierten Funktionierens von Konformismus und Konsumismus, die PR und Marketing gewährleisten, noch anderes wahrzunehmen gibt, das die Mühen der selbstbewußten Aufmerksamkeit lohnt. Oder auch, daß es schlicht einmal anderes gegeben hat, dessen Kenntnis dazu taugt, dem Absolutismus automatisch funktionierender Wirklichkeit das Wissen von anderen Möglichkeiten entgegenzuhalten, um dem „incroyable hold-up sur l’imaginaire“, den Christian Salmon exemplarisch an der neuesten PR-Technik des Storytelling angeprangert hat, ein wenig auszuweichen.
Werfen wir also zum Schluß nochmals einen Blick zurück auf die metaphorologische Konfiguration Schiffbruch mit Zuschauer. Blumenberg hat ja in seiner diachronen Analyse dieser paradigmatischen „Daseinsmetapher“ auch vielfältige Zusammenhänge, in welchen die Figur des Zuschauers seit der Antike und ihrer Idee des „Weltzuschauers“ gestanden hat, im Sinne seiner Theorie der Unbegrifflichkeit beleuchtet. Er ist der Überlieferung dieses metaphorischen Komplexes quer durch die Neuzeit in Philosophie, Literatur und Essayistik nachgegangen. Es wäre gewiss lohnend, die humanistische Figur des Zuschauers im Anschluß an Blumenbergs Untersuchungen zu akzentuieren, doch mag ein Streiflicht auf die Schlüsselszene und ihre Deutung durch Blumenberg hier genügen.
“Suave mari magno turbantibus aequora ventis
e terra magnum alterius spectare laborem,
non quia vexari quemquamst iucunda voluptas,
sed quibus ipse malis careas quia cernere suave est”.[106]
Ausgehend von dieser epikuräischen Passage aus der bedeutendsten Lehrdichtung der Antike, nämlich aus De rerum natura des Lucretius, stellt Blumenberg auf dem Umweg über die Rezeptionsgeschichte des Topos das Glück der ästhetischen Distanz durch ihre Entlastungsleistung von diversen Unheilerwartungen und Schmerzdrohungen heraus. Solche Entlastung ermöglicht dem Zuschauer, dem schrecklichen „Schiffbruch“ vom sicheren Ufer aus zuzuschauen, dabei zwar nicht den Untergang der anderen Unglücklichen, doch aber die eigene Distanz dazu – zu genießen. „Wer mehr sieht, trägt mehr Last.“[107] Ästhetik und Moral des Zuschauers kommen letztlich zwar weder im Mitleid entsprechend der Anthropologie der Aufklärung (Rousseau, Lessing) noch in der christlichen Tugendlehre der Barmherzigkeit, wohl aber in der Selbstsorge überein, welche die spätestens seit Kants Moralistik aus der Neuzeit verdrängte, antike Frage des Glücks und des rechten und freien Lebens wieder aufnimmt. Epikureischer Hedonismus war auf eine angst- und schmerzfreie Existenz des um sich selbst besorgten freien Menschen ausgerichtet. Solange nach dem Ideal der Gelassenheit (griech. άταραξία / ataraxia) Lust als Ruhe und Glück als Harmonie verstanden werden, solange freie Selbsterhaltung und nicht der „Wille zur Macht“, d.h. expansives Unternehmertum und paranoische Machtvermehrung, das Streben nach Lust und Glück bestimmt, können in der Konjunktion von Freiheit und Selbstsorge ästhetische Distanz und „Ästhetik der Existenz“[108] eine labile Balance halten. Alle Formate einer über die Lebenskunst dieser freien Selbstsorge hinausgehenden, sei es privaten, sei es kollektiven Vorsorge, mithin auch alle Risiko-Kalkulationen eines florierenden Versicherungswesens, aber zielen – nicht zuletzt im Identifizieren und Adressieren möglicher Kunden mittels users profiling und anderer neuer Marketing- und Kontrollmethoden - auf illusionären Gewinn an entlastender Distanz ab, bezeichnen damit zugleich fatale Strategien der Schmerzvermeidung.
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Anmerkungen:
[1] Vgl. den Artikel „Zuschauer“ in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd.12, S.1452-1455.
[2] Vgl. Platon, Theaitetos 155d.
[3] „Hannah Arendt für Martin Heidegger“ in: Arendt/Heidegger. Briefe 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse, S.187 (Hervorhebung im Zitat).- Vgl. zur Heraklit-Deutung: Heidegger, Vorträge und Aufsätze, Teil III, S.55.
[4] „Hannah Arendt für Martin Heidegger“, S.191.
[5] Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, § 40-42 (S.184-200); ebenso § 63- 65 (S.310-331).
[6] Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, S.266.
[7] Vgl. ebd., S.135-259.
[8] Vgl. ebd., S.263ff.
[9] Blumenberg, Arbeit am Mythos, S.18.
[10] Ebd., S.13.
[11] Vgl. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, S.261-528.
[12] Ebd., S.267.- In der aus dem Nachlaß herausgegebenen Anthropologie Blumenbergs behält die Evidenz der „phänomenologischen“ Theorie schließlich gegenüber der „existentialistischen“ Praxis der Sorge doch das letzte Wort. Vgl. Blumenberg, Beschreibung des Menschen, bes. S.9-47. – Zu „Daseins Sorge“ im Anschluß an Heideggers Interpretation der einschlägigen Cura-Fabel aus der Mythen-Sammlung Fabulae des Hyginus vgl. auch: Blumenberg, Die Sorge geht über den Fluß, bes. S.195-222.
[13] Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, S.265.
[14] Blumenberg, „Lebenswelt und Technisierung unter Aspekten der Phänomenologie“, S.16.
[15] Vgl. Matuschek, Über das Staunen. Eine ideengeschichtliche Analyse.
[16] Campe, „Die Einstellung des Zuschauers. „Admiratio“ in den Gärten von Versailles und in der Royal Society zwischen 1660 und 1690“, S.347.
[17] Nelle, „Von der beobachteten zur inszenierten Natur – Descartes und der Regenbogen im Wasserglas“, S.402.
[18] Waldenfels, Phänomenologie der Aufmerksamkeit, S.68.
[19] Ebd., S.9.
[20] Zons, Die Zeit des Menschen, S.27.- Zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung vgl. bes.: Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen; ebenso: Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses.
[21] Vgl. Freud, „Jenseits des Lustprinzips“, S.213-272; über „Reizschutz“ bes.: S.234ff. u. S.244ff.
[22] Vgl. Husserl, Erfahrung und Urteil, bes. S.80ff.- Blumenberg moniert an Husserls Phänomenologie eine Überschätzung der Aktseite des Bewußtseins vor der Inhaltsseite. Vgl. Blumenberg, Zu den Sachen und zurück, bes. S.182ff.
[23] Waldenfels, Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden, S.99.
[24] Waldenfels, Phänomenologie der Aufmerksamkeit, S.9.- Vgl. hierzu den Entwurf: Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit; ebenso die spätere Selbstkritik (2005) des Autors: Franck, Mentaler Kapitalismus. Eine politische Ökonomie des Geistes.
[25] Waldenfels, Phänomenologie der Aufmerksamkeit, S.127 (griech. διά / dia = durch, hindurch).
[26] Reck, „Inszenierte Imagination. Zu Programmatik und Perspektiven einer historischen Anthropologie der Medien“ im von Müller-Funk/Reck herausgegeben Sammelband: Inszenierte Imagination. Beiträge zu einer historischen Anthropologie der Medien, S.232.
[27] Rieger, Die Individualität der Medien, S.16f.
[28] Ebd., S.13f.
[29] Ebd., S.12.
[30] Vgl. Brüggemann, „Passagen“.
[31] Waldenfels, Phänomenologie der Aufmerksamkeit, S.65f.
[32] Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, S.88.
[33] Ebd., S.93.
[34] Ebd., S.95.
[35] Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.111.
[36] Gebauer, „Fußball als Spiel der symbolischen Macht“, S.91.
[37] Vgl. Sloterdijk, Die Verachtung der Massen. Versuch über Kulturkämpfe in der modernen Gesellschaft.
[38] Gebauer, „Fußball als Spiel der ymbolischen Macht“, S.93.
[39] Pfeiffer, Das Mediale und das Imaginäre, S.457.
[40] Ott, „Unsere Hoffnung gründet sich auf das Sportpublikum“. Über Sport, Theatralik und Literatur, S.465.
[41] Vgl. Riha, Da Dada da war ist Dada da, S.44f.
[42] Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, I.Buch, S.44.
[43] Brecht, „Mehr guten Sport“; jetzt im von Günter Berg herausgegebenen Sammelband: Der Kinnhaken und andere Box- und Sportgeschichten, S.31.
[44] Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.112.
[45] Vgl. den von Neumann/Weigel herausgegebenen Sammelband: Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen Kulturtechnik und Ethnographie.
[46] Vgl. den von Gebauer herausgegebenen Sammelband: Körper- und Einbildungskraft. Inszenierungen des Helden im Sport. - Zum Begriff „cultural performances“ (Milton Singer) vgl. die Einleitung der Herausgeberin Fischer-Lichte in: Theatralität und die Krisen der Repräsentation, S.1ff.
[47] Vgl. Debord, La société du spectacle; ebenso : Debord, Commentaires sur la société du spectacle. Beide Texte (von 1967 und 1988) finden sich zusammen in einer deutschen Ausgabe (Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels. Berlin 1996). - Zur „Massenkultur“ in historischer Perspektive vgl: Maase, Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850-1970.
[48] Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.5.
[49] Heidegger, „Der Weg zur Sprache“, in: Unterwegs zur Sprache, S.258.
[50] Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie (1960), S.13.
[51] Vgl. Blumenberg, „Aussicht auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit“ (1979) in: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, S.85-106; ebenso zuletzt aus dem Nachlaß herausgegeben von Anselm Haverkamp: Blumenberg, Theorie der Unbegrifflichkeit (2007).
[52] Vgl. Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt (1981).
[53] Seit Lukrez erscheint diese „Daseinsmetapher“ als eine die Vorstellungen von Meeresstürmen sowie die Untergangsängste steigernde „Konfiguration“, „in der dem Schiffbruch auf dem Meere der unbetroffene Zuschauer auf dem festen Lande zugeordnet wird“. (Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer, S.13).
[54] Vgl. Blumenberg, Das Lachen der Thrakerin (1987).
[55] Hier zitiert nach der Übersetzung von Ulrich Köppen (Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt a.M.1974, S.75). Im Original heißt es: „à partir du XVIIe siècle on se demandera comment un signe peut être lié à ce qu’il signifie. Question à laquelle l’âge classique répondra par l’analyse de la représentation; et à laquelle la pensée moderne répondra par l’analyse du sens et de la signification.“ (Foucault, Les mots et les choses, S.58).
[56] Fischer-Lichte (Hg), Theatralität und die Krisen der Repräsentation, S.7.- Um das Theater als kulturelles Modell in den Krisen der Repräsentation (1600 und 1900) zu profilieren, sucht der Sammelband „Theatralität“ als Prinzip nach den Aspekten von „Aufführung / Performanz“, „Inszenierung“, „Wahrnehmung“ und „Körperlichkeit“ zu rekonstruieren.
[57] Vgl. Lehmann, Postdramatisches Theater, bes. S.241-260 u. S.401-447. – Fischer-Lichte ihrerseits hat von einem „Paradigmenwechsel auf dem Theater des 20.Jahrhunderts“ gesprochen, den sie im Titel zwar als „Entdeckung des Zuschauers“ ankündigt, in den darunter firmierenden Untersuchungen aber vielmehr als (Selbst-)Ermächtigung von Regisseur und Regietheater ausweist. (Vgl. Fischer-Lichte, Die Entdeckung des Zuschauers,1997).
[58] Vgl. Bleicken, Die athenische Demokratie, bes. S.190-311 („Die politischen Organisationsformen“).
[59] Vgl. Wulf, „Auge“, in: Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie, S.446-458; ebenso die anderen Artikel der Abteilung „Körper“, zu seinen Sinnen und Ausdrucksformen (S.405-585).
[60] Canetti, Masse und Macht, S.13 (Hervorhebung im Text).
[61] Daß der Tastsinn spätestens im 18.Jahrhundert durch die „bürgerlichen“ Forderungen nach Nähe, Gefühl und Intimität gegenüber dem Sehen eine beträchtliche Aufwertung erfuhr, haben neuere Arbeiten zur historischen Anthropologie gezeigt: vgl. Binczek, Kontakt: Der Tastsinn in Texten der Aufklärung; Zeuch, Umkehr der Sinneshierarchie. Herder und die Aufwertung des Tastsinns seit der frühen Neuzeit; Georg Braungart, Leibhafter Sinn. Der andere Diskurs der Moderne.
[62] Vgl. Udz, Das Auge und das Ohr im Text. Literarische Sinneswahrnehmung in der Goethezeit.
[63] Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, S.11.
[64] Weigl, Instrumente der Neuzeit, S.9.- Vgl. auch: Stadler, Der technisierte Blick. Optische Instrumente und der Status von Literatur.
[65] Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, S.14.
[66] Giesecke, Die Entdeckung der kommunikativen Welt, S.498.
[67] Ebd.
[68] Ebd., S.499.
[69] Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, S.15.
[70] Ebd., S.61.
[71] Crary, Aufmerksamkeit: Wahrnehmung und moderne Kultur, S.47 (zuerst: Suspensions of Perception. Attention, Spectacle and Modern Culture. Cambridge, MA 1999). Vgl. auch: Crary, Techniques of the Observer (deutsche Ausgabe: Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19.Jahrhundert, Dresden/Basel 1996).
[72] Vgl. Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd.1: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, S.21-95.
[73] Aristoteles, Politika I, 2, 1254 a.
[74] Chomsky, Media Control. The Spectacular Achievements of Propaganda, S.22.
[75] Vgl. Larry Tye, The Father of Spin. Edward L.Bernays and the Birth of Public Relations.
[76] Chomsky, Media Control, S.20.- Vgl auch: Herman/Chomsky, Manufacturing Consent.
[77] Vgl. Deleuze, “Post-scriptum sur les sociétés de contrôle”, S.240-247 (deutsche Übersetzung in: Gilles Deleuze, Unterhandlungen 1972-1990, Frankfurt a.M. 1993, S.254-262).
[78] Vgl. Foucault, Surveiller et punir.
[79] Deleuze, „Postscriptum sur les sociétés de contrôle“, S.244.
[80] Vgl. hierzu im vorliegenden Band: Kentaro Kawashima, Digitale Videokameras als neue Strategie der Überwachung. Drei Szenen aus Japan, S.?-?.
[81] Vgl. Bolz/Bosshart, Kult-Marketing.
[82] Vgl. Benjamin, „Der Erzähler“, S.438-465.
[83] Vgl. Salmon, Storytelling. La machine à fabriquer des histoires et à formater les esprits.
[84] Ebd., S.20.
[85] Kittler, „Die Welt des Symbolischen – eine Maschine“, in: Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, S.61.
[86] Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, S.16.- Zuerst: The Human Condition. Chicago 1958 (Erste deutsche Ausgabe: München 1967).
[87] Arendt, Vita activa, S.17.
[88] Ebd., S.23.
[89] Ebd., S.31.
[90] Ebd., S.375.
[91] Ebd., S.378.
[92] Vgl. Jünger, „Der Arbeiter“, S.5-317.
[93] Vgl. Heidegger, Zu Ernst Jünger.
[94] Vgl. Jünger, „Über die Linie“, S.237-280. - Jünger schreibt: „Die Überquerung der Linie, die Passage des Nullpunkts teilt das Schauspiel; sie deutet die Mitte, doch nicht das Ende an. Die Sicherheit ist noch sehr fern. Dafür wird Hoffnung möglich sein.“ (Ebd., S.261)
[95] Arendt, Vita activa, S.12.
[96] Ebd., S.412.
[97] Ebd., S.12f.
[98] McLuhan, Die magischen Kanäle/Understanding Media, S.524f.
[99] Ebd., S.520.
[100] Arendt, Vita activa, S.410.
[101] Ebd., S.411.
[102] Ebd., S.410f.
[103] Chomsky stellt dar, wie Propaganda, PR und Marketing die Funktion der Massen, Kunden und Konsumenten „in a properly functioning democracy“ in der Tat zuerst darin sehen, „to be spectators, not participants in action”. (Chomsky, Media Control, S.17.)
[104] Pörksen, Weltmarkt der Bilder, S.300.
[105] Vgl. auch Pörksen, Plastikwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur (1988).
[106] Lucretius, De rerum natura, Liber secundus, Vers 1-4, S.85 („Süß, wenn auf hohem Meer die Stürme die Weiten erregen, ist es, des anderen mächtige Not vom Lande zu schauen, nicht weil wohlige Wonne das ist, daß ein andrer sich abquält, sondern zu merken, weil süß es ist, welcher Leiden du ledig.“).
[107] Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer, S.47.
[108] Die „Ästhetik der Existenz“ des späten Foucault als Fluchtpunkt im Auge geht Kimmich im Ausblick ihrer Abhandlung zur Epikur-Rezeption auch auf Nietzsches bezeichnend widersprüchliche Haltung zum Epikureismus ein: Nietzsche lobt zuächst Epikur als idyllisch-heroischen Aufklärer, um ihn in den späten 1880er Jahren im Kontext des „Willens zur Macht“ als „melancholischen Dekadent“ zu denunzieren. Vgl. Kimmich, Epikureische Aufklärungen, S.231-249.